Mein Körper gehört mir
Mein Körper gehört mir
In „Das Ereignis“, das vor zwanzig Jahren unter dem Titel „L’Événement“ und 2001 auf Deutsch erschien, beschreibt die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux minutiös und ungeschönt ihren eigenen Schwangerschaftsabbruch. Dies in dem für Ernaux typischen lakonischen Stil, der Raum für die eigene Aneignung lässt.
Als sie die Abtreibung vornahm, ist die aus einer Arbeiterfamilie in Rouen stammende Ernaux Anfang 20. Es ist das Jahr 1963. Schwangerschaftsabbrüche sind in Frankreich zu der Zeit gesetzlich verboten, und wer auf eigene Faust zu einer „Engelmacherin“ geht, dem droht eine Geldbuße. Ernaux (die vor Kurzem wegen ihrer Unterstützung von BDS für Schlagzeilen sorgte) beschreibt in dem schmalen Band die eigene Erfahrung auf literarisch eindringliche Weise.
Noch erschütternder an dem Buch heute ist, dass das Thema - die dabei von Frauen empfundene Schmach und Erniedrigung - kaum an Aktualität eingebüßt hat, sondern aufgrund politischer Rückwärtsbewegungen gerade aktueller denn je erscheint. Die Mehrheit der Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, steht auch heute noch mit diesen Erfahrungen unter Rechtfertigungsdruck – und oft allein.
Die Schauspielerin und Regisseurin Larisa Faber wagt sich mit „Good Girls“ daran, das Thema auf die Bühne des frisch renovierten Ariston in Esch zu bringen. Eines Nachts sei sie auf eine Sammlung von Erzählungen in der Zeitung „The Guardian“ gestoßen, in denen Frauen ihre Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen dokumentieren.
Ihr Theaterstück „Good Girls“ basiert ebenfalls auf Erzählungen („Good Girls. Stories about abortion & no regrets“) von Frauen in Luxemburg, Großbritannien und Litauen. Diese Berichte sind parallel von anonyma a.s.b.l. herausgegeben worden, unterstützt vom Planning Familial und in Kooperation mit Esch2022 und Kaunas2022.
Gegenüber culture.lu erklärte Faber vorab ihr Vorhaben: „Sie finden diese Geschichten in den Feuilletons die ganze Zeit und ich verstehe, warum. Das ist Stoff für ein gutes Drama.“ Es sei wichtig, dass die Leute Erfahrungsberichte von Frauen sehen, die abgetrieben haben und die sich wirklich gut fühlen dabei, wenn sie mit diesem Thema konfrontiert werden. Da habe sie sich gedacht: „Perfekt. Erlauben Sie mir, genau das Gegenteil davon zu machen, nämlich ein Musical. Lassen Sie mich stattdessen Witze machen, tanzen und singen.“
Perfekt. Erlauben Sie mir, genau das Gegenteil davon zu machen, nämlich ein Musical. Lassen Sie mich stattdessen Witze machen, tanzen und singen.
Larisa Faber
Auf der Bühne des Ariston, der zweiten Bühne des Escher Theater, werden anfangs chemische Formeln an die Leinwand gebeamt. Drei Schauspielerinnen (Tekle Baroti, Monika Valkunaite, Nora Zrika) verharren zunächst im Dunklen. Ihre Kostüme glitzern.
In der mehrsprachigen Inszenierung (Französisch, Luxemburgisch, Englisch, Litauisch) scheren sie aus und erzählen ihre Geschichten. Sie berichten von Ärzten, die ihnen davon abrieten, diesen Schritt zu gehen, Psychologen, die ihnen ins Gewissen redeten und inexistenten Partnern. „Avortement“ erscheint in großen Lettern auf der Leinwand – dazu dynamische Musik.
Es sind bedrohliche Klänge und eine bedeutungsschwere Choreografie (Hannah Ma). Die Schauspielerinnen kreisen glitzernd und mit transparenten Plastikumhängen umeinander, suchen Halt und brechen aus, es sind keine subtilen Botschaften: „Ich habe eine Psychologin gefunden – aber ich hatte Angst, an eine Christin zu geraten“, erzählt eine von ihnen. Und nochmal: „Ich geriet an eine Psychologin per Telefon und sie war sehr katholisch.“
„Ich habe eine Psychologin gefunden – aber ich hatte Angst, an eine Christin zu geraten“, erzählt eine von ihnen. Und nochmal: „Ich geriet an eine Psychologin per Telefon und sie war sehr katholisch.“
Rund 70 Minuten lang werden die Zuschauerinnen mit Fragen und eindeutigen Antworten versorgt: „Kann ich wirklich abtreiben? Bin ich ein Monster?“ Die Haupt-Messages: „Wir müssen aufhören, IVG wie das Ende der Welt zu behandeln.“ – „Man sollte auch darüber lachen können.“ – „Ich bin 39 und war in einer Beziehung, die auf Missbrauch basiert.“ Am Ende steht die Botschaft: „Ich bin nicht allein. Wir sind zahlreiche!“
Bedrohliche Klänge, bedeutungsschwere Choreografie
Zwischentöne und die Einbettung in gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge jenseits des richtigen Beharrens auf selbstbestimmter Entscheidung, etwa die Frage danach, welch einen Einfluss auf die Entscheidung eine attestierte und/oder vermeintliche Behinderung des künftigen Kindes haben soll, sucht man vergebens. Auch Satire oder Humor finden sich im Gegensatz zum eigenen Anspruch Larisa Fabers nicht.
Rund 70 Minuten lang werden die Zuschauerinnen mit Fragen und eindeutigen Antworten versorgt.
Männer waren in der zweiten Aufführung, an der auch Großherzogin Maria Teresa als prominenter Gast zugegen war, nur spärlich vertreten. Sie blieben auch im Stück merkwürdig abwesend. Vollendet wurde die zweite Vorstellung von „Good Girls“ durch eine Table Ronde mit Catherine Chéry, Direktorin des Planning Familial, in der die Anwesenden zu dem Schluss kamen, es herrsche in Luxemburg noch immer eine regelrechte „Omerta“, was das Thema Abtreibung betrifft.
Ob diese plakative Inszenierung, die letztlich mehr über die Gesellschaft und unsere vermeintliche Diskussionskultur aussagt, als dass sie ästhetisch beeindrucken konnte, der Debatte um IVG wirklich etwas Konstruktives hinzufügt?
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Good Girls. Comédie Musicale. Künstlerische Leitung und Texte: Larisa Faber. Dramaturgie: Gabriele Labanauskaite; Scénographie und Kostüme: Marie-Luce Theis; Musik: Catherine Kontz; Chorégraphie: Hannah Ma; Vidéo: Shade Cumini; Schauspiel: Tekle Baroti, Monika Valkunaite, Nora Zrika; Régie: Max Stoltz. Keine weiteren Spieltermine.
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