Die Herausforderung des künstlerischen Alterns
Die Herausforderung des künstlerischen Alterns
Von Pol Schock
Vor etwa zwei Wochen postete Daniel Balthasar auf seinem Facebookprofil ein Foto der aktuellen iTunes-Charts mit dem Spruch „In good company!“. Es zeigt drei Luxemburger Alben in den Top 10: Serge Tonnar & Legotrip auf Platz vier, Pascal Schumacher mit seiner neuen Scheibe auf Platz fünf und das neue Balthasar-Album „Presence of Absence“ auf Platz sechs. Ein Bild mit Seltenheitswert. Denn Luxemburger Musiker erreichen zwar oftmals Topplatzierungen – aber gleich drei so prominent vertreten in den Charts, ist doch eher eine Ausnahme.
Doch wenn, dann handelte es sich in der Regel um die Herren Balthasar und Tonnar. Beide gehören seit Beginn der nuller Jahre zu den aktivsten und erfolgreichsten Musikern des Landes: Daniel Balthasar hat als Solokünstler und mit seiner Band Blue Room etwa zehn Platten (EPs und LPs) veröffentlicht – Serge Tonnar mit Legotrip sowie seiner früheren Band Zap Zoo kommt ebenfalls auf etwa zehn Veröffentlichungen. Balthasar und Tonnar bieten sich also seit fast zwei Dekaden „good company“.
Stilistisch sind beide trotz des Labels „Songwriter“ jedoch weit voneinander entfernt: Balthasar, der eher introvertierte Popmusiker, dessen melodische englischsprachige Songs sich um Liebe, Weltschmerz, Wünsche und Erinnerung drehen. Tonnar, der eher extrovertierte Liedermacher, dessen folkige luxemburgischsprachige Songs von gesellschaftlichen Missständen und Wandel sowie gelegentlich auch von Liebe und Weltschmerz handeln. So war es jedenfalls bisher.
Auf den Spuren von U2 und The Police
Mit „Presence of Absence“ hat Balthasar nun sein sechstes Soloalbum veröffentlicht. Und nachdem er bereits in den „Real World Studios“ von Peter Gabriel sowie in den berühmten „Abbey Road Studios“ in London aufgenommen hatte, war er für „Presence of Absence“ erneut in einem renommierten Studio: den niederländische „Wisselord Studios“. Dort tüftelten schon etliche Popgrößen an ihrem Sound – von den Foo Fighters über U2 zu The Police.
Und erwartungsgemäß ist der Klang der neuen Platte auch glasklar. Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier sowie Streicher und Gesang gliedern sich äußerst kompakt zu einem Ganzen: Hier stört oder verschreckt nichts, alles hat seinen optimal gewählten Platz im Klangspektrum. Allerdings gibt es bei diesem angenehmen Wohlfühlsound auch nichts, was wirklich überrascht oder aufhorchen lässt. Denn wer die vergangenen Platten des Künstlers kennt, wird auch auf der neuen Scheibe nur Vertrautes vorfinden. Der Opener „I Don't Believe In You“ ist eine klassische Balthasar-Midtempo-Poprock-Nummer, „Something Worth“ erinnert entfernt an Snow Patrol, „Good Enough“ hat beatleske Züge und „Come What May“ ist die typische Balthasar- Popballade.
Positiv ausgedrückt: Die Handschrift von Daniel Balthasar ist klar zu erkennen, denn hier hat jemand seinen Sound gefunden. Gefällige Melodien, eingängige Strophe/Refrain-Strukturen und dazu das Balthasar-typische Timbre.
Negativ ausgedrückt: Das Album leidet unter dieser Routine. Ja, es klingt fast schon nach Stagnation. Eigentlich hätten nahezu sämtliche Songs auf seinem Debütalbum „Fingerprints“ von 2003 erscheinen können. So wirkt es dann ein wenig „The Same“, wie der zweite Track des Albums lautet. Man würde es sich wünschen, dass Balthasar sich öfters aus seiner musikalischen Komfortzone bewegen würde – wie etwa auf dem letzten Song „When to Stop“.
Die esoterische Phase
Ganz anders Serge Tonnar. Nachdem der Singersongwriter mit seinem Debütalbum 2003 ein vollkommen neues Genre begründete (ernst gemeinte Singersongwriter-Musik in luxemburgischer Sprache) kam um 2010 die Volksmusiker-Phase: zwischen Kalauer und Agent Provokateur.
Mit „Bommeleeër Buddha“ scheint Tonnar eine neue Etappe seines Schaffens einzuläuten: die esoterische Phase. Bereits sein Opener „Ech sinn de Bommeleeër“ zeigt die Richtung vor: schweres Schlagzeug, repetitive Songstrukturen, Chorgesang, Marimba und dazu die halb gesungenen, halb gerappten Texte von Tonnar. Der Künstler tritt auf der Platte in einen Dialog mit Gott, stellt Sinnfragen und findet dabei viele Antworten bei der Familie: „Boma“, „Mam“, „Pap“ und „Kanner“ werden erstaunlich oft freudig besungen.
Doch Tonnar wäre nicht Tonnar, wenn er nicht auch mit Selbstironie und Sarkasmus der Luxemburger Gesellschaft den Spiegel vor Augen halten würde: Etwa in „Schirmherrschaft“, „Fata Morgana“ oder im wunderbaren „Eng déck Schnëss“ – eine ironische Abrechnung mit seinen Kritikern, aber auch mit sich selbst.
Und manchmal bricht er auch aus dem esoterischen Ethnogewand und erinnert für kurze Momente an frühere Singer/Songwriter-Phasen. Etwa in „Schnickschnackschnuk“, „Wa Kee Géif driwwer schwätzen“ oder „Kee Bulli, keng Blummen“.
Eine gewagte und fordernde Platte mit 18 Songs, deren textliche und musikalische Qualität jedoch bei jedem Hörgang zu wachsen scheint.
um weitere Bilder zu sehen.
Daniel Balthasar
„Presence of Absence“
11 Songs
www.danielbalthasar.com
Serge Tonnar & Legotrip
„Bommeleeër Buddha“
Maskénada / 18 Songs
www.legotrip.lu
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