Halb Furie, halb Grazie
Halb Furie, halb Grazie
(vac) Es gilt als unspielbar: Heinrich von Kleists „Penthesilea“. Ein Trauerspiel um die gleichnamige Amazonenkönigin und ihre überwältigende, unerfüllbare Liebe zu Achilles. Geschrieben vor 207 Jahren und von einer Aktualität, dass es einem wahrlich den Atem verschlägt.
Genau so wie Stefan Maurers schlüssig-zurückhaltende Inszenierung, die einer hervorragenden Nora Koenig als von ihrer Liebe zum Feind übermannte Kriegerin den passenden Rahmen für ganz große Gefühle bietet, um diese auf einen für den Zuschauer erfahrbar menschlichen Nenner herunterzubrechen. Ein Theaterabend, so verzehrend wie ein vulkanartiger Ausbruch lodernder Emotionen, der nicht unberührt lassen kann!
Nichts für schwache Nerven und Mägen
Heinrich von Kleists „Penthesilea“ im TNL ist nichts für schwache Nerven. Und noch weniger etwas für schwache Mägen! Denn Handlung und Sprache fordern dem Zuschauer ständige Konzentration und aktive Teilnahme ab. Und am Ende fließt Blut – viel Blut. Doch nichts von alledem möchte man in dieser Inszenierung von Stefan Maurer missen, die die Gratwanderung zwischen Krieg und Liebe, zwischen Antike und Jetztzeit, zwischen Universalität und Individualität, mit einer beeindruckenden Bravour bestreitet.
Regisseur Stefan Maurer ist weder in Luxemburg, er ist regelmäßiger Gast am Kasemattentheater, noch im TNL ein Unbekannter – zuletzt war ebendort im März 2011 die „Amphitryon“-Inszenierung des gebürtigen Karlsruher Theatermannes, Jahrgang 1965, zu sehen. Mit einer Koproduktion des Théâtre national du Luxembourg und des Pfalztheaters Kaiserslautern kehrt er nun mit „Penthesilea“ zugleich zum Theaterhaus in der Route de Longwy und zu Kleist zurück. Ein Wagnis, gehört das als „Trauerspiel“ bezeichnete Stück sicherlich nicht zur leichtesten Bühnenkost.
Frau/Mann, Eros/Thanatos
Heinrich von Kleist wählt für sein Drama einen für die damalige Zeit überaus modernen, gar gewagten Ansatz: Ein Individuum bäumt sich gegen die Zwänge der gesellschaftlichen Ordnung auf, eine Frau dazu, und was von außen wie Wahn anmutete, wird, von innen heraus erzählt, plötzlich verständlich, gar nachvollziehbar. Dabei lässt Kleist entgegen der antiken Vorlage den männlichen Helden von der Hand der liebenden Frau sterben – beide gleichermaßen Opfer der eigenen ungezügelten und unzügelbaren Leidenschaft.
Nun bieten sich in diesem Stück aus dem 19. Jahrhundert, u. a. mit der Thematisierung des Geschlechterkampfes, dem Streben nach Selbstbestimmung und der Entstehungsgeschichte des Amazonenvolkes, sprich dem Einsatz der Massenvergewaltigung als Kriegswaffe, dem Zuschauer des 21. Jahrhunderts durchaus Ankerpunkte zur Aktualität.
Doch dies allein genügt nicht, eine Aufnahme des Dramas zu erklären, geschweige denn zu rechtfertigen. Hierfür bedarf es einer direkten Auseinandersetzung mit dem Stoff, der originalen Autorensichtweise und des Blicks, den ein heutiger Künstler darauf im Dialog wirft: Eine solche liefert Stefan Maurers Inszenierung auf dem Silbertablett.
"Genießbar" ist nicht "leicht verdaulich"
Dafür, dass Kleists Stück als „unspielbar“ gilt, hat Maurer daraus einen durchaus genießbaren Theaterabend gemacht. Wobei „genießbar“ definitiv nicht „leicht verdaulich“ bedeuten soll – und dies auch gut so ist. Es bedarf denn auch einer gewissen Willenskraft und aktiven Engagements seitens der Zuschauer, um in die Sprache des Autoren einzutauchen. Doch versenkt man sich erst einmal in ihrer Bildhaftigkeit, wird man von der Kraft ihres Wortflusses unweigerlich mitgerissen.
Durch Textkürzung und eine Reduktion der Figuren auf vier Charaktere schlägt Maurer förmlich die Ornamentik des Dramas so weit weg, dass nur noch das übrig bleibt, was seine wahre Kraft und Zeitlosigkeit ausmacht, und zugleich einen soliden Brückenschlag über zwei Jahrhunderte hinweg ermöglicht: die Gefühle.
Schweiß der Begierde, Blut des Kampfes
Eng verschlungen, ringen hier Penthesilea und Achilles, als Frau und Mann, Eros und Thanatos gleich, miteinander. Einen Ausweg gibt es nicht. Der Schweiß der Begierde mischt sich mit dem Blut des Kampfes zu einem pulsierenden Lebenssaft, der den Menschen erst zum – im Guten, wie im Bösen – über-sich-hinauswachsenden Wesen macht, bevor ihn die unwiderstehliche Süße der Leidenschaft in den Tod hernieder stürzen lässt. „Zu stolz und kräftig blühte!“
Durch die fortschreitende Verwüstung des wirkungsvoll minimalistischen Bühnenbildes und der zeitentsprechend jetzigen Kostümierung macht Anja Jungheinrich die Steigerung der Emotionen bis ins Undenk- und -fassbare – einem wilden Tier gleich reißt Penthesilea ihre „Beute“ in Stücke – zum visuellen Echo der Erzählung.
Beeindruckende Nora Koenig
In der Rolle der Amazonenkönigin – ein physischer und psychologischer Kraftakt, dessen Vorstellung allein schon aufreibend und ein Klacks im Vergleich zur wahren Leistung ist – beeindruckt Nora Koenig. Glaubwürdig in jedem ihrer flugs wechselnden Gemütszustände, lässt die Schauspielerin Penthesilea die symbolisch-starre Statue vom unerreichbar hohen mythologischen Sockel heruntersteigen und macht sie zu einer Frau aus Fleisch und Blut.
Eine Frau, die der Zuschauer, wenn er bloß die Hand auszustrecken wagt, berühren und fühlen kann. In einer kurzen Szene, in der Maurer seine Figur mitten durch den Zuschauerraum steigen lässt, hebt er auch die letzte schützende Barriere zwischen dem Publikum und dem Bühnengeschehen auf. Mit viel Feinsinn für Stimmungen bringt er sie dem Zuschauer näher noch, als er sie – barfüßig und schluchzend – hinter einem Betonpfeiler versteckt und erkennen lässt, dass es keinen Ausweg geben kann.
Nora Koenig gegenüber gibt Daniel Mutlu einen strahlend jugendlichen Held Achilles, der sich in Aussehen und affektiver Tragik zum passenden Widerhall Penthesileas macht.
Monke Ipsen und Germain Wagner verkörpern derweil überzeugend nicht allein die Kriegsgegner Amazonen und Griechen, sondern stehen stellvertretend für deren gesellschaftliche Ordnung, die nur so lange Ausreißer toleriert, wie sie sie kontrollieren kann.
Mit „Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte! Die abgestorbne Eiche steht im Sturm, Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder, Weil er in ihre Krone greifen kann.“ – beschließt Kleist sein Trauerspiel, das uns lehrt: Was uns stark macht, bringt uns auch um. Oder ist es doch vielleicht umgekehrt?
Noch am 30. April, dem 5., 10., 12. und 13. Mai, jeweils um 20 Uhr im TNL. Tickets zu 20 und 8 Euro (erm.) unter www.luxembourgticket.lu und Tel. 47 08 95-1.
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