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Zwischen Realem und Ironie
Kultur 2 3 Min. 29.01.2017 Aus unserem online-Archiv
Wiessel mol d'Scheif: Austra und Tim Cohen

Zwischen Realem und Ironie

Ausgerechnet am Tag von Trumps Inauguration erschien Austras „Future Politics“.
Wiessel mol d'Scheif: Austra und Tim Cohen

Zwischen Realem und Ironie

Ausgerechnet am Tag von Trumps Inauguration erschien Austras „Future Politics“.
Foto: Austra
Kultur 2 3 Min. 29.01.2017 Aus unserem online-Archiv
Wiessel mol d'Scheif: Austra und Tim Cohen

Zwischen Realem und Ironie

Pol SCHOCK
Pol SCHOCK
Synthetische und tanzbare Zukunftsvisionen treffen auf unpeinliches Selbstmitleid: Die neuen Alben von Austra und Tim Cohen sind absolut hörenswert.

Von Vicky Stoll

Synthetische und tanzbare Zukunftsvisionen treffen auf unpeinliches Selbstmitleid: Die neuen Alben von Austra und Tim Cohen sind absolut hörenswert.

Austra – Future Politics

Ausgerechnet am Tag von Trumps Inauguration erschien Austras „Future Politics“, das man sich an diesem Tag entweder gratis oder gegen einen frei gewählten Betrag aus dem Netz laden konnte. Alle Erlöse gingen an diesem Tag an „Planned Parenthood“, eine amerikanische Non-Profit-Organisation, die u. a. Schwangerschaftsbegleitmaßnahmen anbietet und das Recht auf Abtreibung unterstützt. Damit setzt die kanadische Band ein klares Zeichen gegen die menschenverachtende und rückwärtsgewandte Politik des frisch ernannten US-Präsidenten.

Musikalisch bleibt Austra sich auch im dritten Studioalbum treu, es bewegt sich im Tanzbereich solcher Genres wie Dark Wave, Synth Pop oder Dream Pop. Sängerin und Austra-Mastermind Katie Stelmanis sorgt mit ihrer klassisch trainierten, schneidend-klaren Stimme dafür, dass die Verwechslungsgefahr mit anderen Bands nahezu ausgeschlossen ist. Stelmanis findet in den manchmal typisch kühlen, stellenweise leicht überproduzierten Beats und Synths einen ausgewogenen Gegenpart.

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Sind Tracks wie der mitreißende Ohrwurm „Future Politics“, das erschütternd schöne „I Love You More Than You Love Yourself“ und das an den Hit „Lose It“ aus dem Jahr 2011 erinnernde „Utopia“ ganz eindeutig auf den Dancefloor gemünzt, so beweist Austra mit „Beyond a Mortal“ und „Angel in your Eye“, dass es auch zartere Saiten anschlagen kann, ohne an Pop-Appeal einzubüßen.

„Freepower“ dümpelt dagegen ein wenig dahin und wirkt blass neben der melodiösen Vielfalt der übrigen Lieder. „I’m a Monster“ sticht hingegen dadurch heraus, dass sich Austra ungewohnt viel Zeit mit dem Aufbau des Songs lässt und vor Einsetzen des Beats stark an die frühe Kate Bush erinnert. Mitunter vergisst man, dass viele Lieder einen deutlich politischen Einschlag haben. Ähnlich wie vor ihnen Le Tigre, die Band um die frühere „Bikini Kill“-Sängerin Kathleen Hanna, macht Austra das politische Statement tanzbar. Ob am Ende von der politischen Message noch etwas übrig bleibt und, weiter gedacht, ob Pop und Politik sich überhaupt vertragen, das entscheidet jeder für sich selbst. Fakt ist: Austra überzeugt musikalisch auf ganzer Linie.

Tim Cohen – Luck Man

Tim Cohen? Noch nie gehört. Dabei braucht der Mann für seine kreative Energie gleich mehrere Ventile, hat er doch einerseits mit seinen Bands „The Fresh & Onlys“, „Magic Trick“, „Black Fiction“, andererseits auch solo um die zwanzig Alben und EPs veröffentlicht. Mit „Luck Man“ folgt nun eine Platte, die kühnen Humor, zarte Verletzlichkeit und eine höchst ironisierte Portion Selbstmitleid zu einem charmanten und kurzweiligen Stück Poprock verzwirbelt. „Irony is the last bastion of the fool“ heißt es in „Irony“, dem zweitletzten Lied, das sich lustvoll in einem ausufernden Jam verliert – das Bonmot würde sich als Motto für diese Platte eignen.

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„Wall About a Window“ erzählt auf recht beschwingte Weise von der bitteren Tatsache, dass einem außer einer Mauer manchmal kein Gesprächspartner bleibt. Musikalisch operiert Cohen mit Ockhams Rasiermesser – alles Überflüssige fliegt raus. Meist reichen ihm Schlagzeug, Bass und Gitarre aus, gelegentlich wird er von Noelle Cahill im Gesang unterstützt.

Im Lied „Luck Man“ lamentiert Cohen, dass er keinen Sex hat. Auch hier klingt er herzerweichend komisch. In „I Need Wife“ verhandelt er die kognitive Seite dieser Mangelerscheinung und erzeugt Gänsehaut und Kichern zugleich. Kitschig, vulgär oder pubertär wird Cohen dabei nie. Angstzustände („Meat is Murder“ – kein Verweis auf das gleichnamige Album von The Smiths), Einsamkeit („Breathe and Die“) und fehlendes Selbstbewusstsein werden im Gewand dieser Songs erträglich, die maximal ehrlichen Texte stehlen einem fast immer noch ein Schmunzeln. Ein Kunststück.


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