Sleeping With Ghosts
Sleeping With Ghosts
Von Jeff Schinker
Ist eine Best Of-Platte im Jahre 2016 notgedrungen ein Anachronismus? Wohl kaum mehr als ein neuer Placebo-Song. Beides gibt es nichtsdestotrotz jetzt pünktlich zur Zelebration des zwanzigjährigen Bestehens einer der wichtigsten Indiebands der späten 1990er.
Vor zwölf Jahren veröffentlichten Placebo, die sich mit ihrer Gründung in der École européenne hier in Luxemburg unlängst in die kulturelle Mythologie des Großherzogtums eingeschrieben hatten, eine Werkschau, die den schönen Titel „Once More With Feeling“ trug.
Bei all den personalisierten Playlists, die sich mittlerweile jeder im Handumdrehen in seiner virtuellen Stube zusammenbastelt, liegt heute die einzige Legitimität der Best Of allenfalls in genau dem autoritären Auferlegen einer Geschichtsschreibung, die – aller Playlists zum Trotz – die Höhen und Tiefen der Band in Stein meißelt.
Das nostalgische Märchen mit dem androgynen Brian Molko
Dies deutet Brian Molko in dem sehr spärlich annotierten Booklet an: das Best Of soll die Bandgeschichte nostalgisch schildern – ein Märchen mit dem androgynen Molko in der Hauptrolle, doppelt besetzt als verletzlicher Wolf und hedonistisches Rotkäppchen. Die Werkschau 2016 bietet dann auch, wie soll es anders sein, ein bisschen von allem – mit Schwerpunkt auf der Vergangenheit, da für Placebo in der Tat alles besser war.
Der grandiose Erstling sowohl als das hitlastige, melancholische „Sleeping With Ghosts“ sind hier am meisten vertreten, und Tracks wie „36 Degrees“, „Taste in Men“ oder „Special Needs“ zeigen dann auch, wieso Placebo in ihren besten Jahren eine wegweisende Band waren. Die androgyne Stimme Molkos, die punkigen Hymnen, das Schmachten, die Verzweiflung, das Gespür für mitreißende Melodien, der Glam, der Hedonismus, die Balladen: Hier hat anfangs alles so gut funktioniert, dass man sogar David Bowie für „Without You, I’m Nothing“ gewinnen konnte.
Viele Placebofan der ersten Stunde hatten nach „Sleeping With Ghosts“ abgeschaltet, andere fanden „Meds“ ein ausgezeichnetes Resümee der Bandgeschichte; die meisten aber sind sich einig, dass „Battle for the Sun“ und „Loud Like Love“ bestenfalls enttäuschend sind.
Von diesen letzteren Alben findet man deswegen auch nur ein paar Tracks. „Breathe Underwater“ ist hier aus irgendeinem Grund in einer entschleunigten, pathosgetränkten Version vertreten, die einem flüchtig das gute Original ins Gedächtnis ruft. „Too many Friends“ zeigt mit der viel belächelten Textzeile – „My computer thinks I’m gay/I threw that piece of junk away“ – wieso Molko ein einfallsloser Lyriker geworden ist, seitdem er nicht mehr über Hedonismus singt.
Zum Kaufanreiz sollen einige alternative – leider manch schlechte – Versionen bekannterer Songs dienen. Lediglich die wohl für dieses Best Of neu aufgenommene, langsamere Version von „36 Degrees“ deutet an, wie Placebo mit der Inspiration von gestern und den Produktionsmitteln von heute klingen könnten.
Eine Hoffnung, die von der Belanglosigkeit des einzigen neuen Tracks leider wieder nichtig gemacht wird. So taugt diese Sammlung hauptsächlich als schmerzliche Erinnerung daran, wie gut diese Band einmal war.
Dass die Tracklist versucht, die schlechtere Qualität des Spätwerks zu verstecken, indem sie dieses in einer nicht chronologischen Reihenfolge an die Perlen der Vergangenheit reiht, täuscht leider niemanden darüber hinweg, dass Placebo sehr wohl wissen, an welcher Stelle des Erzählstranges sie angelangt sind.
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