Zwischen Wildnis und Zivilisation
Zwischen Wildnis und Zivilisation
„White Fang“, „Croc-Blanc“ und „Wollefszant“ – Jack Londons Vierbeiner hat in Luxemburg gleich drei Namen, denn er spricht ja auch drei Sprachen. Doch nicht nur deshalb ist Alexandre Espigares erster Animationsfilm in Spielfilmlänge ein richtiges kleines Schmuckstück. Der kalte Wind peitscht um die Ohren, die Beine versinken im tiefen Pulverschnee, jeder Schritt ist eine unglaubliche Anstrengung, der leere Magen knurrt: So fühlt sich der Winter im kanadischen Norden für einen Vierbeiner an.
Eher Frust denn Lust – dabei trifft das Wort „Abenteuer“ es ganz genau. Die zentrale Frage in Jack Londons Roman „White Fang“ ist: Wolf oder Hund? Indem er seinen Spuren folgt, versucht der Schriftsteller so zu ergründen, ob dieser Wolfshund nun ein instinktgetriebenes, wildes Tier oder vielleicht doch seinen Platz in der zivilisierten Gemeinschaft der Menschen hat. Die Reise geht dabei von der Welpenzeit, an der Seite der Mutter, in der Wildnis über die Lehrjahre bei einem Indianerstamm bis hin zum blutigen Alltag einer Kampfhundeexistenz zur möglichen Auflösung des inneren Dilemmas durch ein liebevolles Herrchenpaar.
Genau wie London, der seinen Wolfshund nicht psychologisiert, sondern seinem Schicksal von außen folgt, wählt auch Alexandre Espigares diesen Betrachterblick. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Animationsfilme à la Disney, die Tierfiguren als Protagonisten haben, sprechen diese hier nicht.
Vierbeiner top, Zweibeiner zu simpel
Dennoch setzen der Regisseur und seine Animateure das Benehmen und die entsprechende Mimik und das Verhalten des Vierbeiners (die Recherche bei den Wolfsexperten des Parc Sainte-Croix zahlt sich aus!) so effekt- und wirkungsvoll ein, dass der Zuschauer – trotz fehlender menschlicher Identifikationsfläche – mit Wollefszant mitfiebert und -leidet. Im Vergleich zur Hauptfigur fallen die zweibeinigen Protagonisten denn auch etwas zu zweidimensional sprich simpel gestrickt aus – hier hätte man sich vielleicht einen Hauch mehr psychologischer Nuance gewünscht. Der Freude am Film tut dies dennoch zum Glück keinen Abbruch.
Treibende Kraft für diese ist die Qualität der Animation. In den Bewegungsabläufen realitätsnah gestaltet, nimmt sich das kreative Team bei der zeichnerischen Umsetzung eine künstlerische Ungebundenheit heraus, die zuweilen verzaubernd impressionistische Stimmungen schafft – und somit für große und kleine Zuschauer gleichermaßen attraktiv ist.
Das schauspielerische Talent von u. a. Desirée Nosbusch, André Jung und Luc Schiltz macht dann den besonderen Charme der „Lëtzebuerger“ Fassung aus. Im Vergleich zu Londons 1906 erschienenem Roman nimmt Alexandre Espigares sich eine ganze Reihe erzählerischer Freiheiten heraus. Dies ermöglicht es ihm, den Spannungsbogen der Geschichte konzentrierter und dementsprechend fesselnder zu gestalten. Dass dabei Facetten auf der Strecke bleiben, ist klar, aber hinnehmbar. Vor allem, wenn der Film die bei gelungenen Literaturverfilmungen überaus glückliche Nebenerscheinung hat, dass er beim Zuschauer Lust auf das Papier-Original weckt. Das perfekte Ferienfilmprogramm!
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