Into the (electronic) Wild mit Wolf People und Hundreds
Into the (electronic) Wild mit Wolf People und Hundreds
Von Jeff Schinker
Auf Wolf Peoples „Ruins“ geht es darum, dass die Natur, von der sich die Menschheit seit ihrer urbanen Abschottung entfernt hat, ihr Territorium zurückerobert: Die titelgebenden Ruinen sind die unserer Zivilisation.
Dem progressiven, luftigen Folk der ersten beiden Alben wird hier mithilfe einer ordentlichen Portion bluesiger Härte ein teils grooviges, teils ordentlich schepperndes Standbein verliehen. Das macht sich zumal in den ersten drei Tracks bemerkbar mit Reminiszenzen an Black Sabbath oder Led Zeppelin. Besonders „Night Witch“ versteht es exemplarisch, ein hartes Riff mit der sanften, etwas glatten Stimme von Jack Sharp zu versehen.
Das Album erinnert dabei – nicht nur stimmlich – an „The Decemberists“, die sich auf „Hazards of Love“ ja auch schon mal in progressivere Gefilde gewagt hatten. Kontrapunkte werden mit dem Herzstück „Kingfisher“ – das wie für Konzeptalben typisch im Laufe der Platte in zwei Reprisen durchdekliniert wird – sowie „Salts Mill“ gesetzt.
Die Mischung zwischen psychedelischem Folk und in der Nostalgie der 70er getränktem Progrock funktioniert immer dann am besten, wenn die verzerrten Gitarren auf die feinfühligen Harmonien des Folks inmitten psychedelischer Nebelschwaden stoßen – so geschehen auf dem groovigen „Crumbling Dais“ oder dem funkigen „Not Me Sir“. Aussetzer gibt es fast keine, nur versacken die Gitarren manchmal in noisigen, etwas repetitiven Soli, die dem Hardrock eine dann doch etwas klischeehafte Ehre erweisen. Meist werden diese ausufernden Momente aber im geschickt gestrickten Netz vokaler Harmonien und einfallsreicher Gitarrenriffs aufgefangen.
Evolution in kleinen Nuancen
Hundreds „Wilderness“ hingegen thematisiert die Entstellung der Natur durch Menschenhand. Dies wirkt wie die konsequente Weiterentwicklung der rezenten „Tame the Noise“-EP, auf der man eine Auswahl des Repertoires einer elektronischen Entschlackung unterzog. Auf „Wilderness“ findet man das Organische nun oft inmitten von Schichten pulsierender Beats. Die Dichotomie von Mensch und Maschine mag zwar metaphorisch etwas simpel wirken, führt aber nach wie vor zu wunderbar melancholischen Songs.
Das Duo ändert hier wenig an seiner Erfolgsformel: Synthieklänge, minimalistisches Klavierspiel von Philipp sowie der ein wenig an Björk erinnernde Gesang seiner Schwester Eva Milner stehen nach wie vor im Vordergrund. Die Evolution des Klanges wird in kleinen Nuancen vollzogen: fast unmerklich, aber dennoch entschieden entwickelt sich die Band weiter. Konkret bedeutet dies, dass in verschiedenen Songs der auf Glanz polierte, vielschichtige Pop mit mehr („Spotless“) oder (etwas) weniger („Bearer & Dancer“) Erfolg hemmungslos zelebriert wird. Anderswo stehen Stimme und Klavier entblößt im Raum.
Scheint das Album anfänglich etwas sperrig, so liegt das wohl daran, dass die großen Melodien sich nicht bereits am Anfang des Werkes aufdrängen: Vielmehr funktioniert „Wilderness“ als Gesamtwerk, was sich auch darin bemerkbar macht, dass verschiedene Klangelemente die Grenzen des einzelnen Songs durchbrechen. Spätestens bei dem düsteren, von Voice-Samples dominierten und von Folkelementen durchzogenem „Unfold“, der finalen Steigerung von „Black Sea“ oder der großartigen Melodieführung von „Lily“ merkt man, dass mit etwas weniger Lückenfüllern und mehr stilistischem Mut dem Hamburger Duo hier eine Großtat gelungen wäre.
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