Die Vertonung der Unendlichkeit
Die Vertonung der Unendlichkeit
Von Jeff Schinker
Wie vertont man das Weltall? Mit einer solchen Frage mussten sich bisher hauptsächlich Filmkomponisten auseinandersetzen. Bei Hans Zimmer klang das Weltall in „Interstellar“ nach ganz viel Orgel, in „Blade Runner“ nach sphärischen Synthies. Ein Physiker würde jetzt wohl erwidern, das Vakuum des Weltalls „klinge“ überhaupt nicht. Doch hier geht es vielmehr um die kulturelle Vertonung des Weltalls. Mit welchen Klängen assoziieren die Menschen Größe, Einsamkeit und Unendlichkeit des Universums?
An dieser Thematik haben sich die Briten von 65daysofstatic bereits auf der Neuvertonung des ökologisch radikalen Sci-Fi-Klassikers „Silent Running“ mit Erfolg versucht. Fürs neue Album gab es diesmal noch eine weitere Challenge. Denn es ist der Soundtrack zu einem ungewöhnlichen Videospiel: Dessen Universum umfasst nämlich eine fast unendliche Anzahl an zu erforschenden Planeten (18.446.744.073.709.551.616, um genau zu sein), die es zu vertonen gilt.
Wuchtige Openersongs
„No Man's Sky“ ist das erste 65dos Album, das keine radikale Neuerfindung anstrebt. Das ist jedoch kein Zeichen von Stagnation, sondern zeigt schlichtweg, auf welchem Level die vier Musiker angekommen sind.
Bereits die ersten drei Songs sind kaum übertreffbar: Stoische Synthie-Brocken leiten den ersten Albumtrack „Monolith“ pulsierend ein. „Supermoon“ gehört bereits nach dem ersten Hördurchgang mit seinen hymnischen Chören, markanter Pianomelodie und auftürmenden Gitarren zum Postrock-Kanon und „Asimov“ überzeugt mit seinem energiegeballten Finale.
„Blueprint for a Slow Machine“ fängt mit seinen Synthies als Vangelis-Hommage an, klingt dann auf einmal so, als würden Radiohead anno 2016 ihre Kid-A Phase wieder aufleben lassen, nur um dann mit vertrackten Beats anzudeuten, welche Alben Aphex Twin mit mehr Melodiegespür schreiben würde. Der Track schiebt sich anschließend dank Gitarrenriffs zielstrebig gen Höhepunkt und mündet in das an Tim Heckers „Ravedeath 1972“ erinnernde „Pillars of Frost“, das genauso eisig klingt, wie der Titel es andeutet.
Späte Höhepunkte stellen „Red Parallax“ und das von beeindruckender Perkussion und verspielten Gitarren vorangetriebene „End of the World Sun“ dar. Ein Intermezzo wie „Hypersleep“ beherrscht die Band wohl im Schlaf und fällt vergleichsweise ein wenig ab. Auf den „Soundscapes“ der zweiten Platte entstellt die Band die Tracks des Albums, vermischt sie mit neuen Kompositionen und lässt andeuten, wie diese sich selbst generierende Musik im Spiel wohl klingen wird.
Auf ihrem Album formt die Band hochkomplexe Klanggerüste, aus denen sich Momente fremdartiger Schönheit herausschälen – die Unendlichkeit des Sci-Fi-Universums lässt hier immer wieder die Furcht, die mit der menschlichen Einsamkeit einhergeht, durchschimmern. Noise und Abstraktion sind bei 65dos immer nur Mittel zum Zweck, den experimentellsten Synthieflächen wohnt eine humane Wärme inne, die sie aus der Wiege der Avantgarde entführt.
Die einzelnen Instrumente greifen perfekt ineinander, organische und elektronische Elemente verschmelzen zu einer Einheit. Demnach gilt die gesampelte Aussage zu Beginn ihres Klassikers „Retreat! Retreat!“ heute mehr denn je zutrifft: „This band is unstoppable“.
65daysofstatic „No Man’s Sky: Music For An Infinite Universe“
Concord Records/Universal Music
Doppel-CD: 18,99 Euro
www.65daysofstatic.com
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