Schaurig schöne „Extraordinary Tales“
Schaurig schöne „Extraordinary Tales“
Von Vesna Andonovic
Knapp sieben Monate nachdem man „Extraordinary Tales“ von Regisseur Raul Garcia in einer einzigen Vorführung bei der diesjährigen Auflage des „Luxembourg City Film Festival“ im März entdecken konnte, läuft die „Melusine Films“-Produktion nun auch endlich im regulären Kinoprogramm an. Ein wunderbar sonderbarer, schaurig schöner Augenschmaus, der mittels fünf Geschichten von Edgar Allan Poe, dessen komplexes literarisches Universum auf buchstäblich „fantastische“ Weise aufleben lässt. Absolut sehenswert und definitiv denkwürdig!
Nicht von ungefähr waren, mit „Ernest et Célestine“ im vergangenen und „Song of the Sea“ in diesem Jahr, zwei Koproduktionen aus Stéphan Roelants' „Melusine Productions“ im Rennen, um die begehrteste Filmtrophäe der Welt, den Oscar. Dass die Preise am Ende an die konkurrierenden amerikanischen Großproduktionen „Frozen“ und „Big Hero 6“ gingen, ist da wohl einfach auf die aufgefahrenen Mittel von deren perfekt geölter Marketingmaschinerie zurückzuführen und sollte auf keinen Fall eines vergessen lassen: Bereits eine Nominierung für die „Academy Awards“ ist ein regelrechter Ritterschlag, der nur den allerwenigsten, also den allerbesten Filmen zuteil wird.
Mit „Extraordinary Tales“, nach fünf Geschichten von Edgar Allan Poe, bringt das Animationshaus aus Contern nun ein weiteres Werk auf die große Leinwand, und Oscar-Qualitäten hat definitiv auch dieser Episodenfilm. Nicht von ungefähr bedachten ihn u. a. die Zuschauer des „Anima – The Brussels Animation Film Festival“ Ende Februar mit ihrem Publikumspreis. Kein Wunder, denn in welch anderem Luxemburger Film kann man auch sonst Filmlegende Sir Christopher Lee, „Hellboy“ und „Pan's Labyrinth“-Regisseur Guillermo del Toro, dessen Gothic-Hommage „Crimson Peak“ ebenfalls aktuell in den Kinos läuft, Schauspieler Julian Sands und Roger Corman, „Tintenherz“-Autorin Cornelia Funke oder Kultfigur Bela Lugosi in der (Sprecher)-Besetzung antreffen – und das bei einem Budget von knapp zwei Millionen Euro.
Künstlerische Variation, stringente visuelle Qualität
An Poes bekanntestes lyrisches Werk „The Raven“ angelehnt, lässt Regisseur Raul Garcia, den britischsten aller amerikanischen Schriftsteller als Raben in Dialog mit dem Tod – dessen Schwingen weiblich sanft und verlockend sind – treten und zaubert so, neben der betörend stimmigen Musik des spanischen Komponisten Sergio de la Puente, ein formales Bindeglied zwischen den fünf Geschichten, die allesamt ebenfalls einzeln als überzeugend abgerundete Kurzfilme stehen könnten. Der dritte rote Faden, der für den notwendigen Zusammenhalt sorgt, ist eindeutig die in faszinierend-künstlerische Variation eingebettete visuelle Qualität, das wohl durchgehendste Markenzeichen von Produktionen aus dem Hause „Melusine Film“: Mit einem Beamer könnte man jedes der gezeigten Bilder als eigenständiges Gemälde an der heimischen Wand projizieren und beim Anblick seines bildhaften Reichtums nicht müde werden.
Erscheint „The Fall of the House of Usher“ düster „poesk“, kommt „The Tell-Tale Heart“ in expressionistisch-klarem Schwarz-Weiß daher. Während „The Pit and the Pendulum“ alle Register der Animationskunst zieht, klingen bei „The Facts in the Case of M. Valdemar“ Reminiszenzen an alte Pulp-Magazine aus den 50er- und 60er-Jahren mit; bei „The Mask of the Red Death“ ist die visuelle Inspiration an Egon Schieles Kunst nicht zu übersehen.
So wundervoll verzaubernd und betörend bunt hat man Edgar Allen Poes düsteres Universum selten gesehen: Demnach ein Film, der definitiv Freunde des Papiers und die des Zelluloids gleichermaßen glücklich machen dürfte.
Animationsfilm (B/L/E/F 2015). Regie: Raul Garcia. Mit den Stimmen (im englischen Original) von Roger Corman, Guillermo del Toro, Christopher Lee, Julian Sands, Bela Lugosi. Drehbuch: Raul Garcia, Stephan Roelants, nach den Erzählungen von Edgar Allan Poe. 70 Minuten. (Ab 12 Jahren)
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