Luxemburger Plätze auf Spritze und Moos seziert
Luxemburger Plätze auf Spritze und Moos seziert
Diese Glimmstängel, Injektionsnadeln, Tablettenblister oder Kondomverpackungen – Respekt! Alleine schon davor, dass der Fotograf Boris Loder sich für die Kunst und seine Werkidee opfert und diesen Unrat aufsammelt.
Aber es sind eben auch genau diese wunderlichen Spuren an den verschiedenen Orten in Luxemburg und Deutschland, die der Künstler zwischen 2016 und 2019 gesucht hat; kleine, aber zentrale Zeugnisse menschlicher Präsenz oder Interaktion: Pommesgabeln auf dem Sportplatz, Kondomverpackungen an der Kirchenmauer in Hollerich, Flugscheine in unterschiedlichsten Sprachen am Findel.
Identitätsmoleküle des Alltags
Damit nicht genug. Loder entnimmt eben diesen Orten nicht nur menschliche Hinterlassenschaften. In seinen, dem Bild vorausgehenden „Skulpturen“ bindet er Materialien dieser Räume ein: Böden wie Sand und Erde, Metallreste, Baumaterialien, Glasscherben, Mauer- und Betonbruchstückchen, Naturmaterialien wie Rinden, Moose und Gras – insgesamt jeweils „Particles“, Teilchen aus dem Kosmos dieser Orte, wie schon der Titel von Loders Ausstellung im Kreuzgang von Neimënster verrät.
Er verdichtet diese einzelnen, positiv wie negativ geladenen Partikel quasi zu Identitätsmolekülen in Form dieser kleinen Skulpturen; Würfel, die so auf ihre Art als pars pro toto für die Räume stehen – eine Reduktion und Essenz statt direkter Dokumentation mit einer fotografischen Aufnahme.
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Allein dieser Arbeits- und Denkprozess des 37-Jährigen zur Darstellung von Begebenheiten ist schon faszinierend: Wahl der Orte, Suche nach der Vielschichtigkeit und Kontraststärke der Partikel, Zusammenstellung in der Skulptur (drei sind zur Dokumentation in der Schau zu sehen), Arrangement und Studioeinrichtung, eigentliche Fotografie, Nachbearbeitung und daraus entstehende Giclée-Prints, großformatige Bilder aus dem Tintenstrahldrucker, in Din A1 Hoch- und Querformat.
Die ausgestellten Arbeiten sind nochmals für die Wirkung im Abteikreuzgang vergrößert worden. Hier im Verhältnis 141/99 cm; ohne Passepartout, aber mit genügend Weiß- und damit „Atemraum“ für das Motiv.
Bekannte Orte tiefschürfend untersucht
Aber eben nicht nur diese Prozesse überzeugen. Es wirkt so, als habe der studierte Geograf und Literaturwissenschaftler seine Neigungen perfekt in dieser künstlerischen Arbeit vereint. Er schafft mit dieser Verdichtung „Dichtung“ – eine Art visuelle, abstrahierende Lyrik, die mit scheinbar wenig viel ausdrückt. Loder lockt durch die vergrößerte Darstellung dieser Partikelhaufen den Betrachter, näher hinzuschauen. Dabei wirft er Aspekte auf, den so dokumentierten Raum gedanklich tiefer zu untersuchen. Tiefer und detaillierter, als es bei der „normalen“ Betrachtung eines Fotos des Findel, des Rond-Point Serra, des Ban de Gasperich oder des Mudam der Fall wäre.
Die Teilchen entschleunigen die Betrachtung und beschleunigen den Geist. Und es bleibt ein Freiraum, den der Betrachter selbst füllen muss: Entweder muss er den Abgleich mit seiner Sicht auf bereits vertraute Orte machen – oder er stellt sich vor, wie dieser Ort wohl aussehen mag, wenn er ihn nicht kennt. Zu guter Letzt stecken in den Teilchen Alltagsgeschichten und Momentzustände. Einfach herrlich!
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„Particles“ von Boris Loder, noch bis zum 1. September im Kreuzgang von Neimënster, Öffnungszeiten täglich von 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Mehr Infos unter www.neimester.lu
