In der Ruhe liegt das „Craft“
In der Ruhe liegt das „Craft“
(nr) Während in etlichen Ländern Europas das sogenannte Craft Beer bereits in aller Munde ist, steht Luxemburg diesbezüglich noch etwas jungfräulich da. Unter Craft Beer (vom engl. Wort für „Handwerk") versteht man fantasievolle Biersorten von experimentierfreudigen, detailverliebten Jungbrauern. Doch die Rettung in der hiesigen „Geschmackswüste“ ist nah! Luxemburgs erster Biersommelier Sebastian Symolka bietet seit kurzem 64 solcher Alternativbiere in seinem Shop Humulus et Fermentum an. Wie man richtig Bier trinkt, welche Sorte perfekt zu Austern passt und warum besonders Vegetarier reichlich von dem flüssigen Gold trinken sollten, verrät er im Interview.
Auf Ihrer Website bezeichnen Sie Luxemburg als Geschmackswüste. Ist das Urteil nicht etwas hart?
Naja, sobald man woanders die Vielfalt unterschiedlicher Biergeschmäcker kennengelernt hat, merkt man, dass man hierzulande immer den gleichen Einheitsbrei trinkt. Nicht weil man das unbedingt will. Aber bis auf ein paar belgische Biere im Supermarkt bekommt man eigentlich nur luxemburgisches Bier. Und das ist alles Lager. Die ganzen avantgardistischen Sachen, wie Hopfenstopfen, sind hier kein Thema. Wobei es natürlich auch Ausnahmen in Gestalt von ein paar talentierten Hobbybrauern gibt.
Woher stammt diese Fokussierung auf einen einzigen Stil?
Das ist eine Kostenfrage. Manche Craft-Brauer benutzen das Zehnfache an Hopfen, um einen intensiveren Geschmack zu erzielen. Und sie greifen auch auf ganz andere Hopfensorten zurück. Hopfen aus Neuseeland liegt in einer etwas anderen Preisklasse als Hopfen, der direkt hinter der Grenze wächst. Und das ergibt natürlich vollkommen andere Geschmacksprofile. Luxemburg befindet sich diesbezüglich im Dornröschenschlaf. Aber das kann sich ändern – auch bei den großen lokalen Brauereien. Ein guter Vorreiter ist die luxemburgische Mikrobrauerei Béierhaascht. Der Brauer entwickelt seine Rezepturen konstant weiter. Außerdem filtriert und pasteurisiert er nicht, was ebenfalls einen anderen Geschmack ergibt. Daneben hat die Béierhaascht stets zwei saisonale Biere im Programm. In diesem Sommer gab's ein Weizenbier im deutschen Stil. Das war genial! Da hatte man ein karamelisiertes Aprikosenaroma in der Nase.
Bier muss also gar nicht so schmecken, wie die meisten Luxemburger glauben?
Man hat natürlich eine gewisse Erwartungshaltung. Man darf aber nicht jedes Bier mit luxembur-gischem vergleichen. Natürlich kann es sein, dass einem vieles zunächst nicht schmeckt, weil man es nicht gewohnt ist. Aber dann muss man sich in aller Ruhe mit dem Produkt auseinandersetzen, um herauszufinden, was einem genau an dem spezifischen Bier nicht gefällt. Vielleicht gibt es ja Komponenten, die einem dennoch zusagen. Zum Beispiel die Textur oder der Geruch.
Es kann wirklich vorkommen, dass einem der Geschmack überhaupt nicht gefällt, aber der Geruch?
Klar! An manchen Bieren schnuppere ich fast länger als dass ich davon trinke. 80 Prozent von dem, was wir schmecken, geht nämlich über die Nase. Auf der Zunge können wir salzig, süß, bitter, scharf und sauer wahrnehmen. Erst in Kombination mit dem, was wir riechen, nimmt man den Geschmack in all seiner Komplexität wahr. Bier verkostet man deshalb am besten durch retronasales Riechen.
Retronasales Riechen? Klingt kompliziert.
Man braucht ein wenig Übung, aber vom Geschmackserlebnis her zahlt es sich aus. Zunächst wird das Bier wie beim Weinverkosten gerochen. Dann nimmt man einen kleinen Schluck und lässt ihn ein wenig im Mund wirken, während man sich die Nase zuhält. Anschließend schluckt man und atmet langsam durch die Nase aus. So kommen noch mal ganz andere Aromastoffe zum Vorschein.
Apropos Aroma: Manche Leute behaupten, dass Bier aus bestimmten Gläsern besser schmeckt.
Die Form hat tatsächlich Einfluss auf den Geschmack des Bieres. Weil sie uns dazu zwingt, auf eine bestimmte Art und Weise zu trinken. Bei großen Öffnungen kann man den Kopf nicht in den Nacken legen, weil man sich sonst mit dem Bier übergießt. Stattdessen trinkt man mit relativ gesenktem Kopf. Was zur Folge hat, dass man die Geschmacksknospen an der Zungenspitze, welche zuständig für Süße sind, stärker stimuliert. Dadurch verstärkt man also automatisch die süße Komponente eines Bieres. Umgekehrt muss man bei einer kleinen Öffnung den Kopf tiefer in den Nacken legen. Und weil hinten auf der Zunge die Geschmacksknospen für die Wahrnehmung von Bitterstoffen liegen, wird in dem Fall die Bitterkeit eines Bieres hervorgehoben. Einige Spezialisten meinen sogar, dass die Dicke des Glases und die Glätte des Materials einen Einfluss haben. Und wo wir schon einmal beim Thema Gläser sind: Stellen Sie die Gläser ja nicht in die Spülmaschine! Die Spülmittel zerstören nämlich den Schaum.
Was kann der 08/15-Biertrinker sonst noch falsch machen?
In Luxemburg wird Bier konsequent zu kalt serviert. Aber Kälte verstärkt die Bitterkeit und das CO2-Empfinden, während die anderen Aromen regelrecht untergehen. Natürlich ist es auch vollkommen in Ordnung, ein Pils bei 6° C zu trinken, wenn man nur seinen Durst löschen will. Aber genusstechnisch sind bei den meisten Bieren 8-12° C ideal. Vor allem bei Craft-Bieren, wo der Geschmack im Vordergrund steht.
Als Biersommelier sind Sie auch Experte, wenn es darum geht, zum Essen das passende Bier zu empfehlen. Das mag für manchen befremdlich klingen.
Es muss ja nicht immer Wein sein. Ich habe Gerichte mit Wein gegessen, das war super! Aber ich habe das gleiche Gericht mit Bier probiert. Und das war besser! Aber leider ist in Luxemburg die Bierkultur im Gegensatz zur Weinkultur nie wirklich vorangetrieben worden.
Was können Sie denn empfehlen?
Zu Austern oder Miesmuscheln würde ein schwarzes Porter mit leichten Röst-Malzaromen passen. Vielleicht auch eins mit leichten Schokoladen- oder Kaffeenoten. Man muss sich nur trauen. Glauben Sie mir: Die Kombination ist genial! Oder auch zu indischem Essen passt Bier ganz hervorragend. Da braucht man etwas, das die Schärfe von der Zunge nimmt. Mit einem Wein funktioniert das nicht. Mit einem Indian Pale Ale schon.
Was ist mit Bier zum Dessert?
Letztens habe ich eine Zitronen-Pannacotta mit gerösteten Paranüssen und einer dünnen Schokoladenschicht mit einem schwarzen Engineer's Reserve kombiniert, weil es ganz viele Schokoladen- und Kaffeearomen hat. Zu einer Mascarpone-Eiscreme mit Vanille würde ich derweil ein im Whiskeyfass gelagertes Ola Dubh von Harviestoun empfehlen.
Gibt es denn auch Nicht-Biertrinker, die Sie durch eine Verkostung schon „bekehren“ konnten?
Bekehren klingt etwas dramatisch. Aber ich hatte effektiv eine Kundin, die kein allzu großer Fan von herkömmlichem Bier war. Ich habe ihr ein relativ starkes Bier vorgesetzt, das mit Gourmet-Kaffee gebraut wird. Das Tolle daran ist, dass man eine ganz klare, malzige Espressonote neben einer leichten Zitrusnote wiederfindet. Die Dame war regelrecht fassungslos, weil die Grenzen zwischen Kaffee und Bier auf so wunderbare Weise verschwommen sind.
Geschmack beiseite: Bier soll ja auch supergesund sein, oder nicht?
Hopfen desinfiziert. Außerdem sind, ähnlich wie beim schwarzen Tee, viele Polyphenole enthalten, die Antioxidantien im Körper bilden. Das enthaltene Silizium ist zudem gut bei Osteoporose. Und das Bier enthält alle B-Vitamine, was vor allem Vegetariern zugute kommt. Wobei man natürlich nicht erwarten darf, dass man zehn Bier trinkt und man dann gesund ist. Aber ein oder zwei Gläser am Tag sind definitiv besser als keines!
Der Hot Spot für Bierliebhaber
Sebastian Symolkas Bier-Mekka „Humulus et Fermentum“ in Heisdorf ist jeden Freitag von 15 bis 19 Uhr und Samstag von 10.30 bis 18 Uhr geöffnet. Zusätzlich bietet der Biersommelier maßgeschneiderte Bierverkostungen an – direkt vor Ort oder an einer Location nach Wahl. Weitere Informationen und die genaue Adresse finden Sie unter www.humulus.lu.
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