Wie Deep Purple am Genfer See Rockgeschichte schrieben
von Tom RÜDELL/ 25.03.2022
Sie wollten im Casino von Montreux eine Platte aufnehmen, doch das brannte am Tag davor bis auf die Grundmauern ab. Unter widrigen Umständen entstand mit "Smoke on the Water" eine Rockhymne und mit "Machine Head" eines der erfolgreichsten Hardrock-Alben. Ein Rückblick auf drei Wochen im Dezember 1971.
-
We all came down to Montreux...
-
To make records with a mobile...
-
Frank Zappa and the Mothers...
-
Some stupid with a flare gun...
-
Smoke on the Water...
-
Funky Claude
-
Swiss time was running out...
-
We ended up in the Grand Hotel...
-
The Rolling truck Stones thing
-
We made a place to sweat...
-
I know we’ll never forget
-
Zugabe: Wie man "Smoke on the Water" korrekt spielt
Gm Bb C | Gm Bb Db C | Gm Bb C | Bb Gm - liest sich komisch? Stimmt. Klingt aber um so vertrauter. Denn diese Buchstabenfolge beschreibt die wahrscheinlich bekanntesten vier Akkorde in der Rockmusik. Und es dürfte wenig Menschen über 40 geben, die diesen Song nicht kennen, nicht dazu gefeiert, getrunken, geraucht, getanzt haben – oder was man sonst noch mit 14 zum ersten Mal macht, aber nicht den Kindern oder gar den Enkeln im Detail erzählt. Die Rede ist natürlich von Deep Purples Überhit “Smoke on the Water”.
Am Freitag vor 50 Jahren, am 25. März 1972, erschien der Song auf dem Album “Machine Head” und eroberte die Charts – aus der zweiten Reihe gewissermaßen, denn die Band empfand ihn zuerst als zu schwach für eine Single in der Hitparade. Die Fans sahen das anders.
Smoke on the Water live in New York, 1973
Die Entstehungsgeschichte von “Machine Head”, einem nahezu perfekten Hardrock-Album, ist als Legende in die Rockgeschichte eingegangen. Und „Smoke on the Water“, als letzter Song erst während der verrückten Aufnahmephase entstanden, erzählt genau diese Geschichte. Der runde Geburtstag ist ein willkommener Anlass, einmal nachzulesen.
We all came down to Montreux...
Link kopieren
We all came down to Montreux
on the Lake Geneva shoreline
Hier spielt die Story: Deep Purple waren im Dezember 1971 mit großen Plänen nach Montreux gekommen: Sie wollten das dortige Casino mieten, eine Veranstaltungshalle, die im Winter wegen Umbauarbeiten keinen Publikumsverkehr hatte. Dort sollte ihr sechstes Studioalbum entstehen, das dritte der aktuellen und bisher erfolgreichsten Besetzung, der sogenannten „Mark II“.
To make records with a mobile...
Link kopieren
To make records with a mobile
We didn’t have much time
„Wir hatten wenig Zeit“ – das ist das Credo von Deep Purple seit mindestens 1969. Die Band ist extrem gefragt, hat mit den Alben „In Rock“ und „Fireball“ Charterfolge geliefert und ist quasi konstant auf Tour. „Man hat uns überall hingekarrt, wo man spielen konnte“, sagt Gitarrist Ritchie Blackmore 2017 im Wort-Interview. Der Nachteil daran: Studiotermine für neue Songs und Alben müssen minutiös in den engen Tourplan hineingezwängt werden. Die aufwendige Logistik verschlingt Zeit, Geld und Nerven, und sie geht an die Substanz: Eine US-Tour musste 1971 bereits abgebrochen werden, weil Sänger Ian Gillan an Hepatitis erkrankte.
Für “Machine Head” sollte das anders werden: Die Band buchte das “Rolling Stones Mobile Recording Studio”, um nicht ortsgebunden zu sein und plante zwei bis drei Wochen in der Schweiz am Jahresende ein – übrigens nicht nur wegen der schönen Landschaft, sondern auch aus steuerlichen Gründen. Ein Konzert wollen sie hier auch noch spielen. Wenn alles nach Plan läuft – was es definitiv nicht tat – soll ein Doppelalbum entstehen, dessen zweite Platte aus einem Livemitschnitt aus dem Casino besteht.
Frank Zappa and the Mothers...
Link kopieren
Frank Zappa and the Mothers
were at the best place around
Es ist der 3. Dezember 1971. Deep Purple sind in Montreux angekommen. Der Deal kam über den umtriebigen Promoter Claude Nobs zustande, der es seit einigen Jahren schafft, die neuen Pophelden der späten Sechziger und frühen Siebziger in den mondänen See-Ort zu holen. 1967 hat er das Montreux Jazz Festival ins Leben gerufen. Nobs hat Deep Purple das Casino vermittelt und empfängt die Band mit einer Flasche Wein und Freitickets für die Show von Frank Zappa and the Mothers of Invention am nächsten Tag – danach gehört das Casino den fünf Briten.
Some stupid with a flare gun...
Link kopieren
But some stupid with a flare gun
burned the place to the ground
Bei der Zappa-Show, einer Matinee am Samstagmorgen, passiert etwas selbst für die chaotische Konzertkultur der frühen Hardrock-Ära unvorgesehenes: Ein Besucher feuert Leuchtgeschosse ab, die erst die Saaldekoration und dann den ganzen Saal in Brand setzen.
Glück im Unglück: Frank Zappa, wie stets sehr rational und nicht unter Drogen, hatte den Brand von der Bühne aus früh bemerkt und rechtzeitig die Show mit einer überlegten Durchsage unterbrochen. „Calmly go towards the exit, ladies and gentlemen“, hört man ihn auf der Tonaufnahme sagen. Sein ruhiger Tonfall rettet wahrscheinlich Leben: Die Evakuierung verläuft zügig und diszipliniert. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt.
Der “stupid with a flare gun” der “Idiot mit der Signalpistole” wird von der Polizei später als Zdenek Spicka identifiziert, ein 22-jähriger Flüchtling aus der damaligen Tschechoslowakei. Die Ermittler gehen nicht davon aus, dass er vorsätzlich handelte - dennoch verläuft ihre Suche nach ihm erfolglos: Spicka sei noch am gleichen Abend überstürzt abgereist, berichten seine tschechischen Mitbewohner im etwa 30 Kilometer entfernten Epalinges. Er habe Angst gehabt, gelyncht zu werden, als das Ausmaß dessen klar wurde, was er ausgelöst hatte. Seine Spur verliert sich unmittelbar nach dem Brand.
Smoke on the Water...
Link kopieren
Smoke on the Water
A Fire in the Sky
Es ist Deep-Purple-Bassist Roger Glover, der für den plakativen Songtitel verantwortlich zeichnet: Das Casino brennt noch stundenlang, die Band sitzt in einem Restaurant am Seeufer und beobachtet das Szenario aus sicherer Entfernung. Rauchschwaden ziehen über den Genfer See. Am nächsten Tag wird Glover in seinem Hotelbett wach und hat die legendäre Textzeile geträumt.
Deep Purple live in Montreux, 1996. Der Mann im roten Pulli am Ende ist Claude Nobs.
Funky Claude
Link kopieren
They burned down the gambling house
It died with an awful sound
Funky Claude was running in and out
Pulling kids to the ground
Das Kasino brennt bis auf die Grundmauern ab, der Schaden ist immens. Augenzeugenberichten nach ist es “Funky Claude” Nobs zu verdanken, dass es keine Toten gibt: Der Veranstalter läuft bis zum Schluss hin und her, koordiniert Löscharbeiten und führt Zuschauer nach draußen. Er rettet unter anderem eine Gruppe Jugendlicher, die sich im Untergeschoss verlaufen hatte und den Ausgang nicht mehr findet. Am Ende schaffen es alle unbeschadet nach draußen – aber Instrumente und Verstärker der Zappa Band sind ebenso zerstört, wie der Plan, hier das neue Deep-Purple-Album aufzunehmen.
Der Schlagzeuger Alain Rieder hat auf seinem Blog einen eindrucksvollen Augenzeugenbericht des Großbrandes geschrieben: Er war 16, Zappa-Fan und mit Freunden mitten im Saal, als die Raketen losgingen.
Swiss time was running out...
Link kopieren
When it all was over,
we had to find another place
Swiss time was running out
It seemed that we would lose the race
Fieberhaft beginnt die Suche nach einer neuen Örtlichkeit. Eine Gelegenheit wie diese wird im engen Zeitplan der Band nicht wieder kommen, zudem steht der Laster mit dem mobilen Studio der Stones bereits vor der Tür.
Claude Nobs versucht sein Bestes, quartiert Deep Purple zunächst im Pavillon des Sports ein, der im Winter ebenfalls leer steht. Doch hier kann die Band nicht ungestört arbeiten, die Nachbarn rufen wegen Ruhestörung ständig die Polizei. Immerhin entstehen hier die Grundlagen für einige Songs, darunter die Skizze zu “Smoke on the Water” - Gerüchten zufolge während bereits die Polizei vor der Tür steht, die von den Purple-Roadies von innen zugehalten wird.
We ended up in the Grand Hotel...
Link kopieren
We ended up in the Grand Hotel
It was empty cold and bare
Wenig später wird Nobs fündig. Das leere Grand Hotel im benachbarten Territet ist verfügbar und die Band zieht ein. Man muss sich die Atmosphäre wohl ein wenig wie in Stanley Kubrick’s Klassiker “Shining” vorstellen: Ein menschenleeres Nobelhotel, draußen eine Winterlandschaft – und ein kreatives Werk, das vollendet werden soll.
The Rolling truck Stones thing
Link kopieren
With the Rolling truck Stones thing just outside
Making our music there
Die Gegebenheiten waren also jetzt schon alles andere als ideal. Der Rolling Stones Truck parkt vor dem Haupteingang, die Band quartiert sich genau am anderen Ende eines langen Korridors ein, wo die beste Akustik vorherrscht. Das Hotel wird mit Matratzen und Kissen schalldicht gemacht, was allerdings dazu führt, dass der Weg zwischen Musikern und Produzent Martin Birch draußen im Lastwagen extrem erschwert wird.
Um in den Regieraum zu gelangen und sich gemeinsam anzuhören, was sie gerade aufgenommen haben, ein völlig normaler Vorgang in regulären Studios, müssen die Musiker weit durch die Gänge laufen, zum Teil durch Fenster klettern. „Also haben wir irgendwann drauf verzichtet“ , sagt Gitarrist Blackmore später, „und einfach so lange gespielt, bis wir zufrieden waren“. Immerhin hat Birch eine Überwachungskamera an Bord, sodass Band und Produzent sich gegenseitig sehen können.
We made a place to sweat...
Link kopieren
With a few old beds and a few red lamps
We made a place to sweat
Andererseits ergibt sich aus dieser erzwungenen Wagenburgmentalität ein Arbeitsrhythmus, der Deep Purple gelegen kommt: Die Nacht durcharbeiten bis zum Frühstück, tagsüber schlafen, gemeinsam den widrigen Umständen trotzen. Schlagzeuger Ian Paice findet im Hotelflur den Hall für seine Trommelaufnahmen, der ihn glücklich macht. Und die Band, bekannt für ihre internen Spannungen, kann sich im leeren Hotel ausreichend weit aus dem Weg gehen, wenn nötig.
In der Tat ist “Machine Head” das wahrscheinlich stimmigste Deep Purple-Album, bis ins kleinste Detail – alle bekannten Komponenten sind im genau richtigen Maß vorhanden. Was sich auf dieser Platte findet, gehört auch dorthin. Die Band wirkt so sehr bei sich selbst und aus einem Guss wie selten davor oder danach. Und Martin Birch gebührt Lob dafür, dass er die Herausforderung annahm, aus der “Montreux-Situation” ein nahezu perfektes Album zu machen. Diese Erfahrung nutzte er später für die gefeierte Liveplatte “Made in Japan”.
I know we’ll never forget
Link kopieren
No matter what we’d get out of this,
I know, I know, we’ll never forget
“Was auch immer dabei rauskommt, wir werden es nicht vergessen”: Das stimmt in mehr als einer Hinsicht. Zunächst entsteht noch während der Aufnahmen der Song “Smoke on the Water”, Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover texten um Glovers geträumte Zeile eine Art Tagebuch ihres Montreux-Aufenthalts. Es kommt aber noch sehr viel mehr raus aus diesen drei Wochen ungeplanter Entschleunigung in der Schweiz: “Machine Head” erscheint am 25. März 1972 und wird das bislang erfolgreichste Deep-Purple-Album, führt bereits eine Woche nach Erscheinen die britischen Albumcharts an. Songs wie “Highway Star”, “Lazy”, Space Trucking” werden neben “Smoke on the Water” feste und gefeierte Programmpunkte bei Konzerten – noch Jahrzehnte später.
„Smoke on the Water“ live 1993. Wenige Tage später verließ Ritchie Blackmore die Band für immer.
Die Band hatte “Never Before” als Single vorgesehen, diese fährt auch Charterfolge ein – doch “Smoke on the Water”, im Mai 1973 nachgeschoben, fliegt quasi an ihr vorbei an die Spitze, vor allem in den USA. Der Song wird zur Hymne, ohne die die Karriere der fünf britischen Hardrockpioniere mutmaßlich etwas anders verlaufen wäre. Die in der Schweiz gefundene Bandharmonie ist indes nur von kurzer Dauer: Im Sommer 1973 werden Gillan und Glover von Blackmore aus der Band gedrängt, die notorisch zerstrittene „Mark II“ ist – bis zur ersten Reunion 1984 und danach der zweiten 1993 – vorerst Geschichte.
„Machine Head“ als „Die LP der Woche“ im Luxemburger Wort vom 2. Juni 1972:
Zugabe: Wie man "Smoke on the Water" korrekt spielt
Link kopieren
Es ist Ritchie Blackmores bekanntestes Riff, weil es so simpel ist. Doch die Einfachheit täuscht. Blackmores Nachfolger Steve Morse, immerhin seit mehr als 25 Jahren bei Deep Purple, erklärt allen Hobbygitarristen, wie man „Smoke on the Water“ richtig spielt.
Foto:
Territet Hotel des Alpes / Wikimedia Commons / Archipat / CC BY-SA 3.0
Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
