Zapping: Der Gauner des 21. Jahrhunderts
Zapping: Der Gauner des 21. Jahrhunderts
Charmant, kultiviert und mit einem sehr wählerischen Beuteschema – als echter Gentleman bestiehlt Lupin nämlich nur Menschen, die selbst auf fragwürdige Weise zu ihrem Reichtum gekommen sind. Der Polizei immer einen Schritt voraus, liegt in der Nonchalance des Katz-und-Maus-Spiels der besondere Genuss dieser Romane.
Arsène Lupin ist auf eine Weise ikonisch und zeitlos, dass in den vergangenen 100 Jahren bereits zahlreiche Film- und Serienadaptionen erschienen sind. Anstatt noch eine weitere Verfilmung der Abenteuer des Meisterdiebs auf den Markt zu bringen, erfindet die französische Netflix-Serie „Lupin“ die Figur für das 21. Jahrhundert neu: Omar Sy, der mit dem Kassenschlager „Intouchables“ (2011) in die erste Riege der französischen Schauspieler aufgestiegen ist, mimt den Kleinkriminellen Assane Diop, der nicht nur großer Fan der Lupin-Romane ist, sondern mit seinem Idol auch das kriminelle Genie teilt.
Die Handlung zitiert zwar immer wieder Motive der Romane, erzählt aber eine autonome Geschichte im heutigen Paris, die auf einen vermeintlichen Diebstahl vor 25 Jahren zurückgeht: Assanes Vater, ein stolzer und ehrlicher Einwanderer aus dem Senegal, war bei den begüterten Pellegrinis angestellt, als das kostbare Collier von Marie-Antoinette aus dem Safe verschwand. Diop wird zu einem Geständnis gezwungen und wenig später erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Sein erwachsener Sohn trägt auch Jahrzehnte später schwer an diesem Trauma und sieht den Moment der Vergeltung gekommen, als das kostbare Schmuckstück im Louvre versteigert werden soll.
Die fünf Folgen der ersten Staffel, deren Fortsetzung bereits zugesagt ist, führen auf einen temporeichen Trip durch das Kriminalgenre, der gleichzeitig nostalgisch und sehr gegenwärtig ist: Von den Verfolgungsjagden über Straßen und Dächer bis zu den perfektionierten Taschenspielertricks des Protagonisten. Statt Monokel und Zylinder trägt der Held Nike-Sneakers und arbeitet mit Drohnen, Deep Fakes und Sprachassistenten.
Mitfiebern mit dem Verbrecher
Dass Omar Sy Schwarzer ist, ist für die Handlung nicht nebensächlich, sondern Dreh- und Angelpunkt der Erzählung: Es zeigt einerseits, wie der Alltagsrassismus in westeuropäischen Gesellschaften Unschuldige ins Unrecht setzt, wie seine Hautfarbe es dem Protagonisten andererseits erst möglich macht, sein kriminelles Genie zur Meisterschaft zu bringen: Wie sein Vorbild Lupin ist auch er ein Meister der Verwandlung, der es zu seinem Vorteil macht, dass er als Schwarzer für die weiße Mehrheitsgesellschaft meist vor allem eines ist: unsichtbar.
Die Neuauflage von Lupin ist ein emanzipatorisches Projekt, das vom Kampf der Marginalisierten gegen eine korrupte Oberschicht erzählt, die nur so lange allmächtig scheint, bis ein einziger kluger Schachzug alles ändert.
Omar Sy gibt der Traditionsfigur das Gesicht für das 21. Jahrhundert und zeigt, wie kunstvoll der alte Gentleman-Gauner auch die Gegenwart noch hinters Licht führen kann. Die Serie schafft, was Leblancs Erzählungen vor gut 100 Jahren zu bahnbrechendem Lesestoff machte: Mit einem rechtschaffenen Verbrecher mitzufiebern und sich trotzdem auf der richtigen Seite zu wissen.
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