Wenn die Umweltkatastrophe im Wohnzimmer ankommt
Wenn die Umweltkatastrophe im Wohnzimmer ankommt
Der Gedanke an das Meer war einst der Inbegriff friedlicher Kontemplation: Die endlose Weite, das Kommen und Gehen der Gezeiten, die Verheißung unbeschwerter Strandtage. Wer sich noch einmal in diese Stimmung träumen will, braucht nur Charles Trenets Chanson La Mer zu hören.
Die Landung in unserer Gegenwart wird danach umso unsanfter sein. Denn das Meer ist längst kein friedvoller Ort mehr, es ist zum Menetekel der Klimakatastrophe geworden. Ein steigender Meeresspiegel, die Übersäuerung der Ozeane, Korallenbleiche und Überfischung – jede Grundschülerin kann aus dem Stegreif einen ganzen Strauß von Katastrophen referieren, die uns eine Vorstellung vermitteln, auf welches Ungemach wir uns für die nahe Zukunft einstellen können.
Aus dem Meer kam einst das Leben, und im Meer entscheidet sich die Zukunft dieses Lebens – ein Topos mit solchem Pathos lädt natürlich zu künstlerischer Bearbeitung ein. Und während die See in Liebesliedern, Gedichten und Balladen schon immer ihren festen Platz hatte, erobert sie nun mit dem Science-Fiction-Horror ein neues Genre.
Gleich zwei reichweitenstarke Serien spielen derzeit mit dem Grusel aus der Tiefe: Die Adaption von Frank Schätzings Bestsellerroman „Der Schwarm“ gehörte aktuell zu den reichweitenstärksten Formaten, Amazon Prime schickt mit The Rig eine prominent besetzte Mystery-Produktion ins Rennen.
Keine Kosten gescheut
Beide Serien handeln von mysteriösen Vorgängen, die sich aus dem Meer den Weg an Land bahnen. In „Der Schwarm“ sind es die Meeresbewohner, die sich plötzlich weltweit gegen die Menschen wenden: Wale attackieren Touristenboote, Hummer vergiften Köche, neuartige Eiswürmer verursachen einen verheerenden Tsunami. Es scheint, als hätte sich der maritime Lebensraum verschworen, die Menschheit aus seinem Revier zu vertreiben. Der Schwarm ist mit einem Budget von rund 40 Millionen Euro die teuerste deutsche Fernsehserie aller Zeiten.
Wirkliche Begeisterung muss man jedoch mit der Lupe suchen. Selbst der Ideengeber, Frank Schätzing, äußerte sich abschätzig über das Machwerk: „Manches ist kinoreif, anderes ist rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV. Es pilchert mehr, als es schwärmt“, sagte er vor dem Start der Wochenzeitung „Die Zeit“. Das deutsche Publikum schien diese Einschätzung zu teilen: Rund 20 Prozent der Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten bei der Ausstrahlung der Folgen 3 und 4 nicht mehr ein.
The Rig und der düstere Nebel
Die Serie The Rig spielt ebenfalls auf der Klaviatur des maritimen Grusels, geht das Thema jedoch hemdsärmeliger an: Auf einer Bohrinsel in der Nordsee bereitet sich die Crew um Teamleiter Magnus (Iain Glen, bekannt aus Game of Thrones) auf ihre Heimreise vor, als ein unheilvoller Nebel aufzieht, in dessen Dunst merkwürdige Dinge auf der Plattform geschehen.
Ohne Kontakt zur Außenwelt wird die Bohrinsel zum Schauplatz eines dichten Kammerspiels, das gekonnt psychologische Spannung mit Liebe zum technischen Detail verbindet. Geschrieben wurde die Serie von David McPherson, der als Sohn eines Bohrinselarbeiters und studierter Umweltwissenschaftler für eine spürbare Glaubwürdigkeit sorgt.
Auf hohem Niveau startend, werden die sechs Episoden der ersten Staffel allerdings zunehmen redundant. Wie bei so vielen Horror-Produktionen liegt die Stärke in der ungefähren Andeutung, nicht im plakativen Zeigen.
Was bleibt vom Klima-Horror?
Beide Serien rissen weder Kritiker noch Zuschauer vom Hocker. Als Phänomen ihrer Zeit haben sie jedoch durchaus ihre Berechtigung: Wie Mary Shelleys Frankenstein für das frühe 19. Jahrhundert oder der Zombie-Film für die atomar bedrohten Gesellschaften der 1980er-Jahre sind sie Manifestation eines Themas, das die Menschen ihrer Zeit beschäftigt und beunruhigt. Vielleicht werden künftige Generationen auf sie zurückblicken als die ersten Vertreter des Genres des Klima-Horrors. Themen für weitere Produktionen gibt es leider zuhauf.
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Der Schwarm ist nach der Free-TV-Ausstrahlung nicht in der ZDF-Mediathek aus Luxemburg aufrufbar. Alle Folgen von The Rig gibt es auf Amazon Prime.
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