Die Totenmesse
Die Totenmesse
Von Pol Schock
Nick Cave hat stets mit dem Tod gespielt. Der Fürst der Finsternis inszenierte sich gerne als Meister des Morbiden und der Abgründigkeit, in dessen Balladen der Teufel sein Unwesen trieb. Für sein neues Album „Skeleton Tree“ musste er dem Tod nun ins Auge blicken. Während der Studioarbeiten im Juli des vergangenen Jahres verlor der Post-Punk-Sänger seinen 15-jährigen Sohn durch einen tragischen Unfall. Arthur war im LSD-Rausch tödlich von einer Klippe gestürzt, in der Nähe des Caveschen Wohnhauses in Brighton.
„Skeleton Tree“ wurde so unverhofft zu einem Requiem. Jeder Moment dieses fast 40-minütigen Werks klingt nach Trauer – ja, selbst ohne die Vorgeschichte zu kennen, gäbe es keinen Zweifel, dass hier Furchtbares passiert sein muss. Aber natürlich geht Cave anders mit dem Thema des Kindesverlusts um, als etwa Eric Clapton in seinem Song „Tears in Heaven“.
Gleich der starke Openersong „Jesus Alone“ gibt Takt und Seelenlage vor: Zu tiefen Synthieloops und Streicherarrangements von Warren Ellis ertönt die stets leicht schief-klingende Bariton- Stimme von Nick Cave: „You fell from the sky / crash landed in a field“. So unmissverständlich führt der Altmeister sein Album ein und schließt damit ebenso eine narrative Brücke zu seinem vorletzten Album „Push The Sky Away“.
2013 veröffentlichte er dieses hochgelobte und wirklich gelungene Werk gemeinsam mit seiner ewigen, aber personell komplett durchrotierten Formation The Bad Seeds. In „Higgs Bosom Blues“ besang er die ungewöhnliche Kombination aus Miley Cyrus und Higgs-Teilchen und erwies sich damit als Visionär. Beide sollten es im gleichen Jahr zu Weltruhm schaffen – das verdammte Gottesteilchen wurde in Genf gefunden und der Kinderstar Hannah Montana verwandelte sich auf der Abrissbirne zu Weltstar Miley Cyrus. „Push The Sky Away“ war wegweisend, denn Nick Cave zeigte, dass künstlerische Neuerfindung nicht bloß Rhetorik, sondern tatsächlich möglich ist. Oder anders ausgedrückt: Man kann in Würde altern – auch als Künstler mit Geheimratsecken. (Wie Cave auch beim Konzert Ende 2013 in der Rockhal offenbarte).
„Skeleton Tree“ geht musikalisch den Weg des Vorgängeralbums weiter. Cave vereint das Repertoire seines Orchesters – lässt alles nur langsamer erklingen. Es gibt keine Ausbrüche wie bei „Jubilee Street“, sondern nur komprimierte Intensität – und weniger Bluesrock. „Girl in Amber“ könnte auch vom Soundtrack der Serie „Twin Peaks“ von David Lynch stammen und auch der Abschiedssong „I Need You“ klingt nach 1990er-Jahre.
Nick Cave erzählt jedoch keine klaren Geschichten mit seinen Texten, sondern malt mit seiner Stimme düstere Bilder. Dadurch gelingt ihm der Spagat, persönliche Trauer zu vermitteln, ohne pathetisch zu wirken. Ein bedrückendes Album, aber gerade deshalb absolut wunderbar.
Parallel zum Album erscheint der Dokumentarfilm von Andrew Dominik „One More Time With Feeling“, der die schwierige Entstehungsgeschichte des Albums festhält:
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