Per U-Bahn durch die Antike
Per U-Bahn durch die Antike
von Ferry Batzoglou
"Next Stop: Akropolis." Es ist Samstagmorgen. Per Tonband kündigt eine Frauenstimme den nächsten Halt der Athener Metro an. Zuerst auf Griechisch, dann auf Englisch. Der Zug auf der Metrolinie 2, der sogenannten roten Linie, die vom Westen in den Osten der Vier-Millionen-Metropole führt, drosselt sein Tempo. Nach wenigen Sekunden hält er an. Einige Touristen steigen aus, natürlich verlassen auch Griechen die Untergrundbahn. Was sie alle, ob Besucher aus aller Welt oder Einheimische, sofort erblicken, als sich die Türen der Waggons öffnen: den westlichen Fries des Parthenon-Tempels – genauer gesagt, eine originalgetreue Kopie davon.
Geschichte zum Erleben
Skulpturen, Säulen, Vasen, antike Straßen, Mauern: Ob ein Stockwerk weiter oben in der Station "Akropolis" oder in anderen Stationen wie "Syntagma" ("Verfassungsplatz"), "Monastiraki" im beliebten Touristenviertel Plaka und "Keramikos": Dem Nutzer bietet sich in der Athener Metro ein Gratis-Museum mit einer Vielzahl von antiken Funden. Unterirdisch, buchstäblich zu Füßen der Akropolis. Oftmals sind die ausgestellten Stücke sogar echt.
Sie wurden bei den Bauarbeiten der Metro gefunden, von Archäologen liebevoll und mit der gebotenen Sorgfalt präpariert und werden seit der Inbetriebnahme der Metro ausgestellt. Das freut auch einen älteren Herrn, der seinem Enkel in der Station "Akropolis" spontan Geschichtsunterricht erteilt. "Hier! Schau, Manolis! Diese Skulptur stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christi Geburt. Damals regierte Perikles in Athen." Der kleine Manolis blickt gebannt auf die historischen Funde.
Historische Linie 1 huldigt Berlin
Anders als die ausgestellten Stücke ist die Athener Metro noch sehr jung. Sie besteht aus drei Linien. Die älteste, die Linie 1, offiziell die grüne Linie, die die Athener nur "Elektrikos" ("Elektrobahn") nennen, zieht sich vom noblen Vorort Kifissia ganz im Norden bis in den Süden zur Hafenstadt Piräus mit ihren stark frequentierten Passagierfähren, die von hier auf die Kykladen, nach Kreta oder zu den Inseln in der Ost-Ägäis fahren.
Fertiggestellt wurde der "Elektrikos" im Jahr 1869. Der schrittweise Ausbau zu einer vollwertigen U-Bahn geschah ab 1904. Er verläuft vor allem oberirdisch, ist knapp 26 Kilometer lang und verfügt über 24 Stationen. Die Fahrtzeit von einer Endstation zur anderen beläuft sich auf 51 Minuten.
Nicht nur bei der technischen Ausrüstung, sondern auch bei der Gestaltung der Stationen orientierte man sich anfangs an der Berliner U-Bahn. Diese Ähnlichkeit ist bis heute besonders an den Stationen "Omonia" ("Platz der Eintracht") sowie "Viktoria" zu sehen. Sie wurden im Jahr 2003 restauriert und stehen neben den Stationen "Piräus" und "Monastiraki" unter Denkmalschutz.
Ein Kuriosum ist die Station "Thissio": Das Empfangsgebäude, aus der Zeit, als die Strecke ebenerdig war, steht quer zum tiefer gelegenen Bahnsteig. Eine ähnliche Situation existiert an der Station "Monastiraki", da es sich dabei einst um die Endbahnhöfe der Piräusbahn handelte.
Seit der Olympiade: Linien 2 und 3
Die beiden anderen Metro-Linien sind erst 18 Jahre alt. In Athen weiß jedes Kind, dass es sie wohl bis heute nicht gäbe, hätte Athen im Jahr 1997 nicht den Zuschlag dafür bekommen, nach 108 Jahren wieder die Olympischen Sommerspiele 2004 auszutragen.
Die Linie 2, die rote Linie, die in West-Ost-Richtung verläuft, macht insgesamt zwanzig Mal halt. Sie ist 16,4 Kilometer lang. Die Fahrtzeit von den Endstationen Anthoupolis im dicht besiedelten Westen Athens bis nach Hellenikon im Osten der griechischen Hauptstadt dauert 29 Minuten.
21 Stationen hat obendrein die Metro-Linie 3, die sogenannte blaue Linie. Sie ist 37,5 Kilometer lang und verläuft vom Athener Airport im Nordosten des Großraums Athen bis nach "Aghia Marina" im Südwesten Athens. Die Fahrtzeit beträgt 50 Minuten.
Kunst über und unter der Erde
Die Stationen der Linien 2 und 3 sind weitgehend uniform gestaltet. Von Interesse sind hier auch die zahlreichen Kunstwerke. Sie sind vor allem im Zwischengeschoss oder am Eingang ausgestellt und umfassen fast alle bekannten griechischen Künstler.
Ein echtes Highlight ist der Lichtschacht mit seinen historischen Funden. Er liegt an der 3. Ebene der zentralen Station "Syntagma". Oberirdisch steht auf der Station "Katechaki" ("blaue Linie") eine imposante Fußgängerbrücke. Sie ist das erste Werk des katalanischen Stararchitekten Santiago Calatrava. Sehenswert ist schließlich das kleine Museum zur Geschichte der Linie 1 im Bahnhof "Piräus" mit einer Vielzahl historischer Exponate.
Vorbildlich sauber
Kaum zu glauben, aber wahr: Athens U-Bahn, namentlich die Linien 2 und 3, sind immer noch so sauber und so in Schuss wie am ersten Tag. Kein Vergleich mit ihren Pendants in Rom, Berlin oder Madrid, schon gar nicht mit jenen in London oder Paris.
Das hat vielfältige Gründe: Der Grieche mag als Experte dafür gelten, öffentliche Bauten und Anlagen einfach so lange vergammeln zu lassen, bis sie irgendwann abgerissen werden müssen, oder systematisch so zu beschädigen, bis sie nicht mehr zu gebrauchen sind oder diese gezielt so zu verschmieren, bis sie irgendwann einfach unansehnlich sind. Die Athener Metro pflegt er aber. Besser: Er respektiert sie, man kann auch sagen: Der Hellene liebt sie sogar.
Er hält das absolute Rauchverbot in der Athener Metro ein. Das ist keine Selbstverständlichkeit am Peloponnes. Er isst dort nicht, er trinkt dort nicht. Nicht an den Gleisen, nicht in den Waggons. Kein Abfall auf dem Boden, keine Zigarettenstummel, keine Plastikflaschen, keine Aludosen. Alles ist blitzsauber.
Vielleicht liegt es daran, dass die Metro die Lebensqualität der Athener massiv verbessert hat. Beinahe alle Athener können sich noch an die ewigen Fahrtzeiten in den permanent überfüllten Bussen im früher stets chaotischen Verkehr auf den Straßen der Metropole erinnern.
Die Metro hat hier insbesondere seit der Inbetriebnahme der roten und blauen Linie im Jahr 2000 Abhilfe geschaffen – und zwar auf einen Schlag.
Pünktlich, aber laut
Anders als etwa im sonst so vorbildlichen München sind Verspätungen in der Athener Metro so selten wie ein Schneetreiben in Attika. Gleichwohl gibt es auch Dinge an der Athener Metro, die ihre Passagiere durchaus ärgern. Die Waggons der ersten Züge, die im Jahr 2000 angeschafft wurden und noch immer im Einsatz sind, weisen keinen passiven Lärmschutz auf, der seinen Namen auch wirklich verdient. Lärmschutzfenster? Fehlanzeige. Gespräche sind so während der Fahrt kaum möglich. Auch ins Schwitzen gerät man in den älteren Zügen besonders im Sommer leicht: Es fehlt eine Klimaanlage.
Erst mit den neueren, vor allem aber mit den neuesten voll klimatisierten U-Bahn-Wagen mit Lärmschutz, die seit 2014 in der Athener Metro zum Einsatz kommen, hat man den vollen Komfort, der das Fortbewegen in der griechischen Großstadt zu einem wahren Vergnügen macht. Kostenloser Geschichtsunterricht inklusive.
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