„Streaming-Plattformen sind nicht das Ende des Kinos“
„Streaming-Plattformen sind nicht das Ende des Kinos“
Gilles Chanial, Sie sind in diesem Jahr mit „Les Films Fauves“ sehr präsent in Cannes. Mit „Jeunesse“, „Los delincuentes“ und „Conann“ haben Sie gleich drei Filme co-produziert, die in diesem Jahr bei den Filmfestspielen gezeigt werden. Wie ist es dazu gekommen?
Es ist ein langwieriger Prozess. Die Arbeit an Wang Bings Dokumentation „Jeunesse“ hat vor zehn Jahren begonnen. Das Projekt wurde durch die Corona-Pandemie gestoppt. Es waren dann letztlich ungefähr 4.000 Stunden Aufnahmen, eine unglaubliche Arbeit. Entstanden ist ein Abbild des heutigen postkommunistischen Chinas, einer Jugend, die sich ohne Papiere aus allen Teilen des Landes an einen Textilstandort vor Shanghai begibt, zum Arbeiten. Das kann neorealistisch erscheinen. Mit Rodrigo Moreno („Los delincuentes“) ist es eine andere Geschichte. Wir haben uns vor Covid kennengelernt und auch schon angefangen daran zu arbeiten, und zwar direkt nach der Reise, die von Françoise Lentz vom Film Fund organisiert wurde. Wir sind von Chile bis nach Argentinien gereist.
Sind Sie international so gut vernetzt? Wang Bing und Bertrand Mandico sind ja schon große Namen in der Filmwelt …
Mit Bertrand Mandico war es wieder eine andere Begegnung, die im Théâtre de Nanterre begonnen hat … Dort haben wir die Sets entworfen, die dann später in Esch auf dem Industriegelände montiert wurden. All diese drei Projekte sind Prototypen. Es war Glück und eine Reihe von Zufällen, dass ich diese Menschen getroffen habe.
Natürlich passiert das alles nicht einfach so. Ich bin ein Kinoliebhaber. Ich kenne Wang Bing seit 20 Jahren, traf Rodrigo in Argentinien und bin schon lange ein Fan von Bertrand Mandico. Es ist nicht nur eine Frage der Vernetzung, es sind auch Freundschaften und eine geteilte Liebe zum Film.
Es ist nicht nur eine Frage der Vernetzung, es sind auch Freundschaften und eine geteilte Liebe zum Film.
Gilles Chanial
Ihre Filmproduktionsfirma „Les films Fauves“ hat ihren Sitz in Differdingen und war bisher in Luxemburg nicht sehr bekannt … Was ist Ihre Rolle genau bei solchen Co-Produktionen?
Als wir mit Wang Bing mitten in China gedreht haben, bestand unsere Rolle nicht nur in der Postproduktion, sondern auch in Übersetzungsarbeiten, im Schreiben. Meine Rolle in Luxemburg bestand vor allem in Übersetzung, was eine riesige Arbeit ist, aber es ist wirklich nur ein Teil des Ganzen. Bei „Conann“ von Bertrand Mandico hatte ich hingegen die Rolle des Hauptproduzenten. Das war verbunden mit vielen Shootings in Esch, nachts, mit einem Team aus über 40 Leuten. Meine Rolle – das ist auch die ganze Zwischenarbeit bis zur Distribution.
Bei „Conann“ von Bertrand Mandico hatte ich die Rolle des Hauptproduzenten. Das war verbunden mit vielen Shootings in Esch, nachts, mit einem Team aus über 40 Leuten.
Gilles Chanial
Bei „Conann“ haben Sie die alten Industriehallen als Kulissen eingesetzt … Der Film ist ja dann im wahrsten Sinne des Wortes „Made in Luxembourg“. Wie kam es zu der Idee?
Mit Bertrand haben wir schon vor der Produktion von „Conann“ an einem VR-Projekt gearbeitet, und als er nach Luxemburg kam, habe ich ihm die Werkhallen in Schifflingen gezeigt. Das ist für mich ein Ort mit einer außergewöhnlichen Atmosphäre. Unsere Studios sind in Differdingen, in Schifflingen haben wir eine ganze Szenerie innerhalb der Stahlindustrie errichtet. Und als er das sah, hatte er direkt diese barbarische Fantasy-Welt vor Augen.
In Schifflingen haben wir eine ganze Szenerie innerhalb der Stahlindustrie errichtet.
Gilles Chanial
Was bringt es einem Film, in Cannes gezeigt zu werden? Bedeutet es fernab des Schaulaufs an der Croisette Sichtbarkeit?
Es hängt natürlich von der Sektion ab, in der der Film läuft. Für Mandico ist Teil der Sektion „Quinzaine des cineastes“ zu sein, eine logische Konsequenz seiner langjährigen Arbeit. Dieser Film wird nicht nur Außenseiter interessieren. Für „Los Delincuentes“ wurden wir für „Un certain regard“ ausgewählt, und das Presseecho ist bisher fantastisch. Für Wang Bing bedeutet die Aufnahme seines Dokumentarfilms im offiziellen Wettbewerb, dass er Teil des Clubs ist, es ist eine riesige Anerkennung für seine gesamte Arbeit.
Für Wang Bing bedeutet die Aufnahme seines Dokumentarfilms im offiziellen Wettbewerb, dass er Teil des Clubs ist, es ist eine riesige Anerkennung für seine gesamte Arbeit.
Gilles Chanial
Sind aus Ihrer Sicht Streaming-Dienste wie Netflix oder Mubi eine Gefahr für das Kino?
In einer Weise ist das sogar eine Chance. Ich sehe das als etwas, das anders ist, aber ergänzend funktioniert zur kollektiven Erfahrung des Kinos. Das Kino verändert sich gerade. Die Leute schauen sechs Stunden Dallas, das ist eine Art Binge-Watching, die sehr anders ist, als das Kino, wie wir es bisher kannten. Diese Formate werden auch das Bedürfnis einer kollektiven Erfahrung befriedigen. Es ist nicht das Ende vom Kino. Nur eine Transformation. So wurde der Film auch gerade von „Mubi“ (A. d. R.: eine Streaming-Plattform für Arthouse-Filme) eingekauft und wird zugleich in den Kinosälen anlaufen.
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