Neue CD lässt Lieder von Helen Buchholtz erklingen
Neue CD lässt Lieder von Helen Buchholtz erklingen
Sehr expressiv, aber stilistisch schwer einzuordnen: Die Werke von Helen Buchholtz (1877-1953) wurden zu ihren Lebzeiten kaum aufgeführt und gerieten in Vergessenheit. Seit der Wiederentdeckung durch die Musikwissenschaftlerin Danielle Roster 1998 erhält die Luxemburger Komponistin neue Aufmerksamkeit.
Zu den Experten, die das Werk nach und nach erschlossen, gehört auch Claude Weber. Mit der Sopranistin Gerlinde Sämann hat der Pianist nun die Doppel-CD „Und hab‘ so große Sehnsucht doch... Lieder und Balladen von Helen Buchholtz“ eingespielt. An diesem Freitagabend wird die CD, begleitet von der Premiere eines Dokumentarfilms von Anne Schiltz, im CAPE in Ettelbrück vorgestellt.
Claude Weber, Sie waren einer der ersten Musiker, der in den ungeordneten Nachlass von Helen Buchholtz schauen durfte. Welchen klanglichen Eindruck hatten Sie, als Sie die Kompositionen erstmals spielten?
Das waren sehr unterschiedliche Eindrücke. Vieles ist spätromantisch und ergibt einen abgerundeten musikalischen Eindruck. Andere Stücke sind spröder, man findet nicht direkt einen Zugang; auch, weil man anfangs nicht weiß, ob es eine fertige Komposition oder eine Skizze ist. Es war also spannend, sich vorzutasten.
Der Pianist Marco Kraus hat ihren Stil treffend beschrieben: Sie hat eine Liebe zum Detail entwickelt, in der wirklich jede Note ihren Platz hat, was man aber nicht direkt erkennt. Sie hat nicht avantgardistisch komponiert, sondern auf ihre Art die Moderne gesucht und immer wieder versucht, etwas Neues zu schaffen. Ihr Ziel war immer die Expression, da hat sich die Form anpassen müssen. Beim Spielen kommt man an Stellen, an denen man stockt. Man muss sich eben mit ihrem Stil beschäftigen und dann erschließt er sich plötzlich.
Helen Buchholtz hat nie Komposition studiert. Merkt man den autodidaktischen Ansatz beim Spiel?
Ja. Sie hat eigene Lösungen gefunden, die manchmal musikalisch eher unorthodox sind. Das heißt aber nicht, dass ihre Kompositionen nicht gut gemacht wären. Sie sind sehr geschickt und sehr wirkungsvoll. Manche Musiker bevorzugen ihre Musik, weil sie so persönlich ist, eben nicht sofort an etwas Bekanntes erinnert und einen sehr expressiven Ausdruck hat.
Viele Lieder hören sich schwermütig an. Ist das der spätromantische Einfluss oder eine Folge ihrer Biografie als junge Witwe?
Es gibt einige Aufnahmen, die ganz humorvoll und ein bisschen strahlender sind. Aber das Meiste ist melancholisch in den verschiedenen Schattierungen und oft sehr traurig. Einerseits hängt das mit ihrer Biografie zusammen, andererseits auch mit jenem Zeitgeist. Anna Ritter [von Buchholtz mehrfach vertonte deutsche Dichterin, Anm. d. Red.] ist heute nicht mehr so bekannt, aber ihre Gedichtbände wurden damals in großen Auflagen gedruckt und oft vertont. Und fast alle Gedichte haben dieses Übermelancholische.
Was ist Ihnen im Spiel wichtiger, Werktreue oder Interpretation?
Vom Prinzip her immer die Werktreue. Bei Buchholtz ist interessant, dass man als Interpret erst den Eindruck hat, man müsse bei ihren Stücken mehr hineingeben. Weil man beim ersten Spiel nicht das bekam, was man anfangs von den Noten erwartete. Aber das war nur eine Übergangsphase.
Das Ganze muss reifen, weil wir bei vielen Stücken komplettes Neuland betraten. In ihren Kompositionen steht alles da, sie hat genau und minutiös notiert. Man muss gar nicht versuchen, noch etwas Anderes hineinzuinterpretieren. So werden viele Stücke auch viel schlichter, was wiederum diese Schwülstigkeit, die es in vielen dieser Texten schon gibt, kompensiert. Es kann nur so funktionieren.
Die schlichte Komposition trifft auf tragende Texte. Sehen Sie darin einen Konflikt?
Sie hat das unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Stücke, die in die Opulenz hineingehen, aber auch schlichte Werke. Besonders ist bei ihr, dass sie Balladen vertont hat, was damals in Luxemburg kein Komponist gepflegt hat. Gerade der Text der Ballade vom „Blauvögelein“ ist fast gruselig; und sie vertont ihn so, dass man fast erstarrt. Das ist unglaublich geschickt gemacht, ohne große Mittel, aber mit Raffinesse. Sie hat genau das erreicht, was sie wollte und was der Text verlangt. Es ist ein unglaublich gutes Stück.
Teil des CD-Projektes sind Neuinterpretationen von vier zeitgenössischen Komponistinnen. Wie kann dieser Ansatz das Verständnis von Buchholtz‘ Musik fördern?
Ich finde das unheimlich spannend; zumal die vier Komponistinnen ganz unterschiedliche Ansätze verfolgen. Sie stellen eine Verbindung zu einer Musik her, die rund hundert Jahre alt ist und zeigen, wie diese heute zu kreativen Frauen und Männern spricht.
Die Lieder hat die deutsche Sopranistin Gerlinde Sämann eingesungen. Wie ergänzen sich ihre Stimme und diese Musik?
Was sie macht, ist wunderschön. Sie hat eine helle Stimme. Manche Stücke waren für sie zu tief, weshalb wir einige nach oben transponiert haben. Die Stimme von Gerlinde Sämann macht die Musik für heutige Hörgewohnheiten zugänglicher.
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Premiere des Dokumentarfilms „Im Dialog mit Helen Buchholtz“ von Anne Schiltz, und Konzert mit Vorstellung der CD „Und hab‘ so große Sehnsucht doch... Lieder und Balladen von Helen Buchholtz“): Freitag, 20 Uhr, CAPE Ettelbrück. Karten (21 Euro) unter Tel. 26 81 26 81.
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