Kanye West: Vom Saulus zum Pablo
Kanye West: Vom Saulus zum Pablo
Von Vicky Stoll
Kanye West hat ein neues Album veröffentlicht. An dieser Nachricht gibt es seit Beginn dieses Jahres kein Vorbeikommen. Jedoch bringt sich der 38-jährige Produzent und Rapper weniger mit seiner Musik ins Gespräch statt mit einer sehr aufdringlichen Aneinanderreihung von Fehltritten, Bezeugungen seines Größenwahns und zweifelhaften Sprüchen.
Sein Twitter-Account offenbart den Kanye’schen Gedankenstrom unzensiert: Hier bittet er zum Beispiel „weiße“ Medien wie Rolling Stone und New York Times, nicht mehr über „black music“ zu berichten, weil sie davon nichts verstünden.
Dies stellt einen weiteren recht ungelenken Versuch Kanyes dar, sich für die Anerkennung afroamerikanischer Künstler einzusetzen. Stürmte er bei einer Preisverleihung von MTV noch vor laufenden Kameras die Bühne, um Taylor Swift bei ihrer Dankesrede zu unterbrechen und zu erklären, dass ihr Award an Beyoncé hätte gehen müssen, so kann er es sich auf seinem neuen Album „The Life of Pablo“ nicht verkneifen, zu behaupten, dass Swift dieser Aktion bis heute einen Teil ihres Bekanntheitsgrades schulde („I made that bitch famous“, auf „Famous“).
Größenwahn als Konzept
Es ist unmöglich, sich mit der Musik Wests auseinanderzusetzen, ohne die Persona des „größten Künstlers der Gegenwart“, wie Kanye sich selbst bezeichnet, vor Augen zu haben. Der Mann kann seinen eigenen Standpunkt nie für sich behalten, er reagiert auf jedwede Kritik und ballert mit seiner großkotzigen Megalomanie in alle Richtungen. Dabei hat er dies nicht nötig. „The Life of Pablo“ ist ein vielschichtiges und reichhaltiges Album, das die zum Teil schwindelerregend hohen Erwartungen erfüllen kann.
Gleich zu Beginn des Albums – im Song „Sunlight Beam“ – bezeugt Kanye in einer Art Gospel mit seiner durch die Autotune-Funktion korrigierten Singstimme seinen Gottesglauben. Der Titel ist eine Anspielung auf den geblendeten Saulus, der sich und sein Leben nach drei Tagen der Erblindung dem Herrn verschreibt und zum Paulus – oder Pablo – wird. Als harte Abrechnung mit dem Ruhm kann „Famous“ vor allem musikalisch überzeugen: Rihanna stimmt Nina Simones Klassiker „Do What You Gotta Do“ an, der dann im weiteren Verlauf des Songs gesampelt wird und in einer sehr eigenartigen Verwurstung eines Schnipsels aus Sister Nancys „Bam Bam“ mündet. In „Feedback“ protzt West mit Statussymbolen und zeigt, dass er diesem Klischee der Rapmusik nicht untreu geworden ist.
Für „No More Parties in L.A.“ hat sich West Unterstützung des anderen großen K im HipHop geholt: Hier rappt kein anderer als Kendrick Lamar, der sich in bewährter King-Kunta-Manier über die Gold Digger echauffiert, also Frauen, die nur auf sein Geld aus sind.
Pablo who?
Aber wer ist Pablo? Handelt es sich um einen Verweis auf Picasso, Escobar oder den Apostel Paulus? Kanye äußerte sich kürzlich im Zuge eines Wutanfalls hinter den Kulissen von „Saturday Night Live“ dazu: Er möchte sich an allen drei Pablos messen. Gemeinsamkeiten lassen sich tatsächlich ausmachen – West verfügt über den Bekanntheitsgrad eines Picasso, über Escobars Größenwahn und er versteht sich als Überbringer der christlichen Heilsbotschaft.
„The Life Of Pablo“ wirkt in seiner Konzeption weniger geschlossen als die beiden Vorgänger „Yeezus“ oder „808s and Heartbreak“. Stattdessen schimmert das Werk mit einer großartigen Produktion, Gastbeiträgen und dem kreativen Einsatz von Samples. Die einzige wirkliche Schwäche des Albums bleibt Kanye selbst. Seine aus den Fugen geratene Selbstwahrnehmung und seine performative Exzentrik wirken ermüdend und erschweren eine neutrale Auseinandersetzung mit seiner Kunst. Seinem Erfolg scheint dies jedoch keinen Abbruch zu tun.
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