Vom Frechdachs zur Saubermaus
Vom Frechdachs zur Saubermaus
Von Cornelia Wystrichowski - Mit dem achtminütigen Trickfilm „Steamboat Willie“, der am 18. November 1928 im New Yorker Colony-Theatre uraufgeführt wurde, wurde der Mäuserich über Nacht zum Star. Darin knutscht Mickey (so die amerikanische Schreibweise) als Matrose eines Mississippi-Dampfers mit seiner Freundin Minnie herum, heckt Streiche aus und benutzt die lebende Fracht an Bord, darunter mehrere Truthähne, als Musikinstrumente – die freche Persiflage auf einen Slapstickfilm von Buster Keaton ist ein Heidenspaß.
Das Publikum strömte in Scharen in die US-Kinos, um Mickey zu sehen und zu hören: Walt Disney selber lieh dem kleinen Kerl, der anfangs nur Pfiffe und andere Geräusche von sich gab, seine Stimme. Disney hatte 1928 dringend eine neue Idee gebraucht: Kurz zuvor hatte er die Rechte an der populären Trickfigur „Oswald der lustige Hase“ verloren, gemeinsam mit dem Zeichner Ub Iwerks dachte er sich daher kurzerhand die Maus aus. Die sollte zunächst Mortimer heißen, doch Disneys Ehefrau Lillian schlug das kecke „Mickey“ vor.
Das passte viel besser, denn das putzige Nagetier war damals ziemlich frech. Einen ersten Kurzauftritt hatte Mickey schon im Mai 1928 im Trickfilm „Plane Crazy“, aber erst „Steamboat Willie“ machte ihn berühmt.
Ein schlechtes Vorbild
Doch amerikanische Sittenwächter mochten den Kleinen nicht, weil sie in dem vergnügungshungrigen Wicht ein schlechtes Vorbild für Kinder sahen. In Windeseile wandelte sich der anarchische Held deshalb zur moralisch integren Saubermaus. Fortan beschützte der Musterknabe als Detektiv seine Mitmenschen vor bösen Buben wie dem üblen Kater Karlo, gemeinsam mit seinem einfältigen Freund Goofy und dem treuen Hund Pluto.
Der 1934 erfundene Wüterich Donald durfte im Disney-Universum Der 1934 erfundene Wüterich Donald durfte im Disney-Universum quasi als Ventil die schlechteren Charakterzüge ausleben, die man Mickey ausgetrieben hatte, und wurde rasch populärer als dieser.
Der Mäuserich mit den kreisrunden Ohren ist dennoch stets die Gallionsfigur des Disney-Konzerns geblieben. Schon 1930 erschien das erste Lizenzprodukt, Schulmappen mit dem Konterfei der menschenähnlichen Maus, heute geht das Merchandising ins Unermessliche. Allein zum 90. Geburtstag sind diverse Produkte erschienen – bis hin zu Küchenpapier mit Micky-Muster.
1932 erhielt Walt Disney einen Ehren-„Oscar“ für die Erschaffung der Figur, deren Äußeres sich im Lauf der Jahre ebenso wandelte wie ihr Charakter. So trug Micky statt der kindlichen kurzen roten Hosen ab einen gewissen Zeitpunkt eine lange Hose und dazu oft ein weißes Hemd samt Fliege, was seinen seriösen Charakter unterstreichen sollte.
Weltweiter Siegeszug
Der weltweite Siegeszug von Micky Maus ging im Eiltempo voran. Schon früh eroberte er auch die Herzen der Deutschen – 1930 liefen die ersten Mickey-Mouse-Filme in den Kinos der Weimarer Republik, seit 1951 gibt es in Deutschland das „Micky Maus“-Heft mit den Abenteuern von Micky, Donald und den anderen Bewohnern des Städtchens Entenhausen.
Die Kinderzeitschrift kostete damals 75 Pfennig, heute müssen Sammler für ein gut erhaltenes Originalexemplar aus dieser Zeit etwa 6000 Euro hinblättern. Die Glanzzeit der Hefte ist inzwischen aber vorbei: 1991 wurden etwa eine Million Exemplare gedruckt, derzeit werden pro Ausgabe nur noch rund 79.000 Exemplare verkauft – die Generation YouTube liest weniger Zeitschriften.
Micky jedoch ist längst weit mehr als nur ein beliebter Comicheld – die Trickfigur ist eine Ikone, Symbolfigur für die USA und die Globalisierung, für westliche Werte einerseits und den Niedergang der Kultur andererseits. In den USA ist der Begriff „Mickey Mouse“ übrigens in den Sprachgebrauch eingegangen und bezeichnet umgangssprachlich eine amateurhafte oder triviale Sache.
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