Blumen, die Zeitmesser am Wegesrand
Blumen, die Zeitmesser am Wegesrand
Von Christian Satorius
Der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) konnte mit einem Blick aus dem Fenster die Uhrzeit bestimmen, und zwar auf fünf Minuten genau – nein, er schaute dabei natürlich nicht auf die Kirchturmuhr, sondern auf die Blumen im Garten. Die Zeit wies ihm dabei eine von ihm selbst konstruierte Pflanzenuhr im Botanischen Garten von Uppsala.
Linné war aufgefallen, dass das Öffnen und Schließen der Blüten artspezifisch ist und so zu jeder Tages- und Nachtzeit immer nur ganz bestimmte Blumen versuchen, auf diese Art und Weise Insekten anzulocken. Je nachdem, welche Blütenblätter gerade geöffnet oder geschlossen sind, lässt sich so die Uhrzeit ablesen – zumindest im Sommer und eigentlich auch nur in Uppsala.
Regional eingestellt
Das Problem dieser Blumenuhr ist nämlich, dass sie in anderen Regionen gerne einmal vor- oder nachgeht und im Winter sogar ganz die Zeitansage einstellt. Natürlich kann man die Blumenuhr überall auf der Welt individuell neu justieren – beziehungsweise bepflanzen. Die eigentliche Frage ist aber: Warum ändern sich die Bewegungsrhythmen der Pflanzen an unterschiedlichen Standorten, welcher Mechanismus stellt die Uhr auf die jeweilige Zeitzone neu ein? Etwa die Sonne?
Schon im 18. Jahrhundert berichtete der französische Geophysiker Jean Jacques d'Ortous de Mairan (1678-1771) davon, dass Mimosen ihre täglichen Blattbewegungen auch ohne Sonnenlicht im künstlichen Dauerdunkel des Labors weiter fortsetzen. Heutige Botaniker gehen so auch davon aus, dass nicht nur das Tageslicht alleine die Synchronisation der Pflanzenuhren vornimmt, sondern auch andere Faktoren – wie etwa die Temperatur – eine wichtige Rolle spielen.
Schutz vor Frost
Wie das allerdings im Detail funktioniert, ist noch nicht abschließend geklärt. Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln (MPIZ) fand heraus, wie die langen Lichtperioden des Frühjahrs dafür sorgen, dass sich das Protein Constans, welches die Blütenbildung auslöst, in den Kernen von Pflanzenzellen anreichern kann. Werden die Tage zum Winter hin kürzer, wird das Protein dann wieder abgebaut.
Für die Pflanzen sind die Zeitgeber natürlich außerordentlich wichtig, nur so können sie ihre empfindlichen Knospen, Blüten und Blätter vor Frost schützen, die Blätter optimal für die Fotosynthese ausrichten und zur passenden Zeit die richtigen Insekten zur Bestäubung anlocken, wenn es sein muss, sogar nachts.
Auch wenn ihnen die genauen Mechanismen noch unbekannt waren, so wurde das Leben unserer Vorfahren doch lange Zeit von Pflanzen und Pflanzenuhren bestimmt. Manche Bauern wissen heute noch, dass in früheren Tagen Mittag gemacht wurde, sobald der Bocksbart seine Blüten schloss.
Einige Pflanzen hatten für sie aber noch einen weiteren wichtigen Vorteil, den man sich auch heute noch zunutze machen kann: Sie eignen sich hervorragend für die Wettervorhersage. Viele Blumen schließen ihre Blüten, wenn Regen beziehungsweise ein Unwetter bevorsteht oder öffnen sie an diesem Tage gar nicht erst, manche senken auch ihre Blätter deutlich sichtbar.
Uhrzeit und Wettervorhersage
So trägt die Wetterdistel (Silberdistel) ihren Namen nicht ohne Grund. Schließt sie nämlich ihre Blüten, wird es garantiert bald regnen. Sind diese allerdings bei Sonnenschein weit geöffnet, so kann man sicher sein, dass es in den nächsten Stunden nicht regnen wird. Viele Pflanzen eignen sich auf diese Weise für die Wettervorhersage, wie etwa Mohn, Malven oder Ringelblumen, wenn auch nicht so gut wie die legendäre Wetterdistel.
Die Luftfeuchtigkeitserhöhung vor einem Regenschauer ist es, die die Pflanzen wahrnehmen und sie dann entsprechend reagieren lassen. Dabei steht vor allem der Schutz der Reproduktionseinrichtung im Vordergrund, könnte diese doch durch den Regen zerstört und Pollen einfach weggespült werden.
Manchmal bemerkt man vor einem Regen auch, dass einige Pflanzen, wie etwa Rosen, besonders stark durften. Ihnen geht es darum, vor dem nahenden Unwetter noch schnell möglichst viele Insekten anzulocken, bevor sie ihre Blüten witterungsbedingt schließen müssen. Und wenn dann sogar noch die Bienen ihre Blüten verlassen, wird es wirklich allerhöchste Zeit sich ein trockenes Plätzchen zu suchen – genau das machen die Bienen nämlich auch.
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