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Tierisch anziehend
Lifestyle 4 9 Min. 08.06.2017 Aus unserem online-Archiv
Wortex: Deyrolle & Petit Bateau

Tierisch anziehend

Prinz Louis Albert de Broglie erwarb das Traditionshaus Deyrolle 2001.
Wortex: Deyrolle & Petit Bateau

Tierisch anziehend

Prinz Louis Albert de Broglie erwarb das Traditionshaus Deyrolle 2001.
Foto: Philippe Calandre
Lifestyle 4 9 Min. 08.06.2017 Aus unserem online-Archiv
Wortex: Deyrolle & Petit Bateau

Tierisch anziehend

Nicole WERKMEISTER
Nicole WERKMEISTER
Zwei Unternehmen, eine Mission: Das Kuriositätenkabinett von Deyrolle, das in Paris seit 1831 ausgestopfte Tiere und präparierte Insekten zum Verkauf anbietet, und das Modeunternehmen Petit Bateau starten eine Kollaboration für den Artenschutz. Prinz Louis Albert de Broglie, Eigentümer von Deyrolle, erklärt die Botschaft seiner Mission.

Interview: Nicole Werkmeister

1831, in einer Zeit, die von Entdeckern und Naturforschern wie Alexander von Humboldt geprägt war, eröffnete Jean-Baptiste Deyrolle ein recht eigenartiges Geschäft in Paris: eine kuriose Mischung aus Insekten, Jagdutensilien und präparierten Tieren. Achilles Deyrolle, der das Etablissement seines Vaters 1866 übernahm, veranlasste den Umzug in jene Räumlichkeiten in der 46, Rue du Bac, in denen sich das Geschäft noch heute befindet. Zu den präparierten Tieren, die immer öfter zu pädagogischen Zwecken eingesetzt wurden, gesellte sich weiteres Lehrmaterial: Zeichnungen und Karten, die Deyrolle bald zu einer weltweiten Institution werden ließen. Dass Deyrolle trotz Globalisierung und Digitalisierung seine Bedeutung erhalten konnte, ist seinem heutigen Eigentümer zu verdanken. Wir sprachen mit Prinz Louis Albert de Broglie, der das Traditionshaus erwarb, um es in die Zukunft zu führen.

Prinz de Broglie, Sie waren ein erfolgreicher Banker und haben 2001 Deyrolle gekauft. Wie passt das zusammen?

Diese weltweit bekannte wissenschaftliche Institution zu erwerben war das Ergebnis meines Engagements im Bereich der Biodiversität. Ich hatte 1992 damit begonnen, im Schlosshotel de la Bourdaisière im Loire-Tal mein „Conservatoire de la Tomate“ aufzubauen, weil mir der Erhalt von altem Saatgut sowohl in ökologischer als auch ökonomischer und kultureller Hinsicht enorm wichtig erschien. Mir wurde klar, wie enorm die Bedrohung durch die großen Saatgut-Unternehmen war, alle möglichen Sorten zu patentieren. Und so war ich überzeugt, dass eine wissenschaftliche aber auch pädagogische Institution wie Deyrolle der beste Weg wäre diese Themen zu vermitteln und Aufmerksamkeit für diese Botschaft zu generieren.

In den historischen Räumlichkeiten von Deyrolle tummeln sich ausgestopfte Tiere als wären sie dort zuhause.
In den historischen Räumlichkeiten von Deyrolle tummeln sich ausgestopfte Tiere als wären sie dort zuhause.
Foto: Marc Dantan

Stimmt es, dass Sie von einem Astrologen „vorgewarnt“ wurden?

Ja, das ist eine lange, aber wahre Geschichte. Ich verbrachte den Wechsel ins neue Jahrtausend auf Cawdor Castle in Schottland. Am 1. Januar 2000 sagte mir ein Astrologe, der mit dem Schlossbesitzer befreundet war, voraus, dass ich am letzten Tag des selben Jahres ein Angebot von einer blonden Frau annehmen würde, das meine geschäftlichen Aktivitäten grundsätzlich verändern würde. Und das passierte dann tatsächlich! Am 31. Dezember kaufte ich Deyrolle von einer wirklich blonden Polin – und Deyrolle bestärkte meine Vision einer gemeinschaftlichen Verantwortung, die wir alle in Bezug auf den Erhalt von Ökosystemen haben.

Woraus genau besteht diese Aufgabe aus Ihrer Sicht?

Es geht darum, Ökosysteme zu verstehen, sie zu schützen und sie intakt an die nächste Generation weiterzugeben. Mit dieser Mission wurde Deyrolle später offizieller Partner der Pariser Klimakonferenz 2015 im Bereich Erziehung und unser Buch „Shape the World“ wurde den 195 Delegierten übergeben. Damit haben wir gezeigt, dass Deyrolle nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft eine tragende Rolle übernimmt.

Nachdem Deyrolle seit 1978 nicht mehr als Familienbetrieb geführt wurde, war das Haus bis zu Ihrem Kauf etwas vernachlässigt worden. Was waren Ihre ersten Maßnahmen als neuer Besitzer?

Dekorative Ausstellungsstücke unter Glas waren schon vor über 100 Jahren bei der Kundschaft beliebt.
Dekorative Ausstellungsstücke unter Glas waren schon vor über 100 Jahren bei der Kundschaft beliebt.
Foto: Marc Dantan

Zunächst habe ich das historische Gebäude in der Rue du Bac restauriert, in dem dann 2010 Woody Allen eine Szene seines Films „Midnight in Paris“ gedreht hat. Zudem wollte ich die enge Verbindung, die immer zwischen Deyrolle und der Kunstwelt bestanden hatte, wieder aufbauen – durch Ausstellungen und Partnerschaften mit Künstlern. Seitdem haben über hundert Kreative mit uns zusammengearbeitet und uns dazu auserkoren, ihre Werke auszustellen. Ein besonderes Erlebnis war natürlich 2014 die Zusammenarbeit mit Damien Hirst, der unsere Exposés mit alltäglichen Gegenständen in Verbindung setzte, die das Leben der Tiere bedrohen.

Am 1. Februar 2008 brach in dem historischen Gebäude ein Feuer aus. Waren Sie zu diesem Zeitpunkt vor Ort?

Um 5.45 Uhr morgens rief mich die Feuerwehr an. Ich fuhr direkt nach Saint-Germain-des-Prés und sah dort die schrecklichen Ausmaße, die das Ganze bereits angenommen hatte. Die Bewohner der benachbarten Häuser waren in ein Hotel gebracht worden und es versammelte sich eine Menschenmenge vor dem abgesperrten Bereich. Ein fünfjähriges Mädchen, Juliette, sah mich entsetzt an und fragte, ob der kleine Esel gestorben sei. Glücklicherweise hat er das Inferno überstanden und ich habe ihn Juliette ein paar Jahre später geschenkt.

Das Feuer richtete nicht nur große Schäden am Gebäude an, sondern zerstörte auch 90 Prozent des wertvollen Inventars. Eine schreckliche Bilanz. Haben Sie einen Moment daran gedacht alles aufzugeben?

Keinen einzigen! Mein alleiniger Gedanke galt dem Wiederaufbau. Schon in meiner Jugend hat mir mein Vater beigebracht, mich solchen Martyrien zu stellen – und ich erinnere mich dabei immer an eine Strophe aus der französischen Version des berühmten Gedichts „If“ von Rudyard Kipling: „Si tu peux voir détruit l'ouvrage de ta vie, Et sans dire un seul mot te remettre à rebâtir.“ Ich wusste gleich, wie ich es machen würde. Und ich fühlte, dass ich die Verantwortung dafür trug, die Mission von Deyrolle nicht einfach aufzugeben.

Wie war es möglich, nicht nur das Gebäude zu renovieren, sondern dieses auch wieder mit Exponaten zu füllen?

Leider waren wir schlecht versichert und auf Unterstützung angewiesen. Man hat uns zahlreiche Sammlungen zum Kauf angeboten – und einige Leute haben uns auch Stücke ihrer Sammlung kostenlos überlassen, um das Überleben der Institution zu retten, die zwar stark gelitten hatte, aber nicht gestorben war. Das Feuer bei Deyrolle löste eine enorme Welle der Solidarität aus und weckte Anteilnahme, Großzügigkeit und Mithilfe bei vielen Menschen.

Was hat Sie dabei am meisten beeindruckt?

Einfach alles. Die Schlange von Menschen, die sich über mehrere Monate vor unserer Tür bildete, weil die Leute im dort hinterlegten Buch unterschreiben wollten, um darum zu bitten, dass Deyrolle nicht geschlossen würde. Das Traditionshaus Hermès, das für Deyrolle das „Carré Plume“ wieder auflegte, Gallimard mit dem Buch „Nature Fragile“ – ebenso wie Assouline und Beaux Arts Editions. Dazu über 80 Künstler, die 100 Kunstwerke beisteuerten, die dann bei Christie's und im „Musée de la Chasse et de la Nature“ verkauft wurden. Auch zahlreiche Artikel und Fernsehbeiträge halfen dabei, Deyrolle wie Phoenix aus der Asche auferstehen zu lassen. So viel wie ihnen Deyrolle gegeben hatte, gaben die Menschen nun zurück.

Foto: Marc Dantan

Ihr Haus gilt als ein französisches Kulturgut und viele Erwachsene haben besondere Kindheitserinnerungen an ihren Besuch dort. Wie haben Sie Deyrolle als Kind erlebt?

Als ich zwischen fünf und zehn Jahre alt war ist mein Vater oft mit mir zu Deyrolle gegangen. Es was immer eine Entdeckungstour – wie im naturwissenschaftlichen Museum mit seiner „Grande Galerie“. Für mich war Deyrolle die „Petite Galerie“. Dort konnte man reden, die Exponate berühren und sich vielen verschiedenen Tieren gleichzeitig nahe fühlen, die sich dort so dicht nebeneinander ebenfalls wohlzufühlen schienen.

2007 haben Sie die Tradition wieder aufgenommen, Lehrmaterial zu erstellen. Welche konkreten Ziele verfolgen Sie damit?

Bereits 1831 hatte man bei Deyrolle damit begonnen, Lehrmaterial für Physik, Chemie, Botanik und Zoologie zu erstellen, mittels derer man die Welt erforschen konnte. Der Einfluss, den diese Materialien seinerzeit hatten, ist kaum vorstellbar. Sie inspirierten und begeisterten ganze Generationen – und führten sie zu ihrer Berufswahl als Lehrer, Physiker, Sammler oder Kuratoren von Museen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatten wir uns nun einem neuen Thema zuzuwenden: der Nachhaltigkeit, also dem Schutz der Welt, die uns ernährt und heilt. Mit unseren modernen Lehrmaterialien haben wir eine eigene Sprache gefunden und verbinden drei wichtige Themen, die den Kern unserer weiteren Entwicklung bilden: Natur, Kunst und Bildung.

Ausgestopfte Tiere haben ihre Liebhaber. Aber es gibt sicher auch kritische Stimmen unter den Tierschützern. Woher stammen die Tiere, denen in Ihren Ateliers ewiges Leben geschenkt wurde?

Das Gebäude, das 2008 von einem Brand stark zerstört wurde, ist inzwischen restauriert.
Das Gebäude, das 2008 von einem Brand stark zerstört wurde, ist inzwischen restauriert.
Foto: Marc Dantan

Wir werden oft gefragt, woher wir unsere Tiere beziehen, was auch verständlich ist. Es ist uns sehr wichtig zu klären, dass die Tiere, die bei Deyrolle präpariert werden, nicht dafür getötet werden. Sie stammen aus Zoos und Tierparks, wo sie entweder aus Altersgründen oder wegen einer Krankheit eines natürlichen Todes gestorben sind. Die Vorgänge sind einzeln rückverfolgbar und geschützte Arten werden gemäß des Washingtoner Artenschutzübereinkommens gehandelt. Wenn also ein Tier stirbt, werden wir angerufen – und falls wir es erwerben, wird es von einem Präparator ausgestopft. Wir arbeiten mit verschiedenen Präparatoren zusammen, die wir aufgrund ihrer speziellen Fähigkeiten ausgewählt haben. Jeder hat sein eigenes Spezialgebiet. Wie man sich vorstellen kann, ist es etwas anderes, ob man einen Vogel, eine Kuh oder einen Löwen ausstopft. Um jeweils mit den Besten ihres Fachs zusammenarbeiten zu können, haben wir nun kein eigenes Atelier mehr.

Deyrolle bietet auch an, private Anfragen zu bearbeiten. Gibt es Aufträge, die Sie abgelehnt haben?

Ja, eine Schwiegermutter auszustopfen! (lacht)

Werden Sie auch von Haustierbesitzern gefragt, deren verstorbene Lieblinge zu verewigen?

Ja, und das war eine der ersten Sachen, die ich abgeschafft habe, nachdem ich Deyrolle gekauft hatte. Das wurde alles etwas zu emotional, persönlich und teils auch befremdlich.

Die Insekten, die es bei Deyrolle zu sehen - und käuflich zu erwerben - gibt, stammen zum Großteil von Zuchtfarmen.
Die Insekten, die es bei Deyrolle zu sehen - und käuflich zu erwerben - gibt, stammen zum Großteil von Zuchtfarmen.
Foto: Marc Dantan

Zahlreiche namhafte Künstler sollen sich für ihre Werke bei Deyrolle inspiriert haben. Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Ja, da gibt es einige: „Eclaté de homard albinos“ von Salvador Dali, die Schmetterlinge von Jean Dubuffet und Philippe Pasqua, die Geier von Huang Yong Ping und die Schädel von Jan Fabre – auch die ausgestopften Tiere von Maurizio Cattelan stammen von Deyrolle. Seit den Surrealisten besteht tatsächlich eine ganz besondere Verbindung zwischen den Künstlern und Deyrolle – und umgekehrt. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass Deyrolle wohl die einzige Institution seiner Art ist, die Künstler, Wissenschaftler, Sammler, Studenten oder Schriftsteller gleichermaßen anspricht und für sie als Inspirationsquelle dient.

Sie haben kürzlich gemeinsam mit dem französischen Modeunternehmen Petit Bateau eine Sonderkollektion realisiert. Wie kam es dazu?

Die beachtlichen Archive von Deyrolle beherbergen auch das berühmte pädagogische Kartenmaterial der Botanik oder der Zoologie – die „Leçons de Choses“, die man auch als eine imaginäre Welt der Schönheit bezeichnen könnte. Wir alle kennen den Spruch „Bilder sagen mehr als tausend Worte“ – und genau das ist die Sprache, die bei Deyrolle entwickelt wurde und mittels derer man naturwissenschaftliche Sachverhalte schnell verstehen kann.

Historische Zeichnungen aus den Archiven von Deyrolle wurden als Motive für die Sonderkollektion von Petit Bateau ausgewählt.
Historische Zeichnungen aus den Archiven von Deyrolle wurden als Motive für die Sonderkollektion von Petit Bateau ausgewählt.
Foto: Deyrolle & Petit Bateau

 Wir haben bei Deyrolle entschieden, dass ausschließlich Unternehmen, die die gleichen Werte wie wir vertreten und sich für den Umweltschutz einsetzen unser Bildmaterial und unsere Marke für spezielle Kollektionen verwenden dürfen. Petit Bateau ist ein französisches Traditionsunternehmen – ebenso wie Deyrolle – und arbeitet seit über hundert Jahren im respektvollen Umgang mit Mensch und Umwelt. Darüber hinaus spricht diese Marke verschiedene Generationen gleichzeitig an. Das war ein weiterer wichtiger Aspekt für uns. So ist die entstandene Kollektion auch ein sichtbarer Ausdruck des ökologischen Engagements des Labels.

Die „Capsule Collection“ zeigt etwa den Schimpansen, den Asiatischen Elefanten, aber auch Klatschmohn. Nach welchen Kriterien wurden die Motive ausgewählt?

Zusammen mit dem Team von Petit Bateau sind wir die Zeichnungen durchgegangen und haben gezielt die ausgewählt, die Tiere gefährdeter oder geschützter Arten zeigen. Jedes Design der Kollektion trägt einen Schriftzug mit den lateinischen Namen der repräsentierten Spezies, wodurch die Kinder, die die Kleidungsstücke tragen, gleichzeitig etwas lernen. Auch die Verpackung jedes Motivs ist anders und enthält einen erklärenden Text, der Informationen zum jeweiligen Tier gibt: wo es lebt und weshalb es bedroht ist. Es war uns wichtig, mit der Kollektion auch eine Botschaft zu vermitteln – und wir meinen, dieser modische Weg ist ein sehr schöner, um solch pädagogische Inhalte zu verbreiten.

Die Sonderkollektion „L’École Buissonnière" von Petit Bateau, die neben Tier- auch Pflanzenmotive zeigt, ist seit dem 31. Mai in den Stores und online erhältlich.