Eine Frau holt sich die Goldene Palme
Eine Frau holt sich die Goldene Palme
(AFP/dpa/mt) - Das Filmfestival von Cannes hat mit der Krönung von Julia Ducournau für ihr furioses zeitgenössisches Werk „Titane“ einen großen Wurf gelandet. Die Französin ist die zweite Regisseurin in der Geschichte des Festivals, die die Goldene Palme erhält. 28 Jahre nach Jane Campions „The Piano Lesson“ hat die Jury unter dem Vorsitz von Spike Lee, dem ersten afroamerikanischen Künstler in diesem Amt, die mit 37 Jahren jüngste Teilnehmerin des Wettbewerbs ausgezeichnet.
Cannes sendet damit ein wichtiges Signal in einer Branche, die in den letzten vier Jahren im Zuge der Weinstein-Affäre und der #MeToo-Bewegung mehr denn je die Stellung der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter hinterfragt. Nur vier Regisseurinnen waren in diesem Jahr im Wettbewerb, bei insgesamt 24 Filmen. Der prestigeträchtigste Preis, verliehen an „Titanium“, belohnt ein transgressives und bahnbrechendes Kino, das von Feminismus geprägt ist.
„Titane“, der nicht für jedes Publikum bestimmt ist, ist eine Mischung aus Frau/Maschine, Liebe zu Autos und der Suche nach Vaterschaft. Es war der gewalttätigste und trashigste Film des Wettbewerbs, weit davon entfernt, von den Kritikern einstimmig anerkannt zu werden. In den Hauptrollen sind eine umwerfende Newcomerin, Agathe Rousselle, und der französische Schauspieler Vincent Lindon.
„Eines meiner Ziele war es immer, Genre-Kino oder 'ovnieske' Filme auf Mainstream-Festivals zu bringen, um die Ausgrenzung eines Teils der französischen Produktion zu stoppen“, sagte Julia Ducournau während des Festivals. „Das Genre erlaubt es uns auch, über das Individuum und sehr tief über unsere Ängste und Sehnsüchte zu sprechen.
Zwei Schauspieler in ihren Dreißigern
In einem weiteren Zeichen für die Jugend gingen die Schauspielpreise auch an zwei Schauspieler in den Dreißigern. Bei den Frauen gewann die 33-jährige Norwegerin Renate Reinsve für ihre Darstellung in Joachim Triers "Julie en 12 chapitres", in der sie eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst spielt. Sehnsucht, Treue, Mutterschaft, die Beziehung zu den Eltern, Generationsunterschiede... all die Fragen, die Julie beschäftigen, werden in dem Film vor dem Hintergrund wichtiger zeitgenössischer Themen erforscht: die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Ökologie, digitale Invasion.
Auf der männlichen Seite krönte die Jury einen Amerikaner, Caleb Landry Jones, 31 Jahre alt, für seine Leistung in „Nitram“, wo er einen grenzwertigen jungen Mann spielt, der kurz davor ist, einen der schlimmsten Morde in der Geschichte Australiens zu begehen. Der Film bietet einen Einblick in die Psyche des Mörders, den er meisterhaft spielt: Martin Bryant, zu lebenslänglich verurteilt.
Ganz allgemein haben die Filme in Cannes, im Wettbewerb und darüber hinaus, einen frischen Wind in das Bild einer von gesellschaftlichen Veränderungen geprägten Branche gebracht: Trotz nur vier Regisseurinnen im Wettbewerb ist der Feminismus allgegenwärtig. Die Regisseure haben es aufgegriffen, und zum Beispiel lesbische Beziehungen stehen nun im Rampenlicht.
Grand-Prix und Jury-Preis jeweils doppelt vergeben
Mit dem Großen Preis der Jury, der zweitwichtigsten Auszeichnung des Festivals, wurden in diesem Jahr gleich zwei Filme geehrt: das im Zug spielende Roadmovie „Hytti No 6“ des Finnen Juho Kuosmanen sowie die iranische Gesellschaftskritik „A Hero“ des zweifachen Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi. Der Preis für die beste Regie ging an den Franzosen Leos Carax für das Musical „Annette“ mit der Musik der Band Sparks.
Auch der Preis der Jury wurde zwei Mal vergeben: zu gleichen Teilen an „Memoria“ des Thailänders Apichatpong Weerasethakul mit Tilda Swinton in der Hauptrolle sowie an den israelischen Beitrag „Ha'berech (Ahed's Knee)“ von Nadav Lapid. Das japanische Drama „Drive My Car“ von Ryusuke Hamaguchi wurde mit dem Preis für das beste Drehbuch geehrt.
Auch das Klima war wichtiger denn je, mit einer besonderen Auswahl an Filmen zum Thema Umwelt, die über das Manifest hinausgingen, wie bei Aïssa Maïga, die in „Walking on Water“ eine Verbindung zu ihrer Familiengeschichte herstellte, um die Frage der Zugänglichkeit dieser Ressource anzusprechen. Das Thema bleibt ein großes Thema für das Festival, das noch einiges tun muss, um seinen ökologischen Fußabdruck weiter zu reduzieren.
Im Rahmen des Abends wurde auch eine Ehrenpalme an den italienischen Filmemacher Marco Bellocchio verliehen, der nach fünf Jahrzehnten einer engagierten Karriere, die weder die Armee noch die Religion verschonte, einen sehr persönlichen Dokumentarfilm, „Marx can wait“, vorstellte.
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