Liebe in Zeiten der Unruhe
Liebe in Zeiten der Unruhe
Von Pol Schock
Ein Mann mit grauem Haar fährt mit seinem Jaguar in die Doppelgarage. Er steigt aus, trägt die beiden Einkaufstaschen auf die Kücheninsel. Und macht sich sofort ans Kochen: Garnelen, Filet vom Rind, Portweinsoße. Für wen diese mit viel Liebe zubereiteten Leckereien wohl sind?
So wenig unspektakulär beginnt das Video zur ersten Single „It's Love“ des neuen Albums „Love“ von „Get Well Soon“. Und eigentlich ist es wie immer: Denn Konstantin Gropper, das Mastermind hinter dem Musikprojekt aus Mannheim, gibt seine Geheimnisse nur ungern preis. Seine Kunst ergibt sich dem Betrachter bzw. dem Zuhörer nicht sofort. Nein! Es gilt, aufmerksam und vor allem geduldig zu sein.
Gropper kann wohl selbst als geduldiger Mensch bezeichnet werden. Der schüchterne Multiinstrumentalist ließ sich über drei Jahre Zeit für sein erstes Album: 2008 erschien „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“, das er zurückgezogen und allein in seinem Schlafzimmer aufgenommen hatte. Doch die Warterei hatte sich gelohnt: Es war ein opulentes Popwerk – nahezu perfekt arrangiert und mit viel Liebe fürs Detail. In den Feuilletons gefeiert, von der Indiewelt geliebt und sogar Achtungserfolge in den Charts – Deutschland hatte seinen neuen musikalischen Wunderknaben.
Seither hat Gropper musikalisch wenig falsch gemacht. Auf den Folgealben „Vexations“ (2010) und „The Scarlet Beast o’ Seven Heads“ (2012) sowie auf mehreren EPs konnte er das Niveau des Erstlings stets halten, ja, es gelang ihm gar, es noch zu übertreffen. Denn er kreierte seine eigene stilistische Popmärchenwelt mit Streichern, Guitarren, Synthies und Textreferenzen an die großen Denker der Geistesgeschichte.
Weltschmerz. Apokalypse. Liebe.
In seinem vierten Werk „Love“ geht er diesen Weg konsequent weiter. Und auch diesmal scheut er nicht vor einem großen Thema zurück. War es in den Vorgängerwerken noch Weltschmerz oder Apokalypse, ist es diesmal – wie der Titel schon vermuten lässt – die Liebe.
Doch die Liebe, die Gropper beschreibt, hat wenig mit Schmetterlingen zu tun. Er blickt hinab in die Abgründe und beschreibt, was mit Menschen passiert, die blind vor Liebe sind: Liebe als pathologischer Zustand, als Krankheit.
Etwa im Song „33“, in dem ein Professor seiner Geliebten nach mehreren Dates erklärt, dass er auf die abnorme Sexualpraktik der „Golden Shower“ steht. Oder bei der obene genannten ersten Singleauskopplung „It's Love“. Denn die so herzlich zubereiteten Speisen des grauen Mannes im Video (gespielt von Udo Kier) sind für seine junge Geliebte: ein Mädchen mit Kabelbindern an den Händen gefesselt. Heute darf sie einmal raus aus ihrem Keller. Sie wird gefüttert; es gibt sogar Wein.
Bei „Get Well Soon“ wirken diese Grenzfälle der Liebe jedoch nicht vulgär, sondern sind im eleganten, wie intelligenten Popgewand gekleidet. Nietzsche würde wohl seine Freud' daran haben. Doch bei allem Zynismus und aller Huldigung des Abnormen, so bleibt „Get Well Soon“ doch ein wunderbares Pop-Projekt, das versucht, auch in den negativen Dingen das Positive und Schöne zu sehen. Denn es heißt nicht um sonst „Get Well Soon“: gute Besserung.
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„Get Well Soon“ wird am 29. Mai in den Rotondes zu Gast sein.
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