„Der vielleicht letzte Rockstar“
„Der vielleicht letzte Rockstar“
(dpa) - Wie Kurt Cobain wohl aussähe mit 50? Ergraut? Mit Bauch? Würde er Anzug tragen oder Karo-Hemd? Hätte die exzessive Drogensucht ihn noch weiter gezeichnet? Oder hätte er die Kurve nochmal gekriegt? Sein Nirvana-Bandkollege Krist Novoselic trägt inzwischen Halbglatze, der Dritte im Bunde, Dave Grohl, hat sich dagegen zumindest optisch kaum verändert seit damals.
Welches Schicksal das Leben für Cobain noch bereitgehalten hätte, wird nach jenem schicksalhaften Tag im Jahr 1994 unbeantwortet bleiben. An diesem Montag, dem 20. Februar, wäre Cobain 50 Jahre alt geworden. Doch am 5. April 1994 erschoss er sich in seinem Anwesen in Seattle - wohl im Heroinrausch - mit einer Schrotflinte. „It's better to burn out than to fade away“ schrieb er in seinem Abschiedsbrief, den es tatsächlich - auf T-Shirts gedruckt - zu kaufen gibt.
„Es war eine pathetische Inszenierung“, sagt der Chefredakteur des deutschen „Rolling Stone“, Sebastian Zabel. Und es war ein Selbstmord mit Ansage. Gar nicht lange vor der Tat posiert Cobain mit einer Waffe im Mund, das letzte Nirvana-Album trug den Titel „I Hate Myself And Want To Die“. „Er hat sich mit seinem Selbstmord unsterblich gemacht“, sagt Zabel - wie andere Rockstars vor und nach ihm, die ihren 28. Geburtstag nicht mehr erlebten: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Amy Winehouse, der „Club 27“.
Dazu getrieben hat ihn wohl neben seiner heftigen Heroinsucht auch eine tiefe Depression. Der spektakuläre Dokumentarfilm „Montage of Heck“, den seine Tochter Frances Bean (die noch nicht zwei Jahre alt war, als ihr Vater sich in den Kopf schoss) produziert hat, gibt Einblick in die schwer verletzte Seele eines zwischen den geschiedenen Eltern hin und her geschobenen Jungen. Er zeigt eindrücklich, bewegend, schonungslos und an der Grenze zum Voyeurismus, wie aus einem fröhlichen, begabten kleinen Jungen einen tief trauriger, wütender – wenn auch nicht weniger begabter junger Mann wurde. „Es tat ihm unglaublich weh, bloßgestellt zu werden.“ Einen Satz wie diesen sagt fast jeder über Cobain, der in dem Film zu Wort kommt - auch seine Witwe Courtney Love.
Antiheld, Superstar, Junkie
Mitte der 1980er beginnt Cobain, Musik zu machen – bald auch schon zusammen mit Novoselic. Ein paar Jahre später - am 30. Oktober 1988 - zertrümmert er seine erste Gitarre. So ist es zumindest auf der offiziellen Nirvana-Homepage der Plattenfirma Universal vermerkt. Im September 1991 erscheint das Album „Nevermind“ mit der Hymne einer ganzen Generation: „Smells Like Teen Spirit“. Es katapultiert die Band in Höhen, in denen zumindest Cobain sich nie wohl fühlt. Im April 1992 erscheint die Band auf dem Cover des „Rolling Stone“.
Der heutige Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Musikmagazins, Zabel, hat die Band zweimal getroffen. Einmal vor ihrem Mega-Durchbruch, einmal danach. „Im Gespräch war Kurt Cobain ein übellauniger, maulfauler Mensch, sehr klein“, sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Aber auf der Bühne hat er eine ungeheure Energie ausgestrahlt.“
Was Cobain zeigt, ist damals neu. Er macht Schluss mit Glamour und betont männlichem Macho-Gehabe, zwei der wesentlichen Merkmale des amerikanischen Rock-Zirkus' zu der Zeit. Es ist nicht nur die Grunge-Musik, eine Mischung als Punk und Garagen-Rock, die ihn zum Idol so vieler junger Leute macht, sondern auch er als Person. „Er hat immer eine große Verletzlichkeit zur Schau gestellt und das Breitbeinige und Glamouröse abgelehnt.“ Und das passte in die Zeit. „Die jungen Männer wollten auch nicht mehr solche Männer sein und die Mädchen wollten auch nicht mehr solche Männer haben.“
Cobain sei, so sagt Zabel, „fast der letzte richtig große Rockstar“ gewesen. „Er hat eine Ära, die vom klassischen amerikanischen Rock dominiert wurde, beendet. Er ist natürlich eine legendäre Figur.“ Seine Tochter Frances Bean (heute mit 24 nur wenige Jahre jünger als ihr Vater bei seinem Tod) sieht die Legendenbildung um ihn kritisch. „Wenn er weitergelebt hätte“, so sagte sie einmal, „dann hätte ich einen Vater gehabt. Und das wäre eine unglaubliche Erfahrung gewesen.“
Wer Suizidgedanken hat, sollte mit vertrauten Menschen darüber reden. Oft hilft bereits ein Gespräch, die Situation, zumindest für den Moment, zu verbessern. Wer darüber hinausgehende Hilfsangebote in Anspruch nehmen will, oder sich um nahestehende Personen sorgt, kann sich an SOS Détresse unter 00352-454545 wenden.
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