Filmkritik der Woche: "Spectre": Bond is Back!
Filmkritik der Woche: "Spectre": Bond is Back!
VON VESNA ANDONOVIC
Was wurde eigentlich noch nicht über James Bond gesagt – nach 24 Filmen und sechs Darstellern – Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und Daniel Craig –, die den Agenten im Geheimdienst Ihrer Majestät bislang verkörpert haben? Richtig: wenig, denn was „Fifty Shades of Grey“ für das weibliche Geschlecht ist, stellt James Bond schon seit 1953 für die Männerwelt dar.
Ein Ornithologe als Namensgeber
Es dürfte inzwischen selbst hinlänglich bekannt sein, dass als Namensgeber ein amerikanischer Ornithologe herhalten musste, dessen „Birds of the West Indies“ eines der Lieblingsbücher des jungen Ian Fleming war, und er später als Schriftsteller, vielleicht als eine Art Rehabilitierung des Kindheitshelden mit dem „langweiligsten Namen, den ich je gehört hatte“, gerade eben diesen für den Agenten mit Lizenz zum Töten auswählte.
Über James Bond wurde mehr Tinte vergossen als Blut, Tränen und andere Körperflüssigkeiten zusammengerechnet in den zwei Dutzend Filmen: Nicht verwunderlich, hat er doch aus den 14 weltweit in über 100 Millionen Exemplaren verkauften Romanvorlagen seines literarischen und spirituellen Vaters Fleming heraus ein geradezu unkontrollierbar dynamisches Eigenleben entwickelt.
Nun ist er wieder da, „Bond, James Bond“, dessen Pheromonduft Frauen dahinschmelzen und Männersexualität plötzlich ambivalent werden lässt, und er tritt erneut den Kampf gegen das Böse an. Obwohl die klaren Feindbilder des Kalten Krieges nunmehr endgültig passé sind, gibt es da zum Glück noch „Spectre“ – erkennbar am Ring mit Oktopus-Symbol –, die die Weltherrschaft an sich reißen will, die es zu bekämpfen gilt.
„Mommy issues“ treffen auf „daddy issues“
Um die Geschichte in einen Satz zu packen: Alphamännchen mit „mommy issues“ trifft auf Alphamännchen mit „daddy issues“. Ein Wiedersehen auch mit einem alten Bekannten, tauchten die internationale Verbrecherorganisationen und der Oberbösewicht an ihrer Spitze, Ernst Stavro Blofeld – mitsamt flauschig-weißer Miezekatze – doch bereits 1962 in „Dr. No“ auf, später in „From Russia with Love“, „Thunderball“, „You Only Live Twice“, „On Her Majesty's Secret Service“ und zuletzt 1971 in „Diamonds Are Forever“.
Die ganze Komplexität und dementsprechende Schwerfälligkeit der Franchise-Filmmaschinerie lässt sich praktischerweise in einer einzigen Gleichung – ohne Unbekannte – zusammenfassen: Es bedarf diesmal vier Drehbuchautoren – John Logan (der, ehe er bei „Skyfall“ einstieg z. B. „Gladiator“, „The Aviator“, „Coriolanus“ oder „Hugo“ schrieb), die Bond-Routiniers Neal Purvis und Robert Wade (seit „Die Another Day“, bzw. „The World Is Not Enough“ mit an Bord), und des Neuzugangs Jez Butterworth (u. a. „Edge of Tomorrow“) – um einen einzigen Ian Fleming zu ersetzen.
Durchwachsenes Resultat
Mit einem durchwachsenen Resultat: Denn findet man einerseits alle Zutaten – Action, Sex und Ironie –, die man zu einem „guten“ Bond braucht, auch hier vereint, so fehlt andererseits letztlich dieses gewisse unkontrollierbare Etwas, das „Spectre“ über das solide handwerkliche Mittelmaß hinausheben würde.
Dies dürfte wohl als direkte Konsequenz des letzten Opus „Skyfall“ gewertet werden, der die inhaltliche und formale Messlatte der Bond-Reihe in zuvor noch nie erreichte Höhen anhob.
Im britischen Theatermann und Cambridge-Absolventen Sam Mendes, der mit seiner ersten Regiearbeit überhaupt, „American Beauty“, gleich fünf Oscars abräumte, hat die Agenten-Kultfigur dennoch genau das gefunden, was sie brauchte, um endlich im 21. Jahrhundert anzukommen: Einen Regisseur, der von seiner Bühnenerfahrung her genau weiß, wie man die Quintessenz eines Mythos wahrt – nämlich, indem man ihn frei weiterleben und sich entwickeln lässt.
Denn nicht nur gelang es Mendes mit „Skyfall“, Bond den Sprung aus dem klassischen Playboy-Image zu ermöglichen, sondern ihm auch noch eine glaubhaft düstere, gar verletzliche und somit menschliche Seite zu verleihen. (Selbst-)Ironie ergänzt so die genretypischen Charakteristika – und macht letztlich die Karikatur von Bonds archaischem und evolutionstechnisch längst überholtem Macho- und Machtgehabe, selbst im Jahre 2015 nicht nur leicht verdaulich, sondern geradezu herrlich amüsant.
Alfred Hitchcock meet Bob Woodward
Der Brite eröffnet seinen zweiten Bond-Film mit einer von der Kamerafahrt her inszenatorischen Hommage an Altmeister Hitchcocks Maxime „Ein guter Film muss mit einem Erdbeben beginnen und sich dann mit einer steigenden Spannung weiterentwickeln.“ Leider folgt auf das mexikanische Eröffnungsbeben in diesem konkreten Falle ein zwar sauberes, doch zuweilen etwas steril und lieblos anmutendes Durchexerzieren der Filmkunst, so als ob Mendes selbst die Neugier und Freude am Potenzial seiner Figur verloren hätte und, statt abzuliefern, was er kann, das abliefert, was Studios und Zuschauer gleichermaßen – bei einer Investition von 350 Millionen Dollar – von ihm erwarten.
James Bond verleiht das Drehbuch dabei – frei angelehnt an Journalist und Watergate-Enthüller Bob Woodwards „All good work is done in defiance of management“ – die sexy Aura des Einzelkämpfers, der zugleich zusammenführender Teamplayer ist, sich über Hierarchien hinwegsetzt und am Ende nicht nur, wie erwartet, den Bösen besiegt, sondern, nach bester Western-Manier mit der Schönen im schnittigen Silberschlitten in den Sonnenuntergang fahren darf – die ideale Identifikationsfläche, auf der das Publikum seine latente Fantasien ausleben kann.
Exotik und Überwachungswahn als Vorwand
Aktuelle und gewichtige Themen der globalen Überwachung sowie der Eigenverantwortung des Einzelnen werden im Drehbuch leider nur als Handlungsvorwand statt kritische Aufarbeitung behandelt.
Fünf Länder auf drei Kontinenten bieten der Geschichte die passend attraktiven – und zugleich – realistischen Kulissen, damit auch der 24. Bond-Film diese „Märchen für Erwachsene“-Mischung aus Exotik und Action innewohnt. Dass es während des Drehs einen fliegenden Wechsel von „Skyfall“-Kameramann Roger Deakins zu Hoyte Van Hoytema gab, erklärt hierbei die Bildpatina, deren visuelle Verwandtschaft zu Christopher Nolans „Interstellar“ unverkennbar ist.
Stylischer Bond, manierierter Bösewicht
Craig gibt wie gewohnt den kühlen und zugleich humorvollen Geheimagenten, dessen Aussehen und sportliche Fähigkeiten in den eng anliegenden Tom-Ford-Anzügen die meisten seiner Geschlechtsgenossen blass aussehen lassen. Mit einer Prise Humor pflegt er mit britischer Nonchalance das klassische Bond-Image: Wer sonst setzt bei seinem Abstecher in Rom die passende „Snowdon“-Sonnenbrille der Edelmarke Tom Ford auf?
Monica Bellucci beschert „Spectre“ als bislang ältestes „Bond“-Girl eine späte, kurze, doch um so süßere Rache, bekam sie besagte Rolle 1997 in „Tomorrow Never Dies“ nicht. Nun ist die 51-Jährige die verführerische Lucia Sciarra und sorgt für den notwendigen (Gänse-)Hautfaktor.
Ihre jüngere französischen Kollegin Léa Seydoux darf dann als Madeleine Swann Bond Paroli bieten und ihm sogar einen Hauch von Korb verpassen.
Christoph Waltz hat in der Figur des Franz Oberhauser, bzw. Ernst Stavro Blofeld, wo er in die Fußstapfen von u. a. Telly Savalas und Max von Sydow tritt, nicht genügend Spielraum, um ihn über den Eindruck des manierierten Bösewichts weiter zu entwickeln.
Und auch das Trio M, Eve Moneypenny und Q ist mit Ralph Fiennes, Naomie Harris und Ben Whishaw wieder vertreten und bildet Bonds sympathische Büro-Wahlfamilie.
Der "luxemburgischste" aller Bond-Filme
Und übrigens so "luxemburgisch" wie diesmal war James Bond noch nie: Daniel Craig wirkte 2006, in dem Jahr als er erstmals den Geheimagenten verkörperte in "Renaissance" - einer Koproduktion aus dem Hause "LuxAnimation" - mit, Monica Bellucci drehte 2007 hierzulande an der Seite von Sophie Marceau in Marina De Vans "Ne te retourne pas" und Bösewicht Christoph Waltz machte gar einen diskreten Abstecher ins Großherzogtum als seine Inszenierung von "Der Rosenkavalier" im Grand Théâtre im Februar vergangenen Jahres aufgeführt wurde.
All dies zusammen macht aus „Spectre“ einen guten, aber nicht wirklich inspirierten Bond, den man der Tradition wegen gesehen haben sollte.
Und ja, der nächste Film ist auch schon in der Schmiede: Bond 25, so der „working title“ – erneut mit dem Duo Craig/Mendes. Schließlich bleiben noch mit „The Property of a Lady“, „The Hildebrand Rarity“, „Risico“ und „Agent 007 in New York“ vier unverbrauchte Originalstorys aus Flemings Feder.
Wo geht die Reise nächstes Mal hin, James? Ein kleiner romantischen Abstecher in den Central Park gefällig ...
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