Waldheim-Doku seziert den Zerfall der Opferlüge
Waldheim-Doku seziert den Zerfall der Opferlüge
Von Lateinamerika bis Osteuropa und sogar Australien: Noch nie hat Ruth Beckermann für einen Film derart viel internationale Aufmerksamkeit erhalten wie für „The Waldheim Waltz“.
Die Dokumentarfilmerin und Autorin zeichnet darin eine Affäre um den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim aus dem Jahr 1986 nach: das Zusammenbrechen einer Lebenslüge und das Bemühen, dies doch noch zu verhindern.
„Das Thema ist sehr aktuell, obwohl Waldheim als Person weder aktuell noch spannend ist“, erklärt die Österreicherin. In ihrem Heimatland sahen 30.000 Kinogänger den Film, was „für einen österreichischen Film sehr viel ist“, wie Beckermann anmerkt. Zudem war „The Waldheim Waltz“ als bestes fremdsprachiges Werk bei den diesjährigen Oscars nominiert und gewann im Vorjahr den Glashütte-Original Dokumentarfilmpreis der Internationalen Filmfestspiele Berlin.
1986 kandidierte Kurt Waldheim, ehemals Generalsekretär der UN, als österreichischer Bundespräsident. Doch während des Wahlkampfes legte der Jüdische Weltkongress in New York Waldheims NS-Vergangenheit als Offizier der deutschen Wehrmacht auf dem Balkan frei.
Protestieren oder dokumentieren?
Es wurden Vorwürfe laut, Waldheim sei an NS-Kriegsverbrechen auf dem Balkan beteiligt gewesen; eine Historikerkommission stellte später aber keine persönliche Schuld im strafrechtlichen Sinne fest.
„In diesen Jahren hat Österreich um sein Selbstbild gerungen. Diese Opferlüge ist dadurch langsam zerfallen, das war sehr intensiv“, erinnert sich Beckermann.
Die Filmemacherin, freie Autorin und Installationskünstlerin hat die Affäre Waldheim damals aus einer ganz besonderen Perspektive verfolgt: Als junge Frau nahm sie an Demonstrationen gegen Waldheim teil, teils auch medienwirksam mit Plakaten in Übertragungen des Fernsehens. „Diese Entscheidung war damals richtig für mich. Aber aus der Perspektive der Filmemacherin ist es heute schade, dass ich nicht öfter gedreht habe, sonst hätte ich mehr Material.“
Durch ihre Teilnahme an den damaligen Protesten weiß Beckermann auch genau, dass es von vielen Aktionen der Demonstranten keine Aufnahmen gibt.
„Das offizielle Fernsehen hat versucht, uns zu ignorieren. Bis zur Wahl standen fast alle österreichischen Medien ausnahmslos hinter Waldheim.“
Ihre heutige Arbeit über die Waldheim-Affäre hat Beckermann Sichtweisen eröffnet, die ihr in den 1980er-Jahren nicht zugänglich waren: internationale Quellen, dank des Internets.
Der Sohn vorm US-Kongress
So hat sie neben eigenen Originalmitschnitten zahlreiche internationale Archivaufnahmen aus den 1980er-Jahren verarbeitet, auch von Anhörungen aus dem US-Kongress.
Darin ist unter anderem zu sehen, wie Waldheims Sohn versucht, den Vater zu rechtfertigen. „Ich glaube, dieses Material ist nie ausgestrahlt worden. Man fragt sich, warum er das macht.“
Weitaus verstörender wirken Aufnahmen von Waldheim selbst, wenn er versucht, drei Jahre Kriegseinsatz auf dem Balkan erst zu dementieren, dann zu verharmlosen – obwohl die Fakten gegen ihn sprechen –, und sich dabei auch antisemitisch äußert.
Zivilgesellschaft braucht Stärke
Der Film zeigt eindringlich die Notwendigkeit einer starken Zivilgesellschaft. „Ich hoffe aber, dass sie heute stärker ist. Die österreichischen Medien haben damals viele Stimmen ignoriert. Heute kann man nicht mehr so leicht eine ganze Gruppe von Leuten ignorieren, der Protest würde sich über die sozialen Medien verbreiten“, sagt Beckermann.
Der erste Impuls für den Film kam allerdings nicht von Beckermann selbst. Ausschlaggebend war eine Diskussion mit jungen Leuten, die sich entspann, als Beckermann einige ihrer Aufnahmen zeigte. „Sie waren sehr interessiert und haben viele Fragen gestellt. Da kam mir die Idee, die Affäre in einem größeren Kontext zu analysieren.“
Beckermanns Dokumentarfilm skizziert sehr sehenswert, mit welchen Mitteln mancher Wahlkampf gewonnen wird – nämlich durch das Schüren von Hass gegen ein an sich austauschbares Feindbild. Auch wenn der Fall aus dem Jahr 1986 datiert, legt er zeitlos gefährliche Mechanismen frei.
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„The Waldheim Waltz“ morgen, 18.30 Uhr, in der Cinémathèque. Umtrunk ab 18 Uhr, nach der Vorführung Möglichkeit zur Diskussion mit Gregor Schusterschitz, Österreichs Botschafter in Luxemburg.
