Sohns gelüftete Geheimnisse
Sohns gelüftete Geheimnisse
Von Steffen Rüth
Er hat sein neues Album „Rennen“ genannt, aber „Schwimmen“ hätte ebenso gut gepasst, scherzt Sohn. „Die meisten der Songs habe ich im Ferienhaus eines Freundes im Norden Kaliforniens geschrieben“, berichtet der 37 Jahre alte Brite. „Vier Wochen war ich dort, und jeden Abend bei Sonnenuntergang habe ich Pause gemacht, um Schwimmen zu gehen. 100 Bahnen im Pool, insgesamt etwa eine Stunde. Während meiner Runden hörte ich mir an, was ich am Tag aufgenommen hatte, dachte über die Songs nach, duschte, aß Fisch mit Reis, trank leckeren Wein und machte mich wieder ans Werk.“
Sohn war allein, Gesellschaft leisteten ihm lediglich zwei Rehe, die ab und an vorbeischauten. „Auf so eine entspannte Art habe ich noch nie zuvor ein Album gemacht. Es war herrlich, absolut herrlich.“ Druck nach dem erfolgreichen Debüt habe er nicht gespürt, behauptet Sohn. „Als ich mich an die Arbeit machte, hatte ich nichts. Ich fing frisch und unvorbelastet an und habe alles an mich herangelassen, was mich irgendwie weiterzubringen schien.“
Die Flucht nach vorne
Sohn hat sich verändert, seit er vor drei Jahren plötzlich aus dem scheinbaren Nichts auftauchte. Die geheimnisvoll-unnahbare Aura, die Christopher „Toph“ Taylor, so Sohns bürgerlicher Name, noch anlässlich seines ersten Albums „Tremors“ um die eigene Person aufbaute, gehört inzwischen der Vergangenheit an. Sohn sitzt fröhlich und ganz in Schwarz gekleidet – inklusive eines breitkrempigen Huts – auf dem Sofa seines Mitteberliner Hoteldomizils und hat alles Zurückhaltende und Introvertierte abgelegt, jovial und sympathisch plaudert er über sein Leben und sein Schaffen. „Ich wollte anfangs nicht so viel über meine Person verraten“, sagt er, „weil ich als Sohn künstlerisch noch einmal ganz neu angefangen hatte.“
Die Bands und Projekte, mit denen er vorher zu tun hatte und die erfolglos allesamt versandeten, seien für ihn nicht mehr relevant, betont er. Also will er auch nicht mehr über früher sprechen. „Ich bin sowieso jemand, der immer nach vorne schaut. Mein Plan war, dass ich Sohn nach und nach mit Persönlichkeit fülle. Zunächst hielt ich mich noch etwas mehr zurück, jetzt macht es mir Freude, im Mittelpunkt zu stehen und die Leute zu bespaßen.“
Das Vergnügen ist beiderseitig. Für seinen höchst geschmackvollen Synthie-Pop-R&B und seine sanften, indes intensiven und seelenvollen Elektronik-Soul-Kompositionen wird er global bejubelt, auch bei der Prominenz. So spielte Schauspielerin Milla Jovovich gern und ohne Gage die Hauptrolle in seinem Video zu „Signal“. Sohn selbst gab in den vergangenen drei Jahren 175 Konzerte in aller Welt – darunter auch zwei Konzerte in Luxemburg – und produzierte nebenher sogar noch für Rihanna, The Weeknd oder Banks. Auch die ganzen Reiseerfahrungen hätten ihn offener werden lassen, so sagt er, und in kreativer Hinsicht geradezu draufgängerisch. „Ich habe zu praktisch allen Angeboten ‚ja‘ gesagt. Manchmal kam mit der Gedanke, wo zum Teufel ich da denn gelandet bin, aber ich möchte keine einzige Erfahrung missen.“
Sohns Stimme ist auf „Rennen“ tiefer geworden, er singt nicht mehr so viel Falsett (Ausnahme: der weiche und formidable Titelsong). Softe Songs („Conrad“, „Harbour“) stehen immer noch im Vordergrund, er ist und bleibt ein Meister der geschmackvoll hingetupften, melancholischen Beat-Ballade. Ein schnelles Album ist „Rennen“ sicher nicht, auch „Schleichen“ oder „Schlendern“ wären als Titel in Frage gekommen. Immerhin: „Falling“ oder „Proof“ knallen für Sohns Verhältnisse ganz gut. Und ein Lied wie „Hard Liquor“ etwa vollbringt das Kunststück, zugleich dunkel und nach Party zu klingen. „Das Stück handelt von der Zeit, als ich mein Mädchen kennenlernte, das mittlerweile meine Frau ist. Sie trank damals wirklich viel, zu viel, und unsere Beziehung war zunächst ziemlich chaotisch.“
Die private Situation hat sich inzwischen geglättet. Der mehrere Jahre lang in Wien lebte („Mir fiel es noch nie schwer, Orte zu verlassen, auch Wien nicht. Ich hatte keinen Grund mehr, dort zu bleiben, habe in Wien aber ein paar echt großartige Freunde gefunden.“), lebt mit seiner Frau nun in Echo Park, der Coole-Künstler-Enklave in Los Angeles. Und seit drei Monaten hat Sohn auch einen Sohn.
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