Meisterlich gezügeltes Chaos
Meisterlich gezügeltes Chaos
Von Vicky Stoll
Cate Le Bon beherrscht den wackeligen Balanceakt zwischen Kontrolle und Chaos. Die walisische Singer/Songwriterin veröffentlichte Ende April den Nachfolger zu ihrem sehr positiv aufgenommenen zweiten Longplayer „Mug Museum“ von 2013.
Bildete damals noch das hinterlassene Tassenmuseum der verstorbenen Großmutter den Ausgangspunkt für die zum Großteil sehr melancholischen Songtexte, so bleibt das Thema von „Crab Day“ eher vage. Vielleicht handelt es grob davon, einen inneren Halt in der so chaotischen Außenwelt finden.
Der Titelsong „Crab Day“ spielt mit der phonetischen Verwechslungsgefahr von „crab“ (Krabbe) mit „crap“ (Mist). Die tatsächliche Erklärung ist aber eine ganz andere: Cates 11-jährige Nichte unterbreitete ihr den Vorschlag, den verhassten 1. April durch einen anderen Traditionstag, den Krabbentag, zu ersetzen. Das unbeabsichtigte Wortspiel gefiel der Musikerin. Nach einem scheinbar endlos stampfenden Schrammel-Intro singt Le Bon davon, dass es sich nicht auszahle, Lieder zu singen. Offensichtlich lässt sie sich davon aber nicht abhalten.
„Love is not Love“ ist der eingängigste Song des Albums. Wunderbar lieblich schleicht sich die Melodie in den Gehörgang. Le Bon klingt verträumt, ihre Stimme offenbart eine Art entspannte Resignation, während die Sängerin sich an einer negativen Definition des Worts Liebe versucht und damit die beste Liedtextstelle des Albums liefert: „Love is not love when it’s a coat hanger, a borrowed line or a passenger.“ Die dezente Bläserunterlegung an vereinzelten Stellen und der verhuschte Sixties-Sound tun ihr Übriges, um dieses Lied zu einem großen Wurf zu machen.
Meisterstück der Widersprüche
Diese schwelgerische Stimmung wird jedoch sogleich durch das vergnügliche Chaos von „Wonderful“ unterbrochen. Das Lied klingt wie eine Fortsetzung von Cate Le Bons Nebenprojekt „Drinks“, deren ebenfalls sehr gelungenes Album mit dem herrlich sprechenden Titel „Hermits On Holiday“ im vergangenen Jahr erschienen ist und sich vermutlich irgendwo zwischen Dadaismus, Impressionismus, Nonsense, Punk und Pop verorten lässt. „Wonderful“ verkörpert die absolute Schieflage eines Popsongs, die Tempowechsel und das Xylophon-Geklimper verleiten zu einem breiten Grinsen.
In „Find Me“ und „I’m A Dirty Attic“ klingt Cate Le Bon wie eine weniger hölzerne, femininere Nico. Hier wecken die Texte interessante Assoziationen, im Mittelpunkt steht immer die Sehnsucht nach Zweisamkeit. „Whats so good about hungry hearts, eating on the table when your plate is full, I’m a body of dreams for you, aaahh ahhh, I’m a dirty attic.[...] I want to make sense with you“, singt Le Bon mit ihrem unverwechselbaren walisischen Akzent und wickelt darin ein nicht näher beschreibbares Empfinden ein.
Cate Le Bons Mutter hat ihr nach über 30 Jahren des Schweigens gestanden, dass man ihren Geburtstag aus Versehen gut drei Jahrzehnte lang einen Tag zu früh gefeiert habe. Davon handelt das Lied „I Was Born On The Wrong Day“, das den Lapsus auf amüsante Weise verdreht. Dieses Gefühl des „Falschseins“ und des „Nichtpassens“ lässt sich auch noch an anderen Textstellen festmachen.
Mit ihrem neuen Album „Crab Day“ ist Cate Le Bon ein Meisterstück der Widersprüche gelungen. Zwischen Lieblichkeit und Dadaismus, zwischen Anmut und Punk, zwischen Poesie und Nonsense tänzelt sie selbstsicher durch die Musikgeschichte und ihr eigenes Kuriositätenkabinett. Selbst die scheinbar sperrigsten Lieder der neuen Platte offenbaren nach nur wenigen Hördurchgängen nach und nach eine brillante Idee nach der anderen. Die zum Teil sehr impressionistischen Texte lassen Bilder aufleben, die einen unmittelbar berühren.
Wer sich auf den psychedelisch angehauchten Pop und die anfängliche Dissonanz dieses scheinbar rohen Brockens einlässt, der sieht sich am Ende mit einem wunderbar originellen Diamanten belohnt.
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Cate Le Bon tritt am 2. Juni in den Rotondes auf.
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