In der Parfumschmiede von Louis Vuitton
In der Parfumschmiede von Louis Vuitton
von Manon Kramp
Inmitten der südfranzösischen Stadt Grasse liegt hinter hohen Mauern verborgen ein geheimer Garten. Lange war das Anwesen „Les Fontaines Parfumées“ dem Verfall preisgegeben – bis es auf Initiative von Louis Vuitton aus dem Dornröschenschlaf erweckt wurde.
Jacques Cavallier Belletrud, Hausparfümeur des französischen Luxuslabels, öffnet uns die Tore dieses historischen Kleinods, das nunmehr die Geburtsstätte exklusiver Düfte ist. Mit einem herzlichen Lächeln übernimmt er die Führung durch das einen Hektar große Areal. Am Ende eines von Olivenbäumen und Pinien gesäumten Rasens erhebt sich eine herrschaftliche Bastide aus dem 17. Jahrhundert.
2013 hatte das Traditionslabel Louis Vuitton das seit 1970 komplett heruntergekommene Anwesen erworben und mithilfe lokaler Handwerker renovieren lassen. Der Weg dorthin führt durch den neu angelegten Park, in dem mehr als 350 Pflanzenarten gedeihen: Lavandin, Myrte, die „Rose de Mai de Grasse“ und der „Jasmin de Grasse“, Tuberose, Veilchen, mehr als 20 Minzesorten, Zitrusfrüchte aller Art ... Der Parfümeur greift nach einer gelben Frucht mit länglichen Auswüchsen. Aus den Poren quellen Tröpfchen mit würzig-säuerlichem Duft. „Buddhas Hand! Riecht das nicht wunderbar?“, begeistert sich Jacques Cavallier Belletrud.
Die groben Steinplatten im Eingangsbereich der Bastide verströmen eine angenehme Kühle. Ideal gegen die Sommerhitze. Vorbei an Speisesaal, Küche und Bibliothek, kommt man zur Rotunde mit dem Wintergarten. Durch die Art-Déco-Verglasungen wirft die Sonne bunte Lichtflecken auf die gemusterten Bodenfliesen. Heute sprudelt aus der Jugendstil-Fontäne mit den blau-weißen Blumenmosaiken und den bronzenen Speiern in Form von Frauenköpfen kein Parfum mehr. Doch vor rund hundert Jahren wurden hier Essenzen abgefüllt. Eine hübsche Verkaufsidee, die man wieder beleben will.
Der Name „Les Fontaines Parfumées“ (auf Deutsch „duftende Brunnen“) soll allerdings auf das Wasser der Foux zurückgehen, die unter dem Anwesen hindurchfließt und sich in die Kanäle der Stadt ergießt, die früher die vielen Gerbereien versorgten. Dort nutzte man aromatische Pflanzen wie Myrte und Mastixstrauch zum Gerben des Leders, wobei Erstere das Wasser grün färbte. In der ehemaligen Olivenöl-Mühle neben der Bastide kann man durch einen Glasboden den Wasserfall der Foux sehen, die ins Tal plätschert. Das Gebäude beherbergt nun ein Ausbildungszentrum für Fachkräfte. Das Weitergeben von Wissen ist Teil der Firmenphilosophie.
Wasser war seit jeher wichtig für Grasse, die Welthauptstadt des Parfums. Lange vor den Parfümeuren waren es die Gerber, die im Mittelalter die Geschicke und die Geschäfte der Stadtrepublik bestimmten. Ihre feinen Lederhandschuhe waren beliebt. Um den weit weniger feinen Geruch des Leders zu kaschieren, fing man an, sie zu parfümieren. Eine Idee, die durch Katharina von Medici im 16. Jahrhundert zum Exportschlager wurde. Die Essenzen dafür wurden aus Blumen gewonnen. Für jene, die zu fragil für lange Transportwege waren, legte man Felder an. Dank des in den Ausläufern der Seealpen vorherrschenden Klimas gediehen dort Jasmin, Rosen, Lavendel, Mimosa und Tuberose prächtig.
Eine Fügung des Schicksals
Die Destillation von Duftstoffen wurde ab dem 18. Jahrhundert zum Hauptgeschäft. Ihren Höhepunkt kannte die Parfumindustrie zwischen 1925 und 1965, sie litt aber dann unter dem kontinuierlichen Schwund von Anbauflächen. Mit dem seit einiger Zeit andauernden, weltweiten Run auf Düfte erlebt Grasse wieder einen Aufschwung, der nicht zuletzt auch großen Häusern wie Louis Vuitton, Dior oder Chanel zu verdanken ist, die für ihre Produktion ganze Ernten bestimmter Blumen wie Jasmin aufkaufen. „Die Konzentration an Wissen über die natürlichen Parfumrohstoffe, die man hier findet, ist einzigartig“, sagt Jacques Cavallier Belletrud.
Für ihn ist es eine Heimkehr zu den Wurzeln. Bereits als Kind ging der gebürtige Grasser, Sohn eines Parfümeurs, auf dem Weg zur Schule an dem dunklen Eisentor des Anwesens vorbei. Alles sei sehr geheimnisvoll gewesen. Später habe er erfahren, dass dahinter eine verlassene Parfumfabrik liege. Als man ihm Louis Vuittons Projekt der „Fontaines Parfumées“ vorgelegt habe, habe er zuerst nicht gewusst, wo diese sein könnten, bis es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen sei.
Nun befindet sich sein Atelier im ersten Stock des mehr als 1 000 Quadratmeter großen Hauptgebäudes. Gleich nebenan arbeitet sein Kollege François Demachy, ebenfalls ein Grasser und die Nase von Dior. Sie teilen sich das Laboratorium im Obergeschoss, wo dank innovativster Techniken komplexe chemische Formeln in verführerische Parfums verwandelt werden.
Die vergessene Erbschaft
Seit dem Engagement von Jacques Cavallier Belletrud im Jahr 2012 wartete man gespannt auf ein Parfum von Louis Vuitton Malletier, das als eines der wenigen Modehäuser in diesem Bereich durch Abwesenheit glänzte. Von den in Vergessenheit geratenen frühen Kreationen „Heures d'Absence“ und „Sur la Route“ (1927), „Je, Tu, Il“ (1928), „Réminiscences“ und „Eau de Voyage“ (1946) wusste kaum noch jemand, denn von ihnen ist – außer ein paar raren Flakons – heute nichts mehr übrig. „Es blieb nicht die geringste Duftspur erhalten“, sagt Jacques Cavallier Belletrud in seinem Atelier.
Eine richtige Erbschaft konnte er demnach nicht antreten. Und so erhielt der Parfümeur, der zuvor Klassiker wie „Acqua di Giò“, „L’Eau d’Issey“ oder „Classique“ von Jean-Paul Gaultier signierte, eine „Carte Blanche“. Die Möglichkeiten dieses kreativen Freibriefs nutzte er voll aus: Man staunte nicht schlecht, als nach einer vierjährigen Entwicklungszeit im September 2016 nicht „ein“ großer Wurf, sondern gleich sieben Eaux de Parfum vorgestellt wurden: „Rose des Vents“, „Turbulences“, „Dans la Peau“, „Apogée“, „Contre Moi“, „Matière Noire“ und „Mille Feux“. Die verheißungsvollen Namen stehen in schlichten schwarzen Lettern auf identischen Glasflakons, die an alte Apothekerflaschen erinnern. „Ich habe die Düfte vornehmlich für Damen kreiert“, so der Parfümeur. Manche davon würden aber auch gerne von Männern getragen, vor allem das an Tuberose reiche „Turbulences“.
Es sind ausgewogene Duftkompositionen – strahlend, blumig, leicht, aromatisch, würzig. Sie überzeugen durch die Qualität ihrer Ingredienzen, und es ist gerade die Abkehr vom Mainstream und der Verzicht auf Effekthascherei, die sie in ihrem Ansatz so modern machen.
Die Nase voll
Die Rosenaromen, die dem weißen Papierstreifen entströmen, sind so intensiv, dass einem beinahe trunken wird. Nur ein winziges Tröpfchen einer bräunlichen Essenz hat gereicht, um eine ganze Rosenhecke vor dem inneren Auge erblühen zu lassen. „Dies ist der typische Duft der ,Rose de Mai de Grasse', sagt Jacques Cavallier Belletrud. „Diese Rosa centifolia ist einzigartig. Sie wächst nur im Umland von Grasse. Das hiesige Mikroklima und die einzigartige Bodenbeschaffenheit beeinflussen ihren Duft. Genau wie bei einem herausragenden Wein.“
In dem brandneuen Hightech-Laboratorium stehen an die 2 500 verschiedene Essenzen. Ein Abzug saugt permanent die starken Düfte ab, sodass die Luft neutral bleibt. Der Parfümeur wedelt mit einem weiteren Probestreifen in der Luft. Ein sehr sonniger, blumiger Duft verbreitet sich. „Das ist der 'Jasmin de Grasse'. Er hat ganz typische, einzigartige Noten und ist ebenfalls hier heimisch“, erzählt der Kreateur leidenschaftlich.
Um den Duft frischer Pflanzen unverfälscht einzufangen, nutzt man eine innovative Extraktionstechnik anhand von überkritischem Kohlenstoffdioxid. Ein Verfahren, das Jacques Cavallier Belletrud während seiner Zeit bei dem Aromen- und Parfumhersteller Firmenich entwickelte. „8 000 Jasminblüten wiegen gerade mal ein Kilo. Und man braucht 650 davon, um ein Kilo Extrakt herzustellen“, betont er.
Ein Hauch von Leder weht vorbei. Sanft und weich. Für diesen Duft ließ er ein helles, naturbelassenes Leder in Alkohol ziehen. Das gleiche Leder, mit dem Louis Vuitton die Griffe seiner Koffer und Handtaschen verkleidet, verwandelt sich im Zusammenspiel mit Rose und Vanille auf der Haut in eine warme, sinnliche Erfahrung. Parfums haben doch etwas Magisches.
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