Hammetts Handy hätte helfen können
Hammetts Handy hätte helfen können
Von Tom Rüdell
Metallica-Fans atmen auf: Nach acht Jahren Wartezeit ist es ein Album, hört auf den Namen „Hardwired... To Self-Destruct“ und hat Chancen, als „gutes Metallica-Album“ durchzugehen – echte Fans unterscheiden da strikt. 1 500 Ideen habe man seit dem Vorgänger „Death Magnetic“ sichten und natürlich jede Menge entsorgen müssen, so Drummer Lars Ulrich. Eine schier unfassbare Anzahl an losen Enden, aus denen schlussendlich zwölf Songs entstanden.
250 Ideen von Gitarrist Kirk Hammett waren da schon nicht mehr im Rennen – Hammett hatte im April 2015 kleinlaut zugegeben, sein Handy mit allen Songnotizen am Flughafen verschusselt zu haben. Back-ups gab es keine, erinnern konnte er sich an genau acht Riffs. (Zum Mitschreiben: Hauptbeteiligter an Millionenproduktion verliert seinen Beitrag dazu und wird so zum ersten Mal seit 1983 nicht als Mitkomponist aufgeführt. Wer das nicht glaubt, verpasst eine Bombenstory).
Metallica in vereinzelter Bestform
Die vorab veröffentlichten Singles „Hardwired“, „Moth into Flame“ und „Atlas, Rise“ zeigen Metallica in absoluter Bestform – hier haben die vier Kalifornier definitiv Perlen in ihren Notizblöcken gefunden und liefern das, was die Band immer schon ausgemacht hat. Solch konsequente Riffs, clever-groovende Rhythmuswechsel, und vor allem kraftvollen Gesang hat man von Metallica lange nicht gehört. Auch der Sound, ein viel kritisiertes Problemfeld an den Vorgängerproduktionen „St. Anger“ und „Death Magnetic“, ist hervorragend. Produzent Greg Fidelman hat seine Technik und den Bandsound, vor allem Hetfields prägnante Rhythmusgitarre, im Griff.
Füllsel, wohin man blickt
Schon im ersten Gesamtdurchlauf des Albums wird allerdings klar: Die Singles waren die Highlights – daneben kann lediglich der Schlusstrack „Spit out the Bone“ noch auf ganzer Linie punkten, der in seiner Brachialität an selige „Master of Puppets“-Zeiten erinnert – in hervorragender Kombination mit einem modernen
Arrangement.
Dazwischen aber: Füllsel, wohin man blickt. Gute Ansätze, die selten über einen kompletten Song anhalten, weil die Band sich verzettelt. Fidelman hat es, anders als seine Vorgänger Bob Rock und Rick Rubin (die Produzenten-Legende war zwischenzeitlich erneut im Gespräch), nicht geschafft, Metallica beim Songwriting konsequent in eine Richtung zu treiben – oder sie vielleicht ihre Ideenberge noch gründlicher umgraben zu lassen.
Ob Hammetts Handy die Lösung des Problems enthält, kann niemand sagen – geschadet hätte es nicht.
Die ohne Zweifel immer noch wichtigste Metalband der Welt wollte ganz offensichtlich zurück zum langen Metal-Songformat (die meisten Titel sind länger als sechs Minuten), hat dafür aber nicht genug tragfähiges Material. Ob Hammetts Handy die Lösung des Problems enthält, kann niemand sagen – geschadet hätte es nicht.
Am Ende besteht jedoch wieder einmal kein Grund zur Besorgnis: Metallica waren, sind und bleiben Metallica. Auch „Hardwired ...“ wird neue Fans generieren und die alten längst nicht so nachhaltig verstören wie das „Load/Reload“-Experiment Ende der 1990er. Im Gegenteil, die vier starken Songs tun via Facebook & Co. mutmaßlich mehr für die Szene als diverse ganze Alben seit 1991.
Und Selbstbeschränkung ist eine Eigenschaft, ohne die man gut leben kann, wenn man James Hetfield heißt. Aber vielleicht findet sich ja jemand, der Kirk Hammett eine Cloud-Lösung installiert, bevor acht Jahre um sind.
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