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"The Society": Willkommen in der Teenie-Diktatur
Kultur 1 3 Min. 02.06.2019 Aus unserem online-Archiv

"The Society": Willkommen in der Teenie-Diktatur

Nach der Party folgt die Ernüchterung: Eine Szene aus der Netflix-Serie "The Society".

"The Society": Willkommen in der Teenie-Diktatur

Nach der Party folgt die Ernüchterung: Eine Szene aus der Netflix-Serie "The Society".
Bild: Seacia Pavao/Netflix
Kultur 1 3 Min. 02.06.2019 Aus unserem online-Archiv

"The Society": Willkommen in der Teenie-Diktatur

Jörg TSCHÜRTZ
Jörg TSCHÜRTZ
Zapping: Die neue Mystery-Soap auf Netflix weist Ähnlichkeiten zu prominenten Vorbildern auf. Und doch schafft es "The Society", sich positiv von der Konkurrenz abzuheben.

Als die Schüler der West Ham High School nach einer abrupt beendeten Klassenfahrt nach Hause kommen, ist plötzlich nichts mehr wie vorher. Ihr Heimatort im Nordosten der USA ist menschenleer – und sämtliche Zu- und Ausfahrten zur Stadt von dichtem Gebüsch versperrt. Schnell wird den etwa 100 Jugendlichen im Alter von 17 und 18 Jahren klar, dass sie festsitzen und fortan auf sich allein gestellt sind. 


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So beginnt die neue Serie „The Society“ (Idee: Christopher Keyser), die seit kurzem auf Netflix läuft. Kommt Ihnen bekannt vor? Das Setting erinnert an ähnliche Produktionen des Streaminganbieters wie „Stranger Things“ oder „Dark“: Ein malerisches Städtchen, umgeben von Wald. Verschwundene Teenager. Mysteriöse Vorgänge – im Fall von „The Society“ ein Menetekel an der Schulwand und ein unerklärlicher Gestank, der vor Beginn der Klassenfahrt die Luft in der Stadt verpestet. Ein erstes Todesopfer. Die Parallelen sind zahlreich – und doch schafft es „The Society“ ab der dritten Episode, sich aus der Fülle an Mystery-Serien positiv abzuheben.

Hauptinspirationsquelle für "The Society" ist William Goldings populäres Jugendbuch "Herr der Fliegen“ (1954). In dem Roman verschlägt es mehrere sechs- bis zwölfjährigen Jungen nach einem Flugzeugunfall auf eine unbewohnte Pazifikinsel, während auf der Welt ein Atomkrieg tobt. Die gestrandete Schülergruppe zerfällt nach anfänglicher Harmonie in zwei rivalisierende Lager: Während die eine Gruppe versucht, eine friedliche Gesellschaftsform zu etablieren, steht es der anderen mehr nach Spiel, Spaß und Risiko. Bei einer Jagd nach einem angeblichen Monster in der Wildnis fallen irgendwann alle Hemmungen – und einst unschuldige englische Eliteschüler mutieren zu blutrünstigen Killern. 

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In "The Society" braucht es kein Monster, um Chaos zu verbreiten: Dafür sorgen die Jugendlichen schon selbst. Alkohol und auch Lebensmittel sind in den Supermärkten der verlassenen Stadt noch genügend vorhanden, auch Mobilfunk, Wasser und Strom funktionieren seltsamerweise weiterhin. In der Kirche begießt die Schicksalsgemeinschaft ihre neugewonnene Freiheit ohne elterliche Kontrolle erst einmal mit einem ausgiebigen Komasaufen.  

Doch aus der Katerstimmung nach der feucht-fröhlichen Party erwächst eine explosive Atmosphäre: Geschäfte werden geplündert, unter den weiblichen Schülern macht sich Angst vor ihren testosterongesteuerten männlichen Altersgenossen breit. Die rational abwägende und brave Schulsprecherin Cassandra (Rachel Keller) erlässt Notstandsgesetze: Rationierung der Lebensmittel, Einrichtung eines Arbeitsdienstes, erzwungene Wohngemeinschaften. Eine Wächtertruppe soll die öffentliche Ordnung sichern. Willkommen im postapokalyptischen Polizei- und Arbeiterstaat West Ham. 


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Demokratische Wahlen, um seine Macht zu legitimieren, hält das weiblich dominierte Führungsgremium erst einmal nicht für notwendig. "Wenn wir Frieden wollen, brauchen wir Ordnung. Um Ordnung zu erhalten, müssen wir unsere Macht ausüben", verkündet Cassandra – und wirkt dabei wie eine freundlich lächelnde Diktatorin. Bald regt sich Widerstand gegen die Oberen, die sich sogar anmaßen, über Tod oder Leben ihrer Untergebenen zu entscheiden. 

Als dann doch Bürgermeisterwahlen ausgerufen werden, wittert der dauergrinsende Psychopath und Außenseiter Campbell (Toby Wallace) seine Chance – und organisiert mithilfe des verwöhnten Bürgermeistersöhnchens Harry (Alex Fitzalan) einen Putsch.

Die Ränkespiele um die Macht in der Teenie-Diktatur sind die stärksten Momente in "The Society", die so manch schauspielerische und erzählerische Defizite überdecken. So bleibt etwa unklar, wie aus dem High-School-Spitzbuben Campbell plötzlich ein machthungriger Sadist wird – oder aus der hysterischen Allie (Kathryn Newton) eine kaltherzige Anführerin. Sobald die Kamera einen Blick durch das Schlüsselloch der Jugendzimmer wagt, wird es leider langweilig und allzu klischeehaft. 

Wie im Vorbild "Herr der Fliegen" schlägt das pubertäre Machtgehabe auch in der abgeschiedenen Welt von „The Society“ irgendwann in Gewalt um, es droht der Verfall in mittelalterliche Barbarei. Die moderaten Kräfte, die am friedlichen, aber widersprüchlichen System festhalten, haben bald das Nachsehen gegenüber den aufmüpfigen Rebellen. Ist vielleicht alles nur ein ausgeklügeltes Spiel vor perfekt nachgebildeter Kulisse, die verlassene Stadt eine Art Zwischenstation? 

Antworten wird erst die zweite Staffel bringen.

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Die erste Staffel von "The Society" ist aktuell auf Netflix verfügbar.


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