ESC: Was aus den Luxemburger Siegern wurde
ESC: Was aus den Luxemburger Siegern wurde
Genau vor 30 Jahren gewann Luxemburg zum letzten Mal den „Grand Prix d’Eurovision“. Genau zehn Jahre später stieg RTL aus dem europäischen Sangeswettstreit sang- und klanglos aus. Dabei hatten die Talentsucher ein durchaus gutes Händchen. Fünf Mal gewann Luxemburg den ESC. Wir sagen Ihnen, was aus den Siegern von einst geworden ist.
Von Jochen Kuttler
Ein bisschen war sie geschockt, als sie den Siegertitel ansagte. Wir schreiben den 7. April 1973. Ein langer „Grand-Prix“-Abend neigt sich im hauptstädtischen „Grand théâtre“ dem Ende entgegen, als Helga Guitton die Sieger des 18. europäischen Liederwettbewerbs auf die Bühne bittet: Anne-Marie David, damals zarte 20 Jahre alt, schmettert ihr „Tu te reconnaîtras“ noch einmal ins Mikrophon. Und ist überglücklich. Die hübsche Französin hat Luxemburg den zweiten Grand-Prix-Sieg in Folge beschert. Was aufhorchen lässt. Und dennoch Fachleute nicht mehr überraschen kann. Seit Jahren mischt das Großherzogtum beim Schlagerfestival vorne mit – wenn auch eher selten Künstler aus dem eigenen Land an die europäische Schlagerfront geschickt werden.
Anne-Marie David ist heute 61 Jahre alt. Der „Grand Prix“ hat das Leben der im südfranzösischen Arles geborenen Sängerin geprägt. Nicht nur, dass sie 1979 für Frankreich erneut ins ESC-Rennen ging und mit dem Titel „Je suis l'enfant soleil“ einen respektablen dritten Platz erreichte, 2013 nahm sie sogar mit einem selbst geschriebenen Titel am Vorentscheid des französischen Fernsehens zum Wettbewerb teil. Vergebens zwar – für Frankreich startet Amandine Bourgeois mit „L’enfer et moi“ – aber ihr Engagement zeigt die Verbundenheit der Sieger von einst mit dem Sangesfestival. Einmal „Grand Prix“, immer „Grand Prix“. Obwohl der Sieg für Luxemburg auch Schattenseiten hatte, wie Anne-Marie David in einem Interview 2009 freimütig bekannte: „Die Medien in Frankreich haben nach meinem Sieg für Luxemburg heftig geschmollt“.
Blutjung auf der Bühne
Eine Erfahrung, die Vassiliki Papathanasiou nicht teilt. So heißt Vicky Leandros mit bürgerlichem Namen. Die auf Korfu geborene Sängerin ist ein wahres Multitalent, was Sprachen angeht. Ihre Karriere hat Vicky Leandros, die sich seit 1986 Freifrau von Ruffin nennen darf, ihrem Vater zu verdanken. Leandros Papathanasiou war bereits erfolgreich, als seine Tochter noch in den Windeln lag. Papas Erfolg strahlte auf die Tochter, die eine fundierte Gesangs-, Ballett- und Gitarrenausbildung erhielt, ab. 1965 trat sie für Luxemburg mit „L’amour est bleu“ beim Grand Prix an und ergatterte gleich einen respektablen vierten Platz. Der Titel wurde ein Welterfolg. Und Vicky mit nicht einmal 17 Jahren ein Star.
Richtig los ging der Rummel allerdings erst 1972, als die nunmehr 19-Jährige mit „Après toi“ am 25. März 1972 in Edinburgh den „Grand Prix“ für sich entscheiden konnte. Der Titel legte den Grundstein für eine Weltkarriere. Und Vicky Leandros legte nach. Vor allen Dingen in Deutschland war sie mit Gassenhauern wie „Theo, wir fahren nach Lodz“ erfolgreich.
Heute ist es um die mittlerweile 61-Jährige etwas ruhiger geworden. Nach einem kurzen Intermezzo in der Politik – sie war Vizebürgermeisterin von Piräus – widmete sich Vicky Leandros in den letzten Jahren wieder etwas mehr dem Showbusiness, sie nahm sogar 2006 an der deutschen Vorentscheidung für den ESC teil, unterlag ab „Texas Lightning“. Zwei gescheiterte Ehen, aus denen drei Kinder hervorgingen, hat die Deutsch-Griechin, die seit 2012 in Hamburg lebt und über deren genaues Geburtsjahr sich selbst Lexika streiten, hinter sich.
So wie Anne-Marie David und Vicky Leandros versuchte sich auch Jean-Claude Pascal zwei Mal beim Grand Prix. Seinen Erfolg von 1961 konnte der studierte Wirtschaftswissenschaftler, der sich zuweilen auch als Modedesigner betätigte, allerdings 1981 mit seinem Auftritt für Luxemburg („C'est peut-être pas l'Amérique“) nicht mehr wiederholen. Es reichte „nur“ für Platz 11. Ganz anders triumphierte der Frauenschwarm, der nie verheiratet war, zwanzig Jahre zuvor. Mit „Nous les amoureux“ machte Jean-Claude Pascal ein klassisches Chanson zum Evergreen. Dabei hatte der damals 35-Jährige schon eine atemberaubende Karriere als Schauspieler hinter sich, als er am 18. März 1961 die Juroren von 15 Ländern auf seine Seite ziehen konnte. In den 1980er Jahren wurde es deutlich ruhiger um den Beau von einst. Der bekennende Kettenraucher nutzte diese Zeit, um sich als Schriftsteller einen Namen zu machen. Jean-Claude Pascal starb 1992 im Alter von nur 64 Jahren an Magenkrebs in einem Pariser Krankenhaus.
Von elegant bis rotzfrech
Nur vier Jahren liegen zwischen dem Auftritt von Frankreichs „elegantestem Mann“, Jean- Claude Pascal, und einer Göre, über die die Presse in Frankreich kübelweise Dreck ausschüttete. Von „Vaterlandsverräterin“ bis „wildgewordene Rotznase“ war alles dabei. Und wirklich: France Gall passte so gar nicht in das Bild der Tochter aus gutem Haus. Obwohl sie das durchaus war. Vater und Mutter Musiker, wohlbehütete Kindheit. Alles, was man braucht, um Kinderstar zu werden. Was die 17-Jährige allerdings am 20. März 1965 in Neapel zum Besten gab, war herzlich wenig kindlich und sorgte für einen handfesten Skandal. Weniger des doppeldeutigen Textes ihres Songs, dessen feine Nuancen erst Jahre später wirklich thematisiert wurden, wegen, als der Art und Weise wie France Gall „Poupée de cire, poupée de son“ interpretierte. Mit krächzender Stimme, etlichen Aussetzern und betont lasziv. Den Juroren gefiel’s, dem Publikum auch. Den Kritikern von Presse und Radio weniger. Den Siegeszug des von Serge Gainsbourg geschriebenen Songs konnten sie indes nicht aufhalten.
Auch nicht die Karriere von France Gall, die in den 1980er Jahren noch einmal richtig nachlegte („Ella elle l’a“), aber auch heftige Schicksalsschläge einstecken musste. Ihr Mann Michel Berger starb sehr früh – mit 44 Jahren – an einem Herzinfarkt. Und ihre gemeinsame Tochter Pauline erlag im Alter von nur 19 Jahren der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose. France Gall hat sich aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Für immer, wie sie sagt. Nach einem längeren Aufenthalt im Senegal lebt die heute 65-Jährige wieder in Paris. Dort engagierte sie sich unter anderem in einem Hilfsprojekt für ehemals obdachlose Frauen.
Den letzten Sieg für Luxemburg fuhr 1983 Corinne Hermes ein. Die damals 19-Jährige schmetterte in München die Ballade „Si la vie est cadeau“ und wurde so zur Nachfolgerin von Nicole gekürt, die ein Jahr zuvor für Deutschland mit dem Zeitgeist-Schlager „Ein bisschen Frieden“ den Nerv der Jurys getroffen hatte. Ein Erfolg, der sich auch kommerziell auszahlte.
Corinne Hermes hatte da nicht so viel Glück. Ihr „Si la vie est cadeau“ war die letzte große Ballade, die es beim ESC aufs Siegertreppchen schaffte. Das Publikum war längst in Richtung Rock-Pop und Disco-Sound abgedriftet. Der erhoffte Karriereschub blieb aus. Aber im Gegensatz zu Anne-Marie David und France Gall, die für ihre „Fahnenflucht“ fast geächtet worden waren, neideten weder das Publikum noch die Presse in Frankreich der jungen Sängerin ihren Grand-Prix-Erfolg. Im Gegenteil: Corinne Hermes, heute 52 Jahre alt, ist noch immer ein gern gesehener Gast in Talkshows und fungierte 2000 auch als Jurorin des französischen Vorentscheids für den ESC.
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