Der Gott ohne Namen
Der Gott ohne Namen
„Zumindest können wir Luxemburger uns diesmal nicht beklagen, dass wir immer nur hinterherhinken“, meint Direktor Michel Polfer auf die Frage hin, was denn die Etrusker eigentlich im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst des Großherzogtums (MNHA) überhaupt verloren haben: Sie, die Tausende Kilometer weit entfernt – in den heutigen Gegenden der Toskana, des Latiums, Umbriens, Kampaniens und der Emilia-Romagna – lebten. „Diesmal sind wir hier in Luxemburg richtige Vorreiter, denn die ausgestellten Stücke wurden noch niemals zuvor gezeigt“, führt Polfer sichtlich stolz weiter aus.
Nicht nur deshalb ist die aktuelle Schau des MNHA, „Der himmlische Ort. Die Etrusker und ihre Götter“, einzigartig, auch wegen der außergewöhnlichen Qualität der Exponate. Und nicht zuletzt, weil sie nicht, wie anfangs geplant, ebenfalls in einem italienischen Museum zu sehen sein wird: Luxemburg ist bisher einzige Station dieser Schau und wird es voraussichtlich auch bleiben.
Dabei sind die Etrusker in der Museumswelt scheinbar hoch im Kurs: Das Badische Landesmuseum Karlsruhe zeigt bis zum 17. Juni ebenfalls eine ihnen gewidmete Ausstellung; Zufall, denn eine Absprache beziehungsweise Kooperation mit dem Luxemburger Museum gab es hierbei nicht.
Michel Polfer, Direkor des MNHA:
Schwer vorstellbar, dass an der Stelle, wo früher mal der lokale Viehmarkt abgehalten wurde und die in den 1930er-Jahren sogar als Fußballfeld diente, am Campo della Fiera, am Fuße des heutigen Orvieto, das die Etrusker Velzna nannten, das wichtigste religiöse und kulturpolitische Zentrum des Etruskervolkes war.
"Eine Art Europa der Antike"
„Fanum Voltumnae“ hieß der Ort unter der imposanten Felsenkulisse damals und diente als jährlicher Treffpunkt für die Vertreter der zwölf etruskischen Stadtstaaten, die sich im sechsten Jahrhundert vor Christus zu einem Städtebund zusammenschlossen.
„Sie waren wie eine Art Europa der Antike“, erklärt Simonetta Stopponi. Die Professorin für Archäologie und Expertin für die Etrusker hat in den letzten 18 Jahren die Ausgrabungen geleitet und, inzwischen im Ruhestand, dennoch Schaufel, Kelle und Pinsel nicht aus der Hand gelegt – als Präsidentin einer gemeinnützigen Vereinigung packt sie noch immer tatkräftig an.
Archäologie-Professorin Simonetta Stopponi leitet seit 2000 die Ausgrabungen in Orvieto:
Ihre Stimme ist es auch, die dem Besucher im zweiten Raum den Text vorliest, der in die aus dem fünften Jahrhundert vor Christus stammende Stele gemeißelt wurde: Auf ihr stand einmal eine Bronzestatue, Gabe der früheren Sklavin Kanuta, anlässlich ihrer Hochzeit mit dem wohlhabenden Aranth Pinie, die sie den Tluschva-Göttern und Marut im – der Ausstellung namengebenden – „himmlischen Ort“ widmete.
Erst der zweite Blick offenbart die Kunstfertigkeit
Was sich auf den ersten Blick wie eine eher klassische archäologische Schau präsentiert – sprich viele Scherben und Skulpturen sowie diverse Fragmente in nüchterner Vitrinenpräsentation –, offenbart beim genaueren Hinsehen in der Feinheit seiner Details die Kunstfertigkeit seiner Hersteller und somit ebenfalls den hohen kulturellen Entwicklungsgrad des Volkes, das sie schuf.
Eine bunt mit Palmen und Lotusblüten bemalte Dachrinne findet sich da ebenso wie eine Abflussrinne in Eselskopfform. Bronzeskulpturen sind nur kleinere erhalten – die meisten großen ließen die Römer nach der Eroberung Volsiniis als Beute mitgehen.
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Herkunft: unbekannt
Auch der Kopf des Gottes mit akkurat arrangierter Frisur, der vor einer leuchtenden Fotowand thront, hat sein Geheimniss nicht preisgegeben: Wie er hieß, weiß heute nämlich niemand mehr. Ebenso wenig ist übrigens bekannt, woher die Etrusker denn nun eigentlich herstammen: Die Hypothesen reichen da von Italien bis hin nach Kleinasien. So wie die Archäologie schichtweise Geschichte aufdeckt, ist der Aufstieg zur fünften Etage des Museums eine Reise in nähere Epochen.
Im letzten Saal wird die Zeit nach den Etruskern thematisiert – von der Römerherrschaft bis hin zur späteren christlichen Epoche. Ein Geldschatz, Votivgabe, deren Münzhäufchen aus der Zeit von 300 v. Chr. bis hin zur Regentschaft Kaiser Augustus', 7 v. Chr. reicht, ist eines der Highlights: In ganz Italien wurden bisher nur drei solche Tempelgaben intakt vorgefunden.
Während mandelförmige Schleudergeschosse aus Blei von der römischen Eroberung zeugen, erinnert ein Skelett an christliche Bestattungsriten. Alle Geheimnisse der Etrusker lüftet die Schau im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst zwar nicht, sie macht aber Lust, nähere Bekanntschaft mit ihnen zu schließen – und das sollte ein Museumsbesuch doch stets tun. Demnach: Mission erfüllt!
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Bis zum 2. September im MNHA, Fischmarkt; geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr (von 17 bis 20 Uhr freier Eintritt). Eintritt Sonderausstellung: sieben Euro. www.mnha.lu
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