Die Faszination von Kriegsbildern in Zeiten von Corona
Die Faszination von Kriegsbildern in Zeiten von Corona
Yves Steichen, sind Sie nicht zu enttäuscht, dass Ihre Konferenz in Esch nun – Corona-Virus bedingt – ausfällt?
Nein, denn die Situation, die wir gerade durchleben, ist so ernst, dass wir alles daran setzen müssen, eine weitere Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verlangsamen und zu stoppen. In Abstimmung mit den Organisatoren, der ASBL „Frënn vum Resistenzmusée“, wurde die Konferenz über die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in den luxemburgischen Filmproduktionen deshalb auf einen späteren Zeitpunkt verlegt – gänzlich ausfallen wird sie also nicht.
Vor knapp anderthalb Wochen wandte sich der französische Präsident Macron mit einem eindringlichen „Nous sommes en guerre“ an seine Mitbürger. Und natürlich weckt dieser Satz sofort auch Bilder. Welche, woher stammen sie und vor allem wieso haben sie sich ins kollektive Bewusstsein unserer Gesellschaft eingebrannt?
Durch das Medium Fotografie und Film sind die kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. und 21. Jahrhunderts detaillierter und „erfahrbarer“ dokumentiert als zuvor. Viele dieser Aufnahmen wurden im Laufe der Zeit zu ikonischen Dokumenten des Krieges. Man denke etwa an die Fotos des völlig zerstörten Berlins am Ende des Zweiten Weltkrieges oder die Aufnahme „The Terror of War“ des vietnamesischen Fotografen Nick Út, die die schwer verletzte Phan Thi Kim Phúc nach einem Napalm-Angriff zeigt. Diese Zeitdokumente waren seitdem immer wieder in Dokumentarfilmen zu sehen, oder wurden in populärkulturellen Film- und Videospielproduktionen verarbeitet – auf diese Weise haben sie sich in das kollektive Gedächtnis der Menschheit „eingebrannt“.
Eines lässt sich demnach also nicht leugnen: Bilder des Krieges faszinieren. Aber warum?
Es ist ein zweischneidiges Schwert. So grauenvoll und abstoßend reale Kriegsaufnahmen auf die allermeisten von uns auch wirken mögen, so wirkmächtig lassen sie sich in inszenierter, fiktionalisierter Form auf die große Leinwand übertragen, wo aus dem Krieg dann ein effektvolles, oft heroisierendes Spektakel wird. Über die Ästhetik des Kriegs- oder Antikriegsfilms ließe sich lange debattieren – und auch Regisseur*innen mit hehren Absichten, die Kriege als blutiges und sinnloses Sterben darstellen möchten – man denke an Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ von 1998 –, sind nicht davor gefeit, dass die Zuschauer ihr fertiges Werk als „Actionfilm“ rezipieren.
Und „par écran interposé“, umso mehr – sei dies nun über einen Smartphonebildschirm, den Fernseher oder eine Kinoleinwand. Wie groß ist da besonders heutzutage die Gefahr, dass Realität und Fiktion sich plötzlich in der Wahrnehmung des Zuschauers überlagern, gar vermischen?
Das Problem, dass inszenierte Bilder auch immer einen gewissen Grad an „Manipulation“ darstellen, ist nicht neu. Überspitzt ausgedrückt „belügt“ uns das Kino in jeder Sekunde, da alles, was wir auf der Kinoleinwand oder im Fernsehen sehen, Teil einer Inszenierung ist – Spielfilme, und auch Dokumentarfilme, geben nie „die Realität“ wieder – auch wenn sie das gerne behaupten – sondern sind das Resultat kreativer Entscheidungsprozesse, und, letzten Endes, der Vorstellungskraft des Regisseurs, der dafür seinen Namen hergibt. In seinem Dokumentarfilm „Pour la Liberté“, den der luxemburgische Filmpionier Philippe Schneider 1948 realisierte, hatte er die hochgesteckte Ambition, die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung des Großherzogtums zu erzählen – und das sowohl aus nationaler wie aus internationaler Perspektive. Das Problem: Ihm fehlten die nötigen Bilder. Also schnitt er munter Nachrichtenbeiträge, u. a. der NS-„Wochenschauen“ zusammen mit selbst nachgestellten Szenen und Sequenzen aus Spielfilmen. Damals ein großer Erfolg, aber eben auch ein gewisser Grad an Täuschung.
Der Zweite Weltkrieg ist eines dieser martialischen Kapitel der Menschheitsgeschichte. Hat er eigentlich in den meisten Ländern seinen festen Platz auf der Kinoleinwand und gibt es grob gesehen erkennbare nationale Ausprägungen bei dieser Darstellung?
Tatsächlich nimmt der Zweite Weltkrieg in jedem Land, das seinerzeit in diesen Konflikt verwickelt war, einen festen Platz in der Kinogeschichte ein – allerdings durchaus mit unterschiedlicher Ausprägung. Das ist darauf zurück zu führen, dass sich in jedem Land zwischen 1939 und 1945 jeweils „eigene“ Ereignisse und Geschichten zugetragen haben, die man in der Nachkriegszeit filmisch aufarbeiten oder erzählen wollte. US-amerikanische Produktionen setzten folglich andere Schwerpunkte – und wählten andere Herangehensweisen – als britische, französische, niederländische, polnische, japanische oder eben luxemburgische Filme.
Welche Luxemburger Filme haben dann konkret unser Bild davon geprägt?
Zu den einflussreichsten luxemburgischen Filmen würde ich vor allem jene zählen, die rund 40 Jahre nach Kriegsende, also Mitte bis Ende der achtziger Jahre entstanden sind und aus heutiger Sicht die Anfänge einer einheimischen Filmproduktionsszene markieren. Dazu zählen die RTL-Produktion „Déi Zwéi vum Bierg“ von 1985, der AFO-Dokumentarfilm „Schwaarze Schnéi“ – realisiert ebenfalls 1985 auf Initiative des LSAP-Justiz- und Kulturminister Robert Krieps sowie der Samsa-Film „Schacko Klack“, der 1989 als einer von zwei Filmen im Rahmen des 150-jährigen Jubiläums des Großherzogtums von staatlicher Seit mitfinanziert wurde. Insbesondere „Déi Zwéi vum Bierg“, der zunächst als sechsteilige Miniserie im wöchentlichen Programm von „Hei Elei Kuck Elei“ gezeigt wurde, dürfte zu den emblematischsten Filmen über den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg zählen, der nicht nur von sehr vielen Menschen gesehen wurde, sondern auch einen nachhaltigen Einfluss auf unsere Vorstellung von der NS-Besatzung hatte. Zu den einflussreichsten und meistgesehenen Filmen jüngerer Zeit würde ich aber auch die beiden Dokumentarfilme „Heim ins Reich“ (2004) und „Léif Lëtzebuerger“ (2008) sowie das Nachkriegsdrama „Eng nei Zäit“ (2015) zählen.
Seit den neunziger Jahren vollzog sich bereits ein Generationen- und Perspektivenwechsel, der es möglich machte, in Filmen auch die „Grauzonen“ der Besatzungszeit anzusprechen.
Oftmals vergessen werden dabei ja dokumentarische Aufnahmen aus dieser Zeit ...
„Vergessen“ würde ich diese dokumentarischen Aufnahmen nicht unbedingt nennen – die meisten davon, wie etwa die Jahrhundertfeiern von 1939, eine Ansprache des Chefs der Zivilverwaltung Gustav Simon auf der Place d’Armes sowie die Verwüstungen im Zuge der Ardennenoffensive, wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Dokumentarfilmen verarbeitet und kontextualisiert. Es stimmt aber sicherlich, dass es schwieriger ist, an die Originalfilme heranzukommen – Alphonse Wirions Film „Hinzert“ über die Rückführung der Leichname der getöteten Luxemburger aus den Überresten des gleichnamigen SS Sonderlagers/KZ wurde aber beispielsweise auf der DVD von „Heim ins Reich“ mitveröffentlicht und ist somit zugänglich.
Christophe Wagners „Eng nei Zäit“ ist das letzte Beispiel dafür, wie groß das Interesse des Publikums an Filmen über diese dunkle Epoche noch immer ist. Welchen Unterschied bzw. Entwicklung kann man hierzulande bei ihrer Darstellung vielleicht feststellen?
Christophe Wagner rückte in „Eng nei Zäit“ in der Tat einen eher problematischen Aspekt des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg in den Mittelpunkt, der – zumindest im filmischen Gedächtnis – bis dato sicherlich weniger explizit behandelt wurde: Die unmittelbare Nachkriegszeit, die geprägt war von Angst und Schuldzuweisungen, politischen Rivalitäten und einem allgemeinen Klima des Misstrauens, das sich immer wieder in willkürlicher und unrühmlicher Gewalt entlud. Seit den neunziger Jahren vollzog sich allerdings bereits ein Generationen- und Perspektivenwechsel, der es war möglich machte, in Filmen auch die „Grauzonen“ der Besatzungszeit anzusprechen – und junge Regisseur*innen wie Geneviève Mersch („Sentimental Journey“, 1995 und „Iwwer an eriwwer“, 1997), Pascal Becker („Little Big One“, 1999) und Anne Schroeder („Histoire(s) de Jeunesse(s)“, 2001) haben das in ihren Filmen auch getan.
Gibt es auch Aspekte, die dabei eher unter den Teppich gekehrt, also nicht wirklich thematisiert wurden?
Obwohl im Laufe der Jahre auch delikate Themen wie die Kollaboration und die „Épuration“ wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, blieben sie, gesellschaftlich gesehen, kollektive Tabuthemen, über die man nach Kriegsende nicht sprach – zumindest nicht unter den Mitgliedern der Kriegsgenerationen. Und das merkt man auch in den Filmproduktionen: Das durchaus komplexe Phänomen der Kollaboration beispielsweise wurde ausnahmslos über die Zeitzeugenaussagen von ehemaligen Widerstandskämpfer*innen erzählt – in keinem Film sprechen ehemalige Kollaborateure selbst über ihre Beweggründe, zu groß waren wohl die Scham und die Angst vor weiteren Denunzierungen.
Wobei es zusätzlich einen weiteren Punkt zu beachten gibt: Es gibt – selbst wenn es deren mit der Zeit immer weniger werden – noch eine ganze Reihe Zeitzeugen. Inwiefern macht das die Übung den Zweiten Weltkrieg zu zeigen leichter bzw. schwieriger?
„Oral History“ stellt in der Geschichtswissenschaft eine sehr wichtige Methode zur Rekonstruierung der Vergangenheit dar – man muss sie aber richtig einzusetzen wissen. Erinnerungen an vergangene Erlebnisse, zumal wenn sie traumatischer Natur waren, sind immer subjektiv gefärbt. Davon abgesehen geben diese Zeitzeugenberichte aber Einblicke in jene Aspekte des Krieges – wie etwa das Alltagsleben – die weniger oder gar nicht in offiziellen Dokumenten beschrieben wurden. Da der Diskurs über den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg während Jahrzehnten von ebenjenen Akteuren betrieben wurde, die den Krieg aktiv und selbst miterlebt haben, entstanden mit dem Generationenwechsel, der sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren vollzog, aber sicherlich auch gewisse Möglichkeiten der historischen Aufarbeitung, die vorher nicht gegeben waren.
In Frankreich wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges gezielt Filme über die Résistance produziert, um das Volk in einer neuen, positiven Identität wieder zusammenzuführen. Gab es etwas Ähnliches auch im Großherzogtum?
Da wir in Luxemburg bis in die achtziger, wenn nicht sogar bis in die frühen neunziger Jahre hinein keine veritable Filmindustrie hatten, wurden folglich auch keine Filme produziert, die diese „Rolle“ dezidiert hätten übernehmen können. Ich denke, diese positive Identität als „Nation von Widerstandskämpfern in den Reihen der Alliierten“ von der Sie sprechen, wurde deshalb in der Nachkriegszeit über andere Wege ausdefiniert: Über Kriegsdenkmäler, Gedenkveranstaltungen und in den Autobiografien ehemaliger Kriegsteilnehmer*innen.
Wie denken Sie wird sich die Darstellung des Zweiten Weltkrieges im Luxemburger Film weiterentwickeln: Wird er auch zukünftig Thema bleiben oder wird das allgemeine Interesse an ihm irgendwann einmal abflauen?
Der Zweite Weltkrieg war bis dato sehr präsent im Luxemburger Film – mehr als jedes andere historische oder gesellschaftliche Ereignis – und stieß, von einigen Ausnahmen abgesehen, stets auf eine breite Resonanz beim Publikum. Dieser Umstand könnte Produzenten auch in Zukunft dazu bewegen, weitere Filme über den Zweiten Weltkrieg in Auftrag zu geben – persönlich denke ich aber, dass es wichtig wäre, bei der Darstellung des Zweiten Weltkriegs künftig die traditionellen und ausgetretenen Pfade der Meistererzählung zu verlassen, und zu versuchen, dieser Zeit neue Facetten abzugewinnen, und den Fokus noch stärker auf die „Grauzonen“ der Okkupation zu legen.
Kehren wir in die Jetztzeit und den „Krieg“ gegen den Corona-Virus zurück: Gibt es eine Lehre, die uns die Darstellung des Zweiten Weltkrieges in Luxemburger Filmen für die heutige Situation vermitteln könnte?
Nein, leider nicht – ich denke, diese gegenwärtige Herausforderung an unsere Gesellschaft(en) ist einzigartig und womöglich, wie es die deutsche Kanzlerin Angela Merkel formulierte: „die größte seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Wir sollten deswegen zusammenhalten.
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