Kein Zurück zu alter Form
Kein Zurück zu alter Form
Von Jeff Schinker
Das Wichtigste vorweg: Die Kings of Leon haben ihren traditionell fünfsilbigen Albumtitel („Youth and Young Manhood“, „Because of the Times“, „Only By the Night“) doch nicht aufgegeben. „Walls“ steht nämlich eigentlich für „We Are Like Love Songs“. Genauso lächerlich wie das Akronym ist die Platte glücklicherweise nicht.
Aber hier ist der Name irgendwie dann doch Programm: Die Kings of Leon scheinen nur mit der Tradition brechen zu wollen – der kurze Plattenname, die mit nur zehn Titeln knackigere Tracklist, das artsy Cover, auf dem die vier Bandmitglieder mit Baby Doll-Face aus einer milchigen Substanz herausragen. Sie haben letztlich aber dann doch „nur“ das nächste Kings of Leon Album geschrieben.
Was für die Familie Followill, die eine Frischzellenkur seit mindestens zwei Alben bitter nötig hat, doch keine so tolle Nachricht ist. Das neue Kings of Leon Album zeigt eine Band, deren kreatives Ableben eigentlich schon vor Jahren fällig war, die das Verfallsdatum der eigenen Relevanz nur nicht mitbekommen hat. Und trotzdem stur weiter macht.
Das liest sich jetzt schlimmer, als es sich tatsächlich anhört: Kings of Leon haben den Sound der formatierten Belanglosigkeit geschaffen, ihre neue Songsammlung tut niemandem weh, ist polierter Indierock fürs Radio, gut geschriebene Backgroundmusik für Leute, denen Musik eigentlich nicht so wichtig ist. Wenn das Album in einer Bar läuft, wird man das Café jetzt nicht wechseln – aber alleine wegen der Musik bleiben, wird wohl keiner.
Eingängig und einfallslos
Maßgebend dafür sind eigentlich die Texte. Die sind nämlich kaum der Rede wert. Der rezente Literaturnobelpreis mag für manche ungerechtfertigt sein – im direkten Vergleich erscheint Bob Dylan aber dann doch (fast) wie ein begnadeter Lyriker.
Caleb Followill scheint seine Texte aus den Versatzstücken des Popjargons zusammenzubasteln – wie ein Kleinkind seine Legobauteile aneinanderreiht. „How did you find me? What are you looking for?“ singt er auf „Find Me“. Jedes Wort auf dem Album hört sich verbraucht an, jede Textzeile hat man schon tausendmal gehört.
Als Gegenleistung dafür sind dann auch viele Songs so eingängig, dass es keines großen Aufwands bedarf, sich Text und Melodie zu merken. Die Refrains von „Find Me“ und dem funkigen „Around the World“ brennen sich wie Brandmarken ins Ohr.
Mit der Vorabsingle „Waste a Moment“ findet man sogar einen (ans Autoplagiat grenzenden) Nachfolger zu „Sex on Fire“, „Muchacho“ ist mit Countryeinflüssen und Whistle-Solo verhältnismäßig innovativ.
Gut geschrieben ist das schon, gut eingespielt und produziert auch. Aber halt auch sehr gefällig, immer gleichermaßen bemüht und einfallslos, zu jedem Zeitpunkt mit einem Fuß schon in der Kölner Lanxess Arena oder im Pariser Zénith. Die Rechnung geht außerdem nicht immer auf.
Vor allem auf der zweiten Plattenhälfte schaffen die Kings es nicht, eine mittelprächtige Strophe mit einem kraftvollen Refrain abzulösen. Von einem vor sich hin dümpelnden Song wie „Over“ würde man sich wünschen, der Titel wäre Programm und die Band würde ihn schneller hinter sich bringen.
Für Fans also eine Hit-and-Miss Platte, für alle anderen ziemlich verzichtbar und somit ein typisches Album der kostenpflichtigen Streaming-Ära: diese Platte möchte wohl fast niemand besitzen, für die paar netten Tracks lohnt sich das Reinhören aber.
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