Deutsche Sprache? Leichte Sprache!
Deutsche Sprache? Leichte Sprache!
Von Marcus Stölb
Mehr als sieben Millionen Deutsche leiden an funktionalem Analphabetismus, auch hierzulande sind viele Menschen betroffen. Doch der Anteil derer, für die die eigene Muttersprache eine Barriere darstellen kann, ist höher. Das Stadtmuseum Trier bietet nun in Kooperation mit dem Verein Lebenshilfe einen Audioguide in „Leichter Sprache“ an. Informationen verständlicher machen will auch das Kompetenzbüro „Capito“ für Rheinland-Pfalz und Luxemburg.
Alexandra Orth hat erst wenige Sätze gesagt, da meldet sich Beate Macher zu Wort: „Was heißt denn ‚artikulieren‘?“, will die Vorsitzende des Landesbehindertenbeirats Rheinland-Pfalz sogleich von der jungen Kunsthistorikerin wissen. Die ist sich des Fauxpas, pardon, Missgeschicks bewusst und erklärt, was es mit dem Begriff auf sich hat. Schließlich stellt Alexandra Orth einen Audioguide in „Leichter Sprache“ vor, und der zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Texte allesamt frei von Fremdwörtern sind.
In angemessener Sprechgeschwindigkeit
Als erstes und bislang einziges Museum in Rheinland-Pfalz bietet das Stadtmuseum Simeonstift in Trier ein derartiges Angebot. Das richtet sich in erster Linie an Menschen, die landläufig als „geistig beeinträchtigt“ bezeichnet werden, Lernschwierigkeiten haben oder deren Sprachkompetenz aus anderen Gründen eingeschränkt ist. Menschen wie Patrick Loppnow etwa, der das Projekt als Prüfer unterstützte. Nur wenn Betroffene wie er ohne Mühe einen Text auf Anhieb verstehen, geht dieser als „Leichte Sprache“ durch. Mehrfach mussten die Beiträge überarbeitet werden, bis das Ergebnis alle Beteiligten überzeugte, berichtet Loppnow und unternimmt nun eine Führung mit dem neuen Audioguide. „Das Markt-Kreuz ist der älteste Gegenstand im Museum. Eine Kopie steht auf dem Trierer Haupt-Markt, direkt gegenüber dem Dom“, erklärt ihm eine angenehme Frauenstimme in angemessener Sprechgeschwindigkeit; „den Markt gibt es seit über 1000 Jahren an genau dieser Stelle.“
Texte mit erheblichem Aufwand produziert
Manch kunstbeflissenem Museumsbesucher mag dies ein wenig banal klingen, doch der Eindruck trügt: Die Texte wurden mit erheblichem Aufwand produziert und sind bis ins letzte Detail durchdacht. „Leichte Sprache besteht aus vielen Regeln“, erklärt Andrea Paulus, beim Verein Lebenshilfe zuständig für das Thema und Leiterin des neu gegründeten Unternehmens „capito“ für Rheinland-Pfalz und Luxemburg. „Alle erstellten Texte lassen wir nach über 130 Kriterien von einer Prüfgruppe kontrollieren“, berichtet sie und erläutert weiter: „Diese Prüfgruppe besteht aus drei bis sechs Menschen der jeweiligen Zielgruppe." Erst wenn der Text die Prüfung bestanden habe, gebe es das Gütesiegel für „Leicht lesen“, stellt Andrea Paulus klar.
Die Regeln mussten auch Alexandra Orth und Dorothée Henschel, die das Projekt vonseiten des Museums betreuten, lernen und beherzigen. Anders als bei einem Kinder-Audioguide würden auch komplexe und vielschichtige Inhalte vermittelt, betonen die Kunsthistorikerinnen und sprechen von einer wirklichen Herausforderung. Und von einem Lernprozess mit Folgen, den auch die Museumschefin durchmachte: Elisabeth Dühr versichert, dass der Anspruch, sich verständlicher auszudrücken, künftig bei allen Inhalten berücksichtigt werde; also auch jenen, die nicht in Leichter Sprache verfasst würden.
Denn verdrängen soll das eine das andere nicht. Der neue Audioguide bietet vielmehr ein ergänzendes Angebot, und um mögliche neue Barrieren erst gar nicht aufzubauen, finden sich die Texte zu bislang 20 Ausstellungsexponaten, die in Leichter Sprache erklärt werden, auf dem regulären Audioguide. Niemand muss also eigens nach dem speziellen Hörführer verlangen.
Behördenformulare inzwischen in Leichter Sprache verfasst
Gut möglich, dass das neue Angebot auch von Menschen genutzt wird, die nicht zur klassischen Zielgruppe zählen. Überhaupt beschränkt sich das Thema „Leichte Sprache“ nicht auf die Erklärung von Museumsexponaten. Barrieren in Form komplexer Satzstrukturen, unverständlicher Wortungetüme und laienfremdem Experten-Kauderwelschs lauern allenthalben und verlangen auch Lesern und Hörern einiges ab, die nicht an einer geistigen Beeinträchtigung leiden. Lebenshilfe-Vorstand Wolfgang Enderle weiß von Sparkassen, die ihre Geschäftsberichte in „Leichte Sprache“ übersetzen ließen, um sie auch für die fachfremden Mitglieder ihrer Aufsichtsgremien verständlich zu machen. In Oberösterreich sind Behördenformulare inzwischen in Leichter Sprache verfasst, was zu einem Rückgang der Beschwerden geführt haben soll.
Hauptzweck des neuen Unternehmens „capito“, einer Tochter der Trierer Lebenshilfe, sei es, „im Sinne des Inklusionsgedankens allen Menschen Informationen leicht zugänglich und verständlich zu machen“, erklärt Andrea Paulus. Sie spricht lieber von „leicht verständlicher“ oder „zielgruppengerechter“ Sprache. Beim Netzwerk „capito“ ist man überzeugt: „Eine leicht verständliche Sprache ist für 10 Prozent der Menschen unentbehrlich, für 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel.“
Was ist "Leichte Sprache"?
In Großbritannien ist von „plain language“ die Rede, in Schweden spricht man von „Lätt Läst“, was so viel wie leicht zu lesen heißt. In Deutschland gibt es seit 2006 das Netzwerk Leichte Sprache, eine Arbeitsgruppe von Menschen aus dem Nachbarland sowie Österreich. Die Bezeichnung „Leichte Sprache“ in Abgrenzung von „Normaler Sprache“ wird von Kritikern bisweilen als stigmatisierend wahrgenommen, weshalb „capito“ von „leicht verständlicher Sprache“ spricht. Bei der Beurteilung und Vergabe eines Prüfsiegels orientiert sich das Netzwerk an drei Stufen, die an den „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ (GER) angelehnt sind und zwischen „B1“ (leicht verständlich), A2 (noch leichter verständlich) und A1 (am leichtesten verständlich) unterscheiden.
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