Der ewige Antiheld
Der ewige Antiheld
(dpa/ps) - An seinem 75. Geburtstag hat Bob Dylan frei, die berühmte „Never Ending Tour“ macht Pause. Doch was heißt schon frei bei einem so rastlosen Künstler, der immer noch in kurzen Abständen neue Platten herausbringt und an 100 Tagen des Jahres in Hotels lebt. Am vergangen Freitag erschien sein mittlerweile 37. Studioalbum „Fallen Angel“, eine Hommage an die amerikanische Folkmusik der 1940er und 50er Jahre.
Der größte Poet des Folk, Rock und Blues dürfte an seinem Geburtstag auch über vergangene Ruhmestaten nachdenken. Vor allem aber über Pläne für die Zukunft, über ein spätes Meisteralbum vielleicht. Oder über den Literatur-Nobelpreis als einzige Ehrung, die ihm in einer 55-jährigen Karriere trotz diverser Nominierungen (noch) verwehrt geblieben ist.
Ein Zimmerman wird Folkstar
Seinen Karriereeinstieg beschreibt der „Picasso des Songs“, wie ihn sein Kollege Leonard Cohen einmal nannte, in der auch
literarisch hochwertigen Autobiografie „Chronicles“ (2004) so: „Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung.“
Noch unter seinem Geburtsnamen Robert (Bobby) Allen Zimmerman spielt der aus Minnesota stammende Dylan zunächst in regionalen Highschool-Bands Rock'n'Roll. Sein Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckt der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in Minneapolis. Dann treibt ihn der „Strom der Veränderung“ nach New York.
Der Erfolg stellt sich mit dem Song „Blowin' In The Wind“ (1963) ein. Wilde, wütende Lieder wie „Masters Of War“ oder „A Hard Rain's A-Gonna Fall“ qualifizieren Dylan für die Protest-Folk-Bewegung – und für den berühmten Bürgerrechtler-Marsch nach Washington. Doch weder die Rolle eines Folk-Idols mag Dylan auf Dauer annehmen noch die der politischen Symbolfigur. Also mutiert er zum zweiten Mal – diesmal zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre und Band. Für seinen Fans „Verrat“ am Folk – er wird als „Judas“ beschimpft.
Aufstieg, Fall, Rehabilitierung
Aber Dylan lässt sich nicht beirren und komponiert Mitte, Ende der 1960er künftige Klassiker in Serie. Alben wie „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“, „Blonde On Blonde“. Weltkluge Songs wie „Desolation Row“ oder „Like A Rolling Stone“, den das (danach benannte) Fachblatt „Rolling Stone“ später zum besten Lied aller Zeiten kürt. Seine mit Metaphern und Anspielungen durchsetzten Texte sind von beispielloser Qualität.
Selbst seine nasale, damals noch nicht so verbrauchte Stimme hat ihren Reiz. Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zieht sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück und lebt mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern in der Nähe von Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne geht, ist ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei.
Die 70er-Jahre sind eine wechselvolle, schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes sowie eine gewisse künstlerische Stagnation. Auch für die 80er fällt die Bilanz eher durchwachsen aus:. Dylans künstlerische Rehabilitierung kommt 1997 mit dem ersten großen Alterswerk „Time Out Of Mind“.
Seitdem hat er einen Lauf, setzt alle paar Jahre Ausrufezeichen wie „Modern Times“ (2006) oder „Tempest“ (2012). Seine Alben steigen in den Charts so hoch wie selbst in den 60ern nicht, teilweise sogar bis an die Spitze. Rund 100 Millionen Tonträger soll er inzwischen verkauft haben. Auch die Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: elf Grammys, ein Song-Oscar, ein Pulitzer-Preis sowie die von Barack Obama höchstpersönlich verliehene „Presidential Medal of Freedom“.
Dylans Werk sei inzwischen „ein Resümee der populären amerikanischen Musiktraditionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“, schreibt sein Biograf Heinrich Detering. Und der US-Historiker Sean Wilentz, Autor des Buchs "Bob Dylan und Amerika", sagt "Seine Arbeit, damals wie heute, inspiriert, gefällt, unterhält und baut Menschen weltweit auf. Er ist ein großartiges amerikanisches Kulturgut."
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