Halbgott mit Hang zum Regelverstoß
Halbgott mit Hang zum Regelverstoß
Von Kathrin Schug
Was hat man nicht schon alles allein durch langjähriges Fernsehen gelernt: Wie man einen Notfallpatienten intubiert, in welchen Fällen eine Thorax-Drainage unverzichtbar ist und ab wann die Sauerstoffsättigung während der Narkose kritisch wird. Wer regelmäßig Krankenhausserien schaut, wird zumindest gefühlt zum routinierten Ersthelfer. Gelegenheit hierzu gibt es reichlich: Vom 90er-Jahre-Klassiker „Emergency Room“ über Dauerbrenner wie „Scrubs“, „Dr. House“ und „Grey's Anatomy“ bis zu „Die Schwarzwaldklinik“ für die gesetztere Zuschauergeneration – die Liste ließe sich fortsetzen. Die Rezeptur ist dabei stets ähnlich: Die Halbgötter in Weiß ganz privat erleben – von geheimen Affären bis zu Eifersüchteleien unter Kollegen menschelt es gewaltig zwischen den OP-Terminen.
Was ist es, was die Zuschauer an der Welt der Kranken fasziniert? Der wohlige Schauer über das Leiden der Anderen? Der Grusel über die letztendliche Fehlbarkeit und Menschlichkeit der Ärzte? Einblicke in sonst verborgene Bereiche der Institution Krankenhaus? Während man noch darüber nachdenkt, kann man sich aktuell bei VOX im Free-TV vom jüngsten Neuzugang im Genre der Krankenhausserien berieseln lassen. Nach einer Idee von David Shore, der ebenfalls für die Erfolgsserie „Dr. House“ verantwortlich zeichnet, wurde „The Good Doctor“ auf Basis der gleichnamigen koreanischen Serie realisiert. Wieder geht es um ein eigenbrötlerisches Genie, das den Krankenhausalltag ordentlich durcheinanderwirbelt. Hier enden die Parallelen jedoch schon. Denn während Dr. House zwar ein Kauz, aber als Koryphäe hochgeachtet ist, befindet sich der junge Assistenzarzt Shaun Murphy (Freddie Highmore) am untersten Ende der Hackordnung.
Solide Genrekost
Als Autist mit einer Inselbegabung als Chirurg rettet er zwar mit unorthodoxen Ideen Menschenleben, die zwischenmenschlichen Feinheiten im medizinischen Jahrmarkt der Eitelkeiten sind ihm jedoch ein Rätsel – eines, das ihn zudem nicht im Mindesten interessiert. Die nun ausgestrahlte erste Staffel verfolgt seinen unwahrscheinlichen Werdegang als Assistenzarzt vom ersten Arbeitstag über einige hoffnungsvolle Erfolge bis zu einem vorerst unversöhnlichen Abgang. Das Happy End, das man aufgrund der pathetischen, sehr amerikanischen Grundstimmung erwarten würde – es bleibt zumindest zum Staffelfinale aus.
„The Good Doctor“ ist eine solide Krankenhausserie, die dem Genre keine Schande macht: Rätselraten über seltene Diagnosen, Romanzen im Ruheraum und emotionale Rückblenden in die Vergangenheit der Figuren unterhalten auf konstant hohem Niveau. Durch ihren außergewöhnlichen Protagonisten und die in seiner Rolle angelegten Regelverstöße kann die Erzählung auch Aspekte ausleuchten, die sonst unterbelichtet bleiben: etwa die Bedeutung von Dingen wie Habitus und kulturellem Kapital, die eine Ärztekarriere befördern, wenn man die Regeln kennt – und die eine undurchdringliche Wand darstellen, wenn man diese Regeln bricht. Der von Freddie Highmore beachtlich verkörperte Shaun Murphy ist deshalb nicht nur ein Rollenmodell für Autismus-Betroffene, sondern ein Symbol für alle, die anders sind als die wohlgepamperten, bestens vernetzten Ärztesöhne, die meist als Chirurgen Karriere machen.
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„The Good Doctor“ ist mittwochs, um 20.15 und 21.15 Uhr, auf VOX zu sehen.
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