Hochschwarzwald: Büffel, Kutschen und Kirschtorte
Hochschwarzwald: Büffel, Kutschen und Kirschtorte
Grauer Bart, sonore Stimme, trockener Humor. Bernhard Andris ist ein guter Erzähler. Eine Stunde lang unterhält der 61-Jährige seine Besucher mit Geschichten und Anekdoten über den Raimartihof, seinen Schwarzwaldhof am Fuße des Feldbergs. Ende September genießen auf der Terrasse ein Dutzend Gäste bei Radler und Bier in der Herbstsonne die Stille der Natur. Auf den Wiesen in der Nähe des Hofes weiden Galloway-Rinder. Bernhard Andris mag seine „Schwarzwaldbüffel“.
Der Hof der Familie Andris liegt in einem Naturschutzgebiet, die Gäste kommen zu Fuß, mit dem Rad oder mit einer Pferdekutsche. Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Autoverkehr nicht mehr erlaubt. Weit vor dem Hof geht es an einer Schranke nicht mehr weiter. „Für meine Eltern war diese Schranke existenzbedrohend,“ erinnert sich Bernhard Andris. „Heute überwiegen die Vorteile.“ Naturschutz und Tourismus vertragen sich wieder.
Allein von der Landwirtschaft könnte Familie Andris, die den Hof in der sechsten Generation betreibt, nicht leben. Zum Glück gibt es heute die Gastronomie, die Räuberhütte, das Sägerhäusle, das Raimartihisli und die Hofwohnung, in denen man zu günstigen Preisen übernachten kann. Wanderer, Radfahrer und Langläufer sorgten dafür, dass der Raimartihof schon lange kein Geheimtipp mehr ist. Das Fleisch von den Galloway-Rindern kommt im Restaurant auf den Tisch, Schinken wird in der hofeigenen Rauchkammer geräuchert, Bibiliskäse ist eine Spezialität des Hauses.
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Harte Arbeit, ungewisse Zukunft
Mit der Romantik möchte es Bernhard Andris, der auch 25 Jahre lang Mitglied des Gemeinderates Feldberg war, dennoch nicht übertreiben. Ungewiss ist die Zukunft des Raimartihofes, da hilft auch die Romantik nicht weiter. „Die Zeiten, in denen die Familie alles machte, sind vorbei. Ohne Fremdpersonal geht es nicht.“ Bernhard Andris und seine Frau Ruth hoffen, dass die jüngste Tochter den Hof übernehmen wird. „Die Begeisterung über die Arbeit auf einem Hof legt sich meistens nach einem oder zwei Jahren,“ weiß Andris.
Gegen 18 Uhr treffen weitere Wanderer im Reimartihof ein. Drei Frauen und drei Männer sind seit sechs Stunden unterwegs. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit haben sie noch den Feldsee umrundet und die wechselnden Licht- und Schattenspiele genossen. Der Feldsee liegt am Feldberg, nur ein paar Gehminuten vom Hof entfernt. Die drei Paare werden im Reimartihof übernachten und morgen die nächste Wanderetappe auf dem Feldbergsteig in Angriff nehmen.
Wanderern und Radfahrern begegnet man im Hochschwarzwald auf Schritt und Tritt. Er hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu der beliebtesten Ferienregion im Schwarzwald entwickelt: Am Schluchsee, am Titisee, am Feldberg sind auch Tausende Luxemburger bereits einmal gewesen. Bekannt sind auch Dörfer wie St. Märgen, Lenzkirch und Hinterzarten. Diese Hotspots der Region erreicht man von Luxemburg aus in knapp vier Autostunden. Der Hochschwarzwald das sind heute 16 Orte, 2 000 Gastgeber, 30 000 Gästebetten, 1 700 Kilometer Wanderwege, vier Millionen Übernachtungen und 5,5 Millionen Tagesgäste.
Eine gehörige Portion Klischees
Ob Touristen aus Luxemburg oder Tagesgäste aus dem Elsass: An einen Besuch im Schwarzwald – oder eben im Hochschwarzwald – knüpft man Erwartungen. Man freut sich auf schöne Landschaften, auf eine tatsächlich noch ziemlich intakte Natur, auf Traditionen und Brauchtum und auf eine Portion Klischees. Eines dieser Klischees geht durch den Magen.
Seit 37 Jahren bereitet Marie-Antoinette Schwer im Gasthaus zum Kreuz am Rande des 1 800 Einwohner zählenden Ortes St. Märgen Kirschtorten zu. Mit atemberaubender Geschwindigkeit baut sie auf dem bereits fertigen Boden aus Mürbeteig die Kalorienbombe zusammen und gibt reichlich Kirschwasser dazu. „Eine Schwarzwälder Torte muss man frisch essen, am nächsten Tag soll sie weg sein, schließlich verfliegt das Kirschwasser.“ Marie-Antoinette Schwer stammt aus der Eifel, sie hat einen Schwarzwälder geheiratet, sie hat den Schwarzwälder Dialekt gelernt, sie hat bis heute „aber noch nicht ein Stück Kirschtorte gegessen“.
Stolz auf „unsere Kirschtorte“ sind auch die Mitarbeiterinnen des Landfrauen-Cafés „Zur Goldenen Krone“ im Zentrum von St. Märgen. 15 Jahre lang stand das einstige Klostergasthaus leer, der Abriss drohte, dann hatte eine Bürgerinitiative die zündende Idee. „Wir wollten Arbeitsplätze für Frauen aus der Region schaffen und zugleich regionale Produzenten unterstützen“, erzählt Walburga Rombach von den Landfrauen. Das Gebäude wurde saniert, der Dorfkern dadurch wiederbelebt.
Zwei Dutzend Frauen haben in den vergangenen Jahren in dem Café eine Teilzeitarbeit gefunden. In „einem Lädle“ neben dem Café verkaufen sie Produkte, die man nicht im Großhandel findet: handgestrickte Socken, Naturkosmetik, Kräuterprodukte, handgemaltes Porzellan. Während Walburga Rombach über die Landfrauen und die Goldene Krone spricht, schleppen ihre Mitarbeiterinnen im Akkord Suppen, Quiches und Torten zu den bis auf den letzten Platz besetzten Tischen. „Auch wenn wir noch nicht reich geworden sind, wundern wir uns doch, von wie weit her unsere Gäste mittlerweile kommen.“
Vom Café sind es nur ein paar Schritte bis zum Klostermuseum St. Märgen. Vor der Tür wartet Museumsführer Rudolf Schwär auf Besucher. Auf den Rücken hat er sich eine Schwarzwalduhr geschnallt. Über das Uhrmacherhandwerk, über Schwarzwälder Uhren und Kuckucksuhren könnte Rudolf Schwär stundenlang berichten. Beim Rundgang durch das Museum kommen die Besucher an Hunderten von Exponaten vorbei. „Eine normale Schwarzwälder Uhr, die ordentlich gepflegt und unterhalten wird, läuft wenigstens 200 Jahre lang,“ versichert Rudolf Schwär. Im Museum erfahren die Besucher aber auch viel über den Aufschwung des Uhrmacherhandwerks. Die Gegend um St. Märgen galt lange Zeit als Uhren-Exportweltmeister.
Die Menschen im Hochschwarzwald haben viel zu erzählen. Von dieser Regel macht Wolf Hockenjos keine Ausnahme. Der „Bannwald“ ist das Fachgebiet des 79-jährigen pensionierten Försters. 1950 hatte sein Vater Fritz, von Beruf ebenfalls Förster, die Idee „nach einem Sommersturm das Sturmholz zur Wildnis werden zu lassen“ und somit das ursprüngliche Bild des Schwarzwaldes zu erhalten. Ein Bannwald, erläutert Hockenjos, sei „ein Waldreservat im Sinne des Prozessschutzes.“
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Urwaldforscher und Pferdezüchter
70 Jahre später wandern am Rande von Sankt Märgen die Menschen durch den Bannwald zu den Zweribach-Wasserfällen. Im Urwald von morgen wird auch geforscht. Wildnispädagogik ermöglicht es, Besuchern „die unbearbeitete Natur zu zeigen“. Auf ungeteilte Zustimmung war das Vorhaben, den Wald und die Natur sich selbst zu überlassen, nicht gestoßen. Auch heute rücken erneut grundsätzliche Fragen in den Mittelpunkt: Sollen im Hochschwarzwald weitere Windkraftanlagen gebaut werden? Wolf Hockenjos hat seine Bedenken, er stellt die Effizienz der Anlagen in Frage.
Eine halbe Autostunde vom Bannwald entfernt, auf dem Bartles-Hof bei Hinterzarten, wartet unterdessen Aida auf neue Gäste. Auf ihrem Rücken liegt ein Dachsfell, es hält ihr die Fliegen vom Leib. Aida ist eines von 13 Pferden, die auf dem Hof ihr Zuhause haben. Sie sei, sagt Lisa Meier, ein gutmütiges, gelassenes Pferd.
Lisa Meier und ihr Vater Manfred Feser züchten auf ihrem Hof Schwarzwälder Füchse. Es handelt sich um eine alte Pferderasse, die früher bei der schweren Waldarbeit eingesetzt wurde. Diese Zeiten sind vorbei, auch die Pferde vom Bartles-Hof müssen nicht mehr im Wald schuften. Heute kommen Einheimische und Touristen zum Reiten auf den Hof, andere Pferde werden vor Kutschen oder im Winter vor Schlitten gespannt.
„Auf unseren Kutschen fanden schon Junggesellenabschiede statt und es hat schon Heiratsanträge auf einer Kutsche gegeben,“ erzählt Lisa Meier, während sie und ihr Vater zwei Gespanne startklar machen.
Eine dreieinhalbstündige Kutschenfahrt kostet 140 Euro – unabhängig von der Zahl der Gäste. Vor jede Kutsche werden zwei Pferde gespannt, im Schwarzwald geht es häufig ordentlich bergauf. Ein beliebtes Ziel der Kunden von Lisa Meier und Manfred Feser ist der Reimartihof. Während der Fahrt legen sich Franjo und Rico mächtig ins Zeug, die Pferde müssen einen Höhenunterschied von 200 Metern bewältigen. Auf dem Raimartihof treffen die Schwarzwälder Füchse von Lisa Meier wenig später auf die Schwarzwaldbüffel von Bernhard Andris. Viel mehr Schwarzwald auf einen Schlag geht nicht.
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