Ohne Konkurrenz - und ohne roten Faden
Ohne Konkurrenz - und ohne roten Faden
Sechs Jahre hat es gedauert, bis die wahrscheinlich berühmteste Heavy-Metal-Band ein neues Album herausgebracht hat: „Senjutsu“, vage aus dem Japanischen übersetzt als „Strategie“ oder „Taktik“, heißt Iron Maidens 17. Studioalbum, das auf die bisher kommerziell erfolgreichste Veröffentlichung „The Book of Souls“ aus dem Jahr 2015 folgt. Die Pause war wohl hauptsächlich wegen Corona so lang, „Senjutsu“ wurde bereits Anfang 2019 in Frankreich aufgenommen. Um so größer dürften die Erwartungen in Fankreisen und Musikindustrie gewesen sein, was die Band um Bassist Steve Harris im Jahre 2021 - 41 Jahre nach ihrem gleichnamigen Debutalbum - noch aufbietet.
Die vorweggenommene Antwort ist: eher zu viel als zu wenig. „Senjutsu“, erschienen am 3. September, kommt mit 81 Minuten Laufzeit als Doppelalbum daher - eine Information, die in Zeiten des Streamings ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt, aber gleichzeitig bei der parallel zum Streaming erstarkten Gruppe der Vinyl-Sammler auf Interesse stoßen dürfte.
Und in diesen 81 Minuten, zwei Platten, vier Seiten, zehn Tracks, wie auch immer, gibt es reichlich von all dem, was Iron Maiden seit 1980 unverwechselbar gemacht hat: Den knackig-präsenten und schnellen Bass von Steve Harris, Tempo- und Rhythmuswechsel, mehrstimmige Gitarren und die seit Jahrzehnten wohl markanteste Stimme im Heavy Metal - Bruce Dickinson hat auch mit 63 und nach überstandener Zungenkrebserkrankung keine Angst vor dem hohen Register, auch wenn man ihm hier und da die Anstrengung anmerkt. Insgesamt spielt das Album durchaus auf einem Niveau, das dieser Band so schnell keiner (mehr?) nachmacht.
Die Band kommt nicht auf den Punkt
Die Crux an der Sache liegt vielleicht genau darin: Iron Maiden kommen nicht auf den Punkt, zum Teil wirkt das Material selbstgefällig. Zwar waren die Songs der sechs Briten schon immer eher jenseits der Fünf-Minuten-Marke angesiedelt (der Metalfan findet das „episch“ und hat nichts dagegen). Und seit Beginn des Jahrtausends, als die Band sich mit Sänger Dickinson und Gitarrist Adrian Smith wieder zusammengerauft hatte und fortan mit drei Gitarristen unterwegs war, hat sich diese Tendenz eher noch verstärkt.
Auf „Senjutsu“ wirken allerdings viele Songteile erschreckend beliebig - oder umgekehrt: Die teilweise wirklich guten Ideen müssen sich gegen viel zu lange, nichtssagende Passagen durchsetzen, die Platte setzt völlig falsche Schwerpunkte. Schon der Titeltrack eröffnet das Album viel zu verhalten und wäre besser weiter hinten untergebracht gewesen - oder, bei 81 Minuten durchaus vertretbar, komplett rausgefallen.
Auch „Lost in a Lost World“ oder „The Parchment“ sind meilenweit weg von der Zeit, als Iron Maiden auch über 13 oder mehr Minuten die Spannung eines hymnischen Metal-Songs aufrechterhalten konnten; den Fans dürften die älteren Beispiele auswendig bekannt sein, und diese gewinnen ohne Anstrengung den Vergleich mit dem neuen Material. Die nicht immer ganz schlüssig klingende Produktion von Kevin „Caveman“ Shirley, dem Iron Maiden seit „Brave New World“ im Jahr 2000 die Regie im Studio anvertrauen, tut ihr Übriges dazu - selten hat man die beinahe „altmodischen“ Produktionen des vor einem Jahr verstorbenen Martin Birch (bis 1992) mehr vermisst.
Vereinzelte Highlights
Ganz ohne Highlights ist „Senjutsu“ aber dennoch nicht: „The Writing on the Wall“ zeigt eine Folkrock-Attitüde, die man (bis zum ersten, unverkennbaren Dickinson-Ton) fast schon bei den Levellers oder Skyclad verorten könnte. Der Band steht das besser zu Gesicht als die teilweise viel zu billig klingenden Keyboard-Teppiche, die den Rest des Albums beherrschen. Und immer wieder blitzt die alte Klasse durch: Der Zehnminüter „Death of the Celts“ kommt zumindest halbwegs an die Epen vergangener Zeiten heran und dürfte auch live immer noch zünden - falls es dazu irgendwann wieder kommt.
„Senjutsu“ ist ein nur teilweise gelungenes Album einer Band, die nach mehr als 40 Jahren eigentlich nur noch im Wettbewerb mit sich selbst steht - was man leider allzu deutlich hört. Echte Fans wird das nicht stören. Neulinge haben keinen Vergleich, sollten sich aber dringend in der Diskografie weiter zurück orientieren - in Richtung „Powerslave“ oder auch „Fear of the Dark“- um dieses Album und die Lebensleistung von Harris, Dickinson, McBrain und Co. korrekt einzuordnen.
Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
