Todesmutig für die Kunst
Todesmutig für die Kunst
Von Daniel Conrad
Todesmutig für die Kunst: Als der Zug immer näher kam, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Ausrüstung schnell zusammenzupacken, sich zu ducken und dann den nächsten Versuch für das Selbstporträt mit Frühstücksei auf den Gleisen zu arrangieren. Romain Urhausen experimentierte sein Leben lang. Dem scheinbar Rastlosen, der immer nach neuen kreativen Ideen suchte, ist nun im Düdelinger CNA eine Ausstellung gewidmet.
Alles, was dem jungen Romain an internationalen Magazinen in die Hände kam, blätterte er durch, nein, er durchforstete sie regelrecht nach neuen Eindrücken – irgendwann war klar, dass ihn das Großherzogtum nicht halten könnte. „Es gab solche Fotografien hier in Luxemburg überhaupt nicht“, blickt Romain Urhausen bei der Präsentation der aktuellen Ausstellung zurück.
Paris und Saarbrücken
Die Fotografie war der Einstieg in die lange Karriere des Kreativen. Erst war es das kurze Studium Paris, dann die Impulse des großen Meisters Otto Steinert in Saarbrücken, die ihm seinen Weg in das Metier bahnten.
Die Ergebnisse: Intensive Fotoarbeiten – wie der Bildband zum Pariser Großmarkt „Les Halles“ zum Beispiel, der nicht nur in Frankreich für Furore sorgte. Meisterliche Arbeiten der „subjektiven Fotografie“, abstrahierende Werke mit einem herausfordernden Spiel mit Licht und Schatten im klassischen Schwarz-Weiß.
Oder die besonderen Bilder, die er in Esch/Alzette einfing, als er dort zwischen 1954 und 1957 ein Fotostudio betrieb – Dokumentation und Kunst in einem. Wer sich die Mühe macht die vielgestaltigen Kompositionen der einzelnen Arbeiten in der besonderen Hängung des CNA zu durchdenken, entdeckt den Weitblick Urhausens. Und das zu Zeiten, als das Metier des Fotografen viel Handwerkskunst und Feingefühl in der Dunkelkammer bedurfte.
„Das Besondere ist, dass Urhausen nie wirklich stehen blieb, rastlos erscheint, manchmal so vielfältig, dass es einen erschlägt“, sagt Marguy Conzemius. Die für die Ausstellung zuständige CNA-Mitarbeiterin und Kuratorin hat sich intensiv und über zwei Jahre in die Archive Urhausens eingearbeitet, die Stücke ausgewählt und den Versuch einer Kategorisierung gewagt. Mehrere Tausend Bilder hat das CNA für die Forschung digitalisiert. 340 Originalabzüge aus den wichtigsten Werkteilen lagern in der CNA-Sammlung.
Jenseits der Denkschubladen
„Immer wieder ist es das Experimentelle, das Denkschubladen einfach scheitern lässt. Experimentellere Arbeiten in scheinbar klaren Gruppen wie der humanistischen Fotografie oder der Architekturfotografie machen eine Aufarbeitung schwierig – das spiegelt die Ausstellung auch wider“, so Conzemius.
Allein die Pressedokumentation und der zur Ausstellung erschiene Band zu Urhausens Fotografie sind inhaltlich so dicht, dass man schon um jedes Detail ganze Abhandlungen verfassen könnte. Letztlich ist die Ausstellung der Versuch eines Zusammenspiels chronologisch sortierter Eindrücke und die Dokumentation des steten Drangs, neue Blicke zu suchen und mit neuen kreativen Mitteln zu arbeiten. „Diese Überlappung der Ebenen macht ihn so einzigartig und als Luxemburger Künstler zentral.
Und ganz unabhängig von der Fotografie, hat sich Urhausen autodidaktisch und mit Erfolg in andere Sparten eingearbeitet, was sich zum Beispiel im Möbeldesign oder seiner Architektur zeigt. Diese Vielschichtigkeit auch hier in Düdelingen zu zeigen und zu vermitteln, war nicht einfach. Aber ohne den Menschen vorzustellen, kann man die fotografischen Arbeiten nicht verstehen“, so Conzemius.
Sonst waren maximal nur Teilaspekte seines Schaffens in Ausstellungen in Esch/Alzette, Rümelingen und Saarbrücken zu sehen – und auch die CNA-Schau kommt um einen gewissen Verzicht nicht herum. „Es ist überraschend, wie viel von Urhausen noch unbekannt war“, betont Conzemius.
Aufarbeitung tat not
Es brauchte Zeit und eben die Mühe, diesen Kreativen kunsthistorisch für Luxemburg „urbar“ zu machen und ihn nicht wie bisher – wie zum Beispiel in Deutschland – auf Teilaspekte seines Werks zu reduzieren. Vielleicht lag es daran, dass er lange nicht in Luxemburg lebte und arbeitete – und vielleicht so schlicht nicht ins Auge der Spezialisten fiel.
Umso besser, dass die beiden Ausstellungsteile im Display 01 und 02 einen breiten Zugang bieten: einerseits als Werkschau auf die 1950er- bis 1970er-Jahre in der Fotografie und andererseits als Dokumentation von Urhausens Leben für und mit der Kreativität – unter anderem mit einem eigens produzierten Film von Cathy Richard.
So scheint diese große Würdigung gerade jetzt an der richtigen Zeit gewesen zu sein – weil Urhausen so noch selbst Stellung nehmen kann. Doch die Schau wirft auch die Verantwortung auf, sein Werk als echtes „Patrimoine“ zu begreifen, das als sprudelnde Inspirationsquelle darauf wartet, wieder neue kreative Forschungen zu ermöglichen.
_____
Noch bis zum 30. Oktober im Düdelinger „Centre National de l'Audiovisuel“, geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 22 Uhr, Eintritt frei. Der Ausstellungsband mit dem Titel „Romain Urhausen – Fotograf“ in deutscher und englischer Sprache dokumentiert den Werdegang und das Werk Urhausens,
ISBN: 978-2-919873-07-4, Preis: 42 Euro.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
