Racheengel im Bleistiftrock
Racheengel im Bleistiftrock
Von Kathrin Schug
Wie sie da sitzt, an ihrem abgedunkelten Schreibtisch, in ihren biederen Kleidern, mit der verstockten Ausstrahlung und dem wohl langweiligsten Beruf in der Berliner Kriminalkommission, der Blick würde kaum haften bleiben an Freya Becker (Iris Berben), der Protokollantin. Tag für Tag tippt sie ab, was in Vernehmungen von sich gegeben wird: Schilderungen von Männern, die im Suff ihre Frauen erschlagen, Babys töten oder Leichen verschwinden lassen.
Scheinbar ungerührt tippt sie ihre Aussagen in den Computer. Sie ist eine Randfigur, der man auf dem Gang begegnet, wenn sie ihre Teekanne auffüllt, sonst aber kaum zur Kenntnis nimmt. Die vollendete graue Maus – das ist die perfekte Tarnung eines Racheengels mit wenigen Skrupeln und tiefen Abgründen. Freya Becker ist Gefangene einer Vergangenheit, von der die meisten ihrer deutlichen jüngeren Kollegen nichts wissen: Vor Jahren war sie selbst Teil einer Ermittlung.
Ihre jugendliche Tochter Marie verschwand spurlos aus dem Zeugenschutzprogramm, als sie gegen einen gewalttätigen Zuhälter aussagen wollte. Während mit den Jahren ein Jeder davon ausging, dass ihre Tochter tot ist, kann Freya sie nicht aufgeben: In einsamen Momenten öffnet sie entweder eine Flasche Rotwein und unterhält sich mit ihrer Katze, oder sie spricht auf den Anrufbeantworter ihrer vermissten Tochter, um zumindest ihre fröhliche Bandansage zu hören.
Wenn die Vergangenheit im Nacken sitzt...
Flankiert ist diese Protagonistin von ebenso detailreich gezeichneten Figuren: Da ist einmal ihr deutlich jüngerer Bruder Jo (Moritz Bleibtreu), ehemals aktiv im Rotlichtmilieu, heute Betreiber eines edlen Sternerestaurants – dass er tief in das Verschwinden ihrer Tochter verstrickt ist, eröffnet die Serie erst ganz zum Schluss. Und als heimliche Hauptfigur, die die Serie über weite Strecken trägt, hat Peter Kurth (aktuell zu sehen als Kommissar in Babylon Berlin) seinen Auftritt als Hauptkommissar Silowski.
Die Liebesgeschichte zwischen ihm und Freya Becker lässt für einen kurzen Moment die ehrliche Hoffnung auf ein Happy End für diese durchweg tragischen Figuren aufscheinen, denen schließlich doch nur das Finale im Trauerspiel bleibt. Iris Berben spielt diese vielschichtige Figur, die eigentlich nur noch eine Fassade zur Verschleierung der eigenen Dämonen ist, mit einer Starre und Brüchigkeit, der zuzusehen eine Wonne ist.
Mit versteinertem Gesicht und gestärktem Bleistiftrock scheint sie äußerlich so spröde und unbeweglich, wie sie im Innern moralisch agil und skrupellos ist: Mit ihren eigenen Waffen verhilft sie der vermeintlichen Gerechtigkeit dort zum Sieg, wo sie den Rechtsstaat versagen sieht.
Die „Serien-Sensation“, als die das ZDF die Produktion werbewirksam anpreist, ist „Die Protokollantin“ sicherlich nicht: Erzählweise, Kamera und Ästhetik sind konservativ bis schnarchig, allein die Schauspieler und die Story erheben die Serie über den Durchschnitt eines trüben Tatorts. In gewisser Weise gelingt so aber auch ein – wohl gewünschter Spagat – zwischen den Sehgewohnheiten der nicht gerade blutjungen Stammzuschauer des öffentlich-rechtlichen Senders und dem Anspruch einer erzählerisch raffinierten Serie.
Eine Produktion, die übrigens vom Buch über die Regie bis hin zur Kamera in Frauenhand lag. Ästhetisch und erzählerisch sicher kein Meilenstein, aber großartiges Schauspielerfernsehen, das über die fünf einstündigen Folgen hinweg immer stärker in seinen Bann zieht.
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