Eine Luxemburgerin erklärt das dänische Lebensgefühl Hygge
Eine Luxemburgerin erklärt das dänische Lebensgefühl Hygge
Touristen staunen wahrscheinlich nicht schlecht, wenn die berühmte Bronze-Statue der kleinen Meerjungfrau auf einmal wortwörtlich einen Kopf kürzer ist. Bei einem Kurztrip mit dem Reiseveranstalter Demy Schandeler nach Kopenhagen Ende Februar fehlen der wichtigsten Touristenattraktion der dänischen Hauptstadt zwar keine Gliedmaße, ernüchternd ist ihr Anblick aber allemal – oder die Erwartungen zu hoch.
Einmal kurz während der Kanalrundfahrt am Werk von Edvard Eriksen vorbeigeschippert, wird einem schnell bewusst: Das Adjektiv „klein“ passt wie die Faust aufs Auge. Ganz süß, aber auch schnell von der To-do-Liste abegehakt. Ihre Geschichte hingegen – und damit ist nicht Hans Christian Andersens Märchen gemeint – erstaunt jedoch umso mehr.
Mit Farbe überschüttet, der Arm abgesägt und bereits zweimal geköpft: Selbst Fabelwesen können den Nachteilen des Ruhms nicht entfliehen. Immer wieder wird die kleine Meerjungfrau Opfer von Vandalismus. Glücklicherweise konnte das Wahrzeichen am Kopenhagener Hafen bisher jedes Mal gerettet werden. Als es zuletzt enthauptet wurde, musste der Kopf für die Restauration nicht einmal neu angefertigt werden, da er in einem Schließfach am Bahnhof aufgefunden werden konnte.
Hygge ist mehr als nur Gemütlichkeit
Aus der Ruhe bringen lassen sich die Dänen von solchen Ereignissen aber nicht. Dahinter steckt eine ganze Lebensphilosophie. Alltagsstress? Fehlanzeige. Nicht umsonst zählt Dänemark zu den glücklichsten Ländern der Welt.
Bei der Ankunft verwundert zunächst die Stille der Großstadt. Von lautem Stimmengewirr und Verkehrslärm keine Spur – um 8 Uhr morgens wirkt Kopenhagen noch ein wenig schlaftrunken. Selbst Nyhavn, der Tourismus-Hotspot schlechthin, könnte stiller nicht sein. Doch der Schein trügt. Es ist nicht ruhig, sondern hyggelig (eine Mischung aus gemütlich und herzlich). Das ursprüngliche Fischerdorf hält nämlich auch zur Rush Hour an seiner Lebensweise fest. „Hygge ist das erste Wort, das man als Zugezogener in Dänemark lernt“, erklärt Melanie Herskind (27), die 2014 aus Luxemburg in ihre Wahlheimat ausgewandert ist.
Trotz ihrer dänischen Wurzeln war sie anfangs von der Mentalität überwältigt - im positiven Sinne. „Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, die Leute sind einfach gelassener und legen sehr viel Wert auf eine hohe Lebensqualität“, versucht die junge Frau mit doppelter Staatsangehörigkeit die Hygge in Worte zu fassen.
um weitere Bilder zu sehen.
Lassen sich die ersten Sonnenstrahlen blicken, schnappt sich der Kopenhagener seinen Kaffeebecher, setzt sich an den Hafen und lässt die Seele baumeln. „Im Sommer sammeln sich hier die Menschenscharen, ohne dass es hektisch wird. Sie reden, genießen - und baden.“ Der Hafen der dänischen Hauptstadt ist einer der wenigen, der nachweisbar sauber genug ist, um darin zu planschen. Laut Reiseführerin Sine Louis Schmidt gilt das Schwimmen in den Gewässern mit Blick auf die Oper fast schon als Volkssport. Besonders Mutige lassen sich auch von der Kälte während der Wintermonate nicht abschrecken.
„Ein Däne wird auch nicht laut und regt sich nur selten auf. Wenn der Däne schreit, ist in der Regel etwas Schlimmes passiert“, wird die Reisegruppe beim Stadtrundgang weiter aufgeklärt, als die anwesenden Luxemburger sich immer wieder über die ungewöhnlich dezente Geräuschkulisse wundern. Die Erklärung? Hygge. Auf die Nachfrage, ob die Dänen denn morgens so lange im Stau stehen würden wie die Luxemburger, konnten die gebürtigen Nordländer nur grinsen.
„Wir bewegen uns größtenteils auf dem Fahrrad fort, daher stehen wir auch nicht im Stau“, verrät Melanie Herskind lächelnd. Im Großherzogtum habe sie sich kaum aufs Rad getraut, das Fortbewegungsmittel erschien ihr schlicht zu gefährlich. Heute ist es aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Das Umweltbewusstsein der anderen Art
Tatsächlich besitzen die 640.000 Einwohner Kopenhagens statistisch gesehen anderthalb Fahrräder pro Kopf. Dass es immer mehr „Cycle Superhighways“ gibt, ist also kaum verwunderlich. Die umweltfreundliche Mentalität verhelfe der Stadt hoffentlich bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen, erklärt die gebürtige Kopenhagenerin Sine Louis Schmidt, die selbst den Entschluss gefasst hat, gänzlich auf das Auto zu verzichten. Besonders stolz sei man derweil auf die elektrisch angetriebene Metro, die seit ihrer Eröffnung im Jahr 2002 täglich etwa 300.000 Passagiere befördert.
Wer mehr als die Hauptstadt Dänemarks entdecken will, sollte einen Tagesausflug nach Odense einplanen. Nach einer etwa einstündigen Zugfahrt ab dem Kopenhagener Hauptbahnhof erreicht man bereits Hans Christian Andersens Heimatstadt auf der dänischen Insel Fünen. Hier wird in puncto Sauberkeit und Umweltfreundlichkeit sogar noch einen draufgelegt. Vorbei ist der störende Anblick von überladenen Mülltonnen, die den Gehweg verengen und darauf warten, von der Müllabfuhr geleert zu werden.
Die Einwohner bringen ihren Müll zu Abfallstationen, unter denen sich große Container verstecken. Sind diese voll, wird das der Zentrale, die sich um die Müllentsorgung kümmert, mitgeteilt und mit nur einem einzigen Knopfdruck wird der Abfall abgesaugt. Nur Sauberkeit reicht jedoch nicht aus: Auch grün muss es sein. Daher müssen auch die Dachterrassen der Inselstadt begrünt sein.
Märchen und Mythen lauern an jeder Ecke
Bekannt wurde Odense allerdings nicht für sein innovatives Umweltbewusstsein, sondern für Dänemarks wohl berühmtesten Dichter und Märchenerzähler Hans Christian Andersen. „Die Prinzessin auf der Erbse“, „Das hässliche Entlein“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Des Kaisers neue Kleider“ oder „Däumelinchen“ sind nur einige Beispiele von Erzählungen, die aus seiner Feder stammen.
um weitere Bilder zu sehen.
Ein ganzes Museum sowie die Führung „Auf den Spuren von Hans Christian Andersen“ werden dem gebürtigen Odenseaner gewidmet. Seine Fußabdrücke leiten durch den verträumten, märchenhaften Ort, entlang der denkmalgeschützten, alten Häuslein und führen Besucher an die Orte, die den Autor besonders geprägt haben. An gefühlt jeder Ecke erwartet Touristen eine kuriose Erzählung, die mal zum Schmunzeln, mal zum Träumen einlädt.
Facettenreiches Kulturangebot und ein Freistaat inmitten der Stadt
Doch auch wem der Sinn nicht nach fantasiereichen Geschichten und Fabelwesen steht, kommt im skandinavischen Land auf seine Kosten. Neben viel Wasser, Mythen und Gemütlichkeit hat Dänemark nämlich auch ein facettenreiches Kulturprogramm zu bieten. „Die Kulturszene hat mich in Kopenhagen besonders geprägt“, erzählt Melanie Herskind, die selbst in Punk-Bands mitwirkt und in einer Kunsthandlung als Sales Assistant tätig ist. Ob Konzerte, diverse Kunstausstellungen, unterschiedlichste Museen: Die Kultur sei ein fester Bestandteil des dänischen Alltags.
Ihr persönliches Highlight sei das Schloss Rosenberg, das als Lusthaus des ehemaligen Königs Christian IV. diente. „Die Einrichtung ist so hässlich, dass sie schon wieder cool ist“, versucht sie sich lachend an einer Beschreibung des Ortes, den sie jedem zeigt, der sie besuchen kommt.
„Dieser Kitsch ist einfach ikonisch, ich mag dieses Etwas zu viel.“ Zudem könne man im Schloss Rosenberg die Kronjuwelen der beliebten dänischen Königsfamilie bestaunen. „Und wenn ich künftigen Reisenden noch etwas mit auf den Weg geben darf: unbedingt die Carlsberg Glyptotek besuchen. Das ist mein absolutes Lieblingsmuseum“, bekundet Herskind mit strahlenden Augen.
um weitere Bilder zu sehen.
Für die Seebegeisterten bietet sich indes das nationale Maritime Museum in Helsingør an. Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum in den neuen, modernen Gemäuern wird der Schauplatz im Oktober um eine große Modell-Ausstellung erweitert. Diesen Entschluss habe man gefasst, nachdem Besucher sich zusätzlich zu den verschiedenen Expositionen mehr Schiffsmodelle gewünscht hätten.
Das Erlebnis der besonderen Art bietet Christiania: Ein Freistaat mitten in Kopenhagen. Genaue Angaben darüber, wie viele Menschen hier wohnen, gibt es nicht. Sie zahlen keine Steuern - und auch die Polizei lässt sich in Christiania nicht blicken. Immerhin gelten hier keine Gesetze. Das ehemalige Militärgebiet wurde 1971 im Bezirk Christianshavn von Hausbesetzern übernommen. Seither zieht es vor allem Freigeister, Künstler, aber auch Touristen an.
Wer schlussendlich einfach nur auf der Suche nach dem Hygge-Erlebnis ist, sollte sich vor allem auf Folgendes konzentrieren: Bummeln, Entdecken und Genießen. Das am besten bei einem leckeren Smørrebrød und einem kalten Bier.
Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
