Im Tal des Zauberbergs
Im Tal des Zauberbergs
„Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.“ So beginnt Thomas Mann seinen berühmten Bildungsroman „Der Zauberberg“, dessen Protagonist Hans Castorp in der entlegenen Welt des schweizerischen Kurbetriebs von einst den unterschiedlichsten Charakteren begegnet.
Dass Davos und das Sanatorium auf der Schatzalp dort eine so präzise geschilderte Kulisse abgeben, hat einen biografischen Hintergrund: Anlässlich der Kur seiner Frau Katia im Waldsanatorium – man hatte bei ihr einen Lungenspitzenkatarrh, ein Frühstadium der Tuberkulose, diagnostiziert – hielt sich der Schriftsteller 1912 drei Wochen lang in Davos auf. Allerdings wählte er nicht das Sanatorium seiner Frau als Schauplatz des Romangeschehens, sondern das damals noch recht junge Sanatorium auf der Schatzalp, den Berghof.
Vom Sanatorium zum Hotel
Der Besuch des heute unter dem Namen Berghotel Schatzalp geführten und weitgehend original belassenen Gebäudes gleicht einer Zeitreise. Erbaut wurde das als Luxussanatorium konzipierte Haus von den jungen Züricher Architekten Otto Pfeghard und Max Haefelil von 1898 bis 1900. Das Duo erhielt den Auftrag auch durch das Zutun des aus den Niederlanden stammenden und in Davos sehr einflussreichen Unternehmers Willem Jab Holsboer, der für die Realisierung seines Projekts um „junge Leute, mit denen man sprechen kann“ bat. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit – ein Gebäude mit Flachdach aus Stahlbeton – war für damalige Zeiten äußerst modern. Die schlichte Formensprache ergänzte man jedoch durch floral-dekorative Elemente des Jugendstils.
Auf der Terrasse des Plateaus stehen noch heute die gelben Davoser Liegestühle aus Bambus, fein säuberlich in Richtung Südwesten ausgerichtet, als würden sogleich die nächsten Patienten – in Fellsäcke und Decken gewickelt – für das verordnete Sonnenbad Platz nehmen. Denn wer sich hier zur Therapie einfand, litt an einer damals noch nicht medikamentös behandelbaren und in Europa weit verbreiteten Infektionskrankheit: Tuberkulose, die ehemals auch Schwindsucht genannt wurde. Einzig und allein die Höhenluft, so fand man heraus, schien die Krankheit in Kombination mit Sonnenlicht und viel Kuhmilch besiegen zu können. Sechs bis neun Stunden im Freien und sieben Mahlzeiten am Tag sollten die Betroffenen wieder zu Kräften bringen.
Mittagspause auf der Alp
Um die Aussicht hier oben auf 1861 Metern in das Tal von Davos zu genießen und durch den botanischen Garten zu spazieren, kann man entweder die sportliche Variante wählen und innerhalb von etwa 40 Minuten in Serpentinen bergauf wandern – oder man lässt sich ganz bequem mit der Standseilbahn in nur vier Minuten von der Talstation in Davos-Platz aus herauf befördern.
Den möglicherweise aufkommenden Appetit auf eine Brotzeit kann man, nach nur weiteren zehn Gehminuten, auf der Strela-Alp stillen, wo man unter anderem einheimische Spezialitäten wie Gerstensuppe oder das bekannte luftgetrocknete Bündnerfleisch serviert. Den anschließenden Kaffee versüßen hausgemachte Kuchen, darunter Nicis Linzertorte, während man an schönen Herbsttagen noch die Höhensonne und den Ausblick auf der Terrasse genießen kann. Wer gut zu Fuß und früh genug am Start ist, kann von hier aus weiter wandern oder den Rückweg ins Tal – auf die sportliche oder bequeme Art – antreten.
Zwei einflussreiche Herrschaften
Den Aufstieg zum Kurort hat Davos, das aus den Ortsteilen Davos-Platz und Davos-Dorf besteht und als die höchstgelegene Stadt Europas gilt, vor allem einem Arzt aus deutschen Landen zu verdanken. Alexander Spengler hatte im November 1853 in dem damals von großer Armut und Hunger unter den Bauern geprägten Dorf eine wenig begehrte, aber für die Erteilung des von ihm benötigten Schweizer Asyls wichtige Stelle als Landschaftsarzt angenommen. So versuchte der Mediziner, der in Zürich studiert hatte, in der verlassenen Berggegend sein Bestes, um die Einheimischen zu betreuen, die an so manchem, jedoch nicht an der sonst so verbreiteten Tuberkulose litten, die europaweit jährlich Zehntausende Menschenleben forderte.
Spengler vermutete, wie einige seiner Kollegen, die Ursache im Höhenklima und entschied sich, die geografischen Gegebenheiten von Davos für therapeutische Zwecke für Gäste von außerhalb zu nutzen. Mit Erfolg. Das sprach sich herum – und so reiste auch der bereits erwähnte niederländische Kaufmann Willem Jan Holsboer 1867 mit seiner an Tuberkulose erkrankten Frau an, die jedoch noch im gleichen Jahr verstarb. Dennoch blieb Willem Jab Holsboer in Davos und half Spengler mit unternehmerischem Geschick dabei, den Ort in ein florierendes Kur- und Erholungszentrum zu verwandeln. Bereits am 31. Dezember 1885 bilanzierte das Davoser Wochenblatt 1 184 internationale Gäste für das endende Jahr.
Bahnfahren wie vor hundert Jahren
Auf den Spuren seiner Errungenschaften, zu denen neben dem Sanatorium auf der Schatzalp auch die Bahnverbindung nach Davos zählt, kann man heute auf der zum Unesco-Weltkulturerbe zählenden Strecke zwischen Davos-Platz und Filisur mit einem historischen Zug samt Elektro-Lok aus der Zeit um die Jahrhundertwende durch die Landschaft fahren. Wie seinerzeit hat man – dank der detailgetreuen Restaurierung durch örtliche Eisenbahnvereine – die Wahl zwischen der ganz einfachen Holzklasse, der zweiten Klasse oder aber der ersten Klasse, wo man auf edlen Polstern im nach Jugendstil–Art vertäfelten Abteil Platz nehmen kann. Dann wird man auf einer knapp halbstündigen Fahrt durch Schluchten, Tunnel, über ein Viadukt, vorbei an einem Wasserfall in eine andere Welt befördert – und auf Wunsch nach kurzem Aufenthalt auch gleich wieder zurück nach Davos-Platz.
Ebenfalls zur Gemeinde Davos gehört das zwölf Kilometer entfernte Klosters. Während das städtische Tal von Davos stark durch den Stil der Jahrhundertwende geprägt ist, findet man in Klosters noch zahlreiche Holzbauten der Walser, die das Gebiet einst vom Wallis her besiedelten. Vom Ortskern aus erreicht man über einen etwa 45-minütigen Fußweg – oder wahlweise per Kutsche von Christian Flütsch – die Alp Garfiun, von der aus man nach einer kulinarischen Verschnaufpause wiederum den Rückweg antreten oder eine weitere Wanderung anschließen kann.
Bier aus luftiger Höhe
Für Wanderer eignet sich die landschaftlich sehr reizvolle Gegend um Davos-Klosters insbesondere wegen der zahlreichen Möglichkeiten für Touren unterschiedlichster Längen und Schwierigkeitsgrade. Zurzeit sehr beliebt sind auch die Mountainbike-Strecken, die insbesondere „downhill“ genutzt werden. Die Seilbahn übernimmt den Aufstieg, bergab fährt man selbst. Wer in die Welt des alpinen Zweiradsports hineinschnuppern möchte, findet professionelle Begleitung samt Leihrad – mit und ohne E-Support – bei der Bike Academy in Davos-Dorf.
Liebhaber von Craft-Bier sollten eine Besichtigung der höchstgelegenen Brauerei der Schweiz in Monstein in ihr Urlaubs-Programm aufnehmen. Auf der Fahrt dorthin im Oldtimer-Bus von Davos-Platz aus erfährt man von Robert Moor obendrein einiges Wissenswertes zur Ortsgeschichte. Das prämierte Bier wird später natürlich auch verkostet.
Bis heute eng verbunden ist Davos mit einem Künstler, der die Berggegend zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg aus gesundheitlichen Gründen zu seiner neuen Heimat auserkor: der in der Zeit des Expressionismus zu Ruhm gelangte und als Gründungsmitglied der Gruppe „Brücke“ bekannte deutsche Maler und Grafiker Ernst Ludwig Kirchner. Auf einer geführten Wanderung erfährt man Interessantes zu Leben und Werk des Ausnahmekünstlers und kann seine verschiedenen Wirkstätten in Augenschein nehmen. Unbedingt sehenswert ist das Kirchner Museum in Davos-Platz, in dem zahlreiche Werke aus den verschiedenen Schaffensphasen Kirchners sowie seiner kurzfristigen Weggefährten aus der Periode des Expressionismus im Kontext der Provenienzforschung ausgestellt sind.
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