Frühlingserwachen am Großglockner
Frühlingserwachen am Großglockner
von Heidrun Lange
Der Enzian streckt seine blauen Blüten empor. Der schwarze Alpensalamander liegt faul in der Sonne. Schrille Pfiffe der Murmeltiere unterbrechen die Stille. Aufi und obe – oben und unten – sind die wichtigsten Begriffe für die kommende Saison im Nationalpark Hohe Tauern in Österreich. Vor allem wenn man mit dem Ranger große und kleine Tiere beobachten will.
Start im Habachtal
Doch zunächst einmal ist nichts mit aufi. Gewitter am vergangenen Abend, Regen am Tag, aber auch Sonne. Also erst mal kein Aufstieg zur Kaiser-Franz-Josephs-Höhe mit der Aussicht auf den Großglockner. „Da oben kommt nicht mal die Schneemaus aus ihrem Bau“, sagt der Ranger. Der Frühling ist gerade erst in den Hohen Tauern angekommen. Ranger Herbert führt seine Gäste bei Regen zunächst auf eine Waldlichtung im Habachtal, das sich wie ein sattgrüner Gürtel an den Berg schmiegt. Der 44-Jährige ist Wildhüter und sorgt dafür, dass die Wege begehbar sind, beobachtet das Wild und führt Touristen.
Diese folgen ihm auf einem kleinen Pfad, der am Flusslauf entlangführt, sich zwischen dunklen Fichten hindurchschlängelt und auf dick bemoostem Waldboden fast ganz verloren geht. Dicke Baumstämme haben sich über reißende Bäche gelegt. Die Sonne zwängt sich durch die Wolken, der Waldboden dampft. Gräser, Blumen, Triebe, alle scheinen nur darauf gewartet zu haben, endlich wieder ans Licht zu kommen, raus aus der Erde, der Schale, dem Zweig. Kleine Rinnsale suchen sich ihren Weg zum Bach, stauen sich an Steinen, umfließen morsche Äste, treiben Sand voran.
Herbert rennt in den Wald und hebt jeden Stein auf. „Der müsste doch bei diesem Wetter zu finden sein“, murmelt er vor sich hin. Eine halbe Stunde sucht der Wildhüter. Am Waldrand bleibt er stehen und zeigt auf die Wiese, wo reglos etwas Schwarzes liegt. Da ist er: Der Alpensalamander. Faul liegt er in der Sonne auf einem grünen Moosbüschel. Der kohlrabenschwarze Kopf reckt sich in die Höhe – und schon ist das Tier wieder verschwunden. „Wir nennen es pechschwarzes Regenmännchen, weil es nur aus seinem Versteck herauskommt, wenn es feucht und warm ist“ erklärt Herbert den putzigen Namen.
Wir nennen es pechschwarzes Regenmännchen, weil es nur aus seinem Versteck herauskommt, wenn es feucht und warm ist.
Später geht es den Berg hinauf. Auf der Hochalpenstraße erklimmen Mountainbiker die Serpentinen. Ab und zu überholt ein Auto. Bäume werden zu Büschen. Es wird bunt. Aus dicken, moosähnlichen Polstern sprießt ein Meer von rosa, weißen, gelben und blauen Blüten. Es ist eine Farbenpracht, die man hier oben nicht erwartet hätte. Wanderer sind hier auf dem Gamsweg unterwegs. Als Kulisse dienen mehrere Dreitausender. Und da ist er, der Großglockner. Mitten in den Hohen Tauern ragt er mit 3 798 Metern weit über alle anderen Gipfel hinaus. Für einen kurzen Moment geben Nebelschwaden die Sicht frei. Wie schwierig wird es sein, seinen Gipfel zu erklimmen? Als könnte Herbert Gedanken lesen, sagt er: „Viele haben es schon versucht, auch geschafft, aber auch ihr Leben verloren.“ Man müsse warten, bis der Riese die Erlaubnis gibt, sein Reich zu betreten. Selbst für Tiere sind Geröllfelder und Lawinen die größten Feinde.
Gämsen und Murmeltiere
Der Ranger hat sein Beobachtungsfernglas aufgebaut und sucht die Felswände ab, als hätte er mit den Tieren eine Verabredung. Doch seine guten Bekannten lassen sich erst mal nicht blicken. „Da oben, da oben sind sie! Eins, zwei, ein ganzes Rudel Gämsen“, ruft Herbert und reicht den Gästen das Fernglas. Die Gämsen springen galant weiter über die Felsspalten. Über der Gruppe kreist ein Steinadler. Von hinten pfeift es laut und eindringlich. Nichts ist zu sehen.
Die Murmeltiere wittern Gefahr und verschwinden.
„Die Murmeltiere wittern Gefahr und verschwinden“, sagt der Ranger. Herbert beobachtet den Vogel durch das Fernglas. Es ist ein Jungtier, denn es hat weiße Flecken unter den Flügeln. Der Adler zieht weiter. Auf der Wiese steckt als erster der Murmeltierwächter seinen Kopf aus dem Loch und huscht heraus. Die anderen tun es ihm gleich. Sie räkeln sich auf den warmen Steinen oder mümmeln würzige Alpenkräuter. Ein Murmeltierparadies, in dem die putzigen Tiere ungestört ihr Leben genießen? Nicht ganz, denn der Mensch dringt immer weiter zu ihnen vor. Herbert stellt sein großes Beobachtungsfernglas auf, späht hinauf auf die Felshänge. Einige Gämsen sind in der Dämmerung noch unterwegs. Zu einer Tierbeobachtung gehört eine richtige Jause. Herbert denkt sofort an die Fuschl-Wirtschaft, die sich etwas unterhalb der Passhöhe befindet. Der Wirt ist ein echtes Original. Seine Spezialität: das Zähmen von Murmeltieren.
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