„Minecraft“ Ein Spiel macht Schule
„Minecraft“ Ein Spiel macht Schule
VON MARC BODMER
Videospiele sind gigantische Lernmaschinen. Zu dieser Erkenntnis kam James Paul Gee, Linguistikprofessor an der Arizona State University bereits vor 13 Jahren. In seinem Buch „What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy“ hält er fest, dass man nicht nur in und außerhalb von Schulen mit Computerspielen arbeiten sollte, sondern deren Prinzipien nutzen sollte, um den Stoff zu vermitteln.
Gee zählt zu den Pionieren der Gamification und war – insbesondere was unsere Breitengrade anbelangt – seiner Zeit weit voraus. Doch inzwischen findet sich der digitale Linguist in bester Gesellschaft, denn Gamification ist das Schlagwort der Gegenwart – in und außerhalb von Schulen, in Wirtschaft und Forschung.
Ein lukrativer Markt
Auch die Software-Firma Microsoft gehörte in Sachen Games eher zu den Spätzündern. Erst im Winter 2001 stiegen die Amerikaner mit der Konsole Xbox im großen Stil in den von Sony und Nintendo hart umkämpften, aber lukrativen Computerspielemarkt ein, der heute 99 Milliarden Dollar im Jahr umsetzt. Inzwischen ist die Xbox-Plattform voll integrierter Bestandteil der vernetzten Strategie des Konzerns aus Redmond.
Im Herbst 2014 gelang Microsoft ein überraschender Coup: Das Unternehmen kaufte für 2,5 Milliarden Dollar Mojang, das schwedische Gamestudio hinter dem bis dato erfolgreichsten Indie-Spiel, „Minecraft“. Ob man es tatsächlich als Spiel bezeichnen darf, ist umstritten: Regeln oder ein Ziel kennt das virtuelle Lego nicht.
Die Designer selber beschreiben ihren Bestseller als „Spiel, bei dem Blöcke kaputt gemacht und platziert werden“. Doch gerade diese unverbindliche Offenheit ist einer der Gründe dafür, dass das Spiel mit der Klötzchengrafik über 23 Millionen Mal verkauft wurde. Und täglich werden es 6 400 Leute mehr, die ihrer Kreativität im Cyberspace freien Lauf lassen.
Lernen mit Videospielen
„Minecraft-Spielende haben ein verbessertes räumliches Vorstellungsvermögen, lernen Dinge zu konstruieren, und das oft in einem Team“, sagt Alexander Repenning, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz im Bereich Computerwissenschaften. Solch positive Effekte passen ins edukative Konzept von Microsoft. Der Konzern wird im Mai eine Testversion auf den Markt bringen, die sich an Lehrpersonen richtet. „Kinder lernen schon lange mit Videospielen“, sagt Rafranz Davis, Executive Director Professional and Digital Learning des Schulbezirks Lufkin im US-Bundesstaat Texas. „Die Minecraft Education Edition zeigt uns als Lehrpersonen, wie das funktioniert. Das ist revolutionär.“
Wer mit Kindern und Jugendlichen spricht, erfährt, dass nebst den gängigen Hits wie „Fifa“ Minecraft ganz oben in der Gunst steht – auch bei Mädchen. Grund dafür ist die Abwesenheit eines sonst für Videospiele typischen kompetitiven Elements. Bei Minecraft stehen vielmehr Autorenschaft, Autonomie und Zusammenarbeit im Vordergrund. Faktoren, die als starke Motivatoren gelten und anspornen, das Programm und die damit verbundenen Möglichkeiten besser kennenzulernen und zu erkunden. Was will man als Lehrperson mehr?
Fehler machen ist erlaubt
Soweit heute schon ersichtlich, wird die Minecraft Education Edition diverse Lektionen zum Download anbieten, die Lehrpersonen die Integration des Spiels in den schulischen Kontext wesentlich vereinfachen wird. Das Spektrum reicht von historischen Themen über Physik, Architektur, Technik bis hin zur Musik.
Darüber hinaus fördert die interaktive Umgebung das „computational thinking“, die lückenlose Konstruktion logischer Folgeketten: „Die Umgebung von Minecraft bietet das gleiche Erlebnis wie das Erlernen einer Programmiersprache“, findet Davis. In beiden Fällen sei es erlaubt, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen.
Auf spielerische Weise finden Kinder und Jugendliche so oft Lösungen in „Minecraft“, die ein Informatiker als „hack“ betiteln würde, einen innovativen, schlauen Weg, damit das Programm etwas Neues macht. Nun ist es an den Schulen, den Lehrplan zu „hacken“ und einem innovativen Zugang zur Informatik eine Chance zu geben.
Artikel aus der "Neue Zürcher Zeitung", Syndizierungspartner des "Luxemburger Wort"
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
