Wer will schon normal?
Wer will schon normal?
Von Vicky Stoll
Zwei Alben und beide mit ungewöhnlichem Popsound – das ist was für Freunde anderer Klänge im schmackhaften Gewand:
Warpaint – „Heads Up“:
Fast neun Jahre nach Warpaints erster EP „Exquisite Corpse“ sind sogar die rückständigsten Musikfreunde darüber hinweggekommen, dass da vier junge Frauen aus Kalifornien ganz nonchalant in eine Männerdomäne reinplatzten, kompromisslosen Jam-Rock spielen, sich live in psychedelisch ausufernden Improvisationen verlieren, das ein oder andere Solo vom Stapel lassen und trotzdem die eingängige Melodie nie außer Reichweite lassen.
Wer sich davon einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, dem sei der Song „Elephants“ ans Herz gelegt. „Heads Up“, was so viel wie „Achtung!“ bedeutet, ist das nunmehr dritte Album der Band. Es untermauert den anhaltenden Erfolg von Warpaint und führt die Diskografie auf gleichbleibendem Niveau fort. Erhalten bleibt auch der verspielte Charme, der viele Lieder so klingen lässt, als seien sie live in einem Take eingespielt worden. Schon der erste Song, „Whiteout“, fasst die Vorzüge der Band angemessen zusammen – der Sound wirkt niemals überladen und der Gesang von Emily Kokal und Theresa Wayman fügt sich perfekt in die Komposition ein. Inhaltlich geht es um Geheimnisse in der Beziehung, deren Lüftung man nicht rückgängig machen kann.
Experimenteller geht es in „By Your Side“ zu, wo Monotonie und gesampelte Klänge zu einer eigenartigen Mischung verrührt werden. Mit „New Song“ geht es schnurstracks in Richtung Popsong. Der unwiderstehlichen Melodie kann man sich kaum erwehren, während bei den Lyrics keine Floskel gescheut wird. „Above Control“ veranschaulicht sehr gut das harmonische Zusammenspiel der Band, die vor allem live ihr volles Potential ausschöpfen kann. Es imponiert, wie selbstverständlich sich Warpaint zwischen den Polen Pop und Psychedelic Rock, Indie-Rock („Heads Up“) und Folk („Today Dear“) bewegen, ohne jemals beliebig zu klingen. Lediglich das inhaltlich sehr eindimensionale „Don’t Let Go“ wirkt ein wenig forciert.
Vanishing Twin – „Choose your own adventure“:
Wenn sich der Moog Synthesizer, der angejazzte Bass, ein angedeuteter Bossa-Nova-Rhythmus und das weit entfernt klingende, engelhafte „Aaaaahh“ von Cathy Lucas in den ersten drei Minuten von „Truth is Boring“ zu einem Song vereinigen, dann tun sich dem Hörer neue Sphären moderner Popmusik auf. Eines steht fest: Langweilig wird einem mit diesem Album sicher nicht. Cathy Lucas hat mit Vanishing Twin eine Bande von Musikern um sich herum versammelt, die es schaffen, die unterschiedlichsten Einflüsse zu einem unerklärlich ansprechenden Album zu verweben, das selbst die vage Bezeichnung „Avantgarde Pop“ mühelos sprengt.
Vielleicht trifft der Stempel „Space Age Pop“ tatsächlich am ehesten, was einen auf „Choose Your Own Adventure“ erwartet. Mellotron, Marimba und Flötenklänge dürfen dort natürlich nicht fehlen. Lucas’ wunderbar natürlich und weise klingendes Organ, das unweigerlich in Kombination mit dieser Art von Musik an die Stimmen von Stereolab und Broadcast erinnert, hat fast immer eine versöhnliche und beruhigende Wirkung. So z. B. in „Vanishing Twin Syndrome“, das sich wie ein Schmetterling langsam aus seinem Pop-Kokon schält, um sich zu einer psychedelischen Impro-Session zu entfalten.
Auf dem Album verhandelt Lucas übrigens inhaltlich die Tatsache, dass sie als Fötus im Mutterleib ihren verstorbenen Zwilling absorbiert hat. Diesem nicht seltenen Phänomen schuldet die Band demnach auch ihren Namen. Die Frage, inwiefern sich lupenreiner Pop im Sixties-Anstrich mit ungebändigter Experimentierfreude verträgt, wird von diesem Album anstandslos mit dem Prädikat „hervorragend“ beantwortet.
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