Bester Stadionrock
Bester Stadionrock
Von Vicky Stoll
Das hätte man ihm eigentlich nicht zugetraut. Das Debütalbum des Castingteilnehmers und „One Direction“-Mitglieds Harry Styles strotzt nur so vor Popappeal und ist ein mehr als vielversprechender Start. Dass der unverschämt gut aussehende 23-jährige Brite mit den langen Zottelhaaren auch ohne festgezurrtes Show-Konzept auf Zack ist, das konnte er bereits in US-Shows, darunter ein grandioser Auftritt bei „Saturday Night Live“, mit seiner natürlichen und unverbrauchten Art unter Beweis stellen.
Auf dem Album sticht der Überhit „Sign of the Times“ konkurrenzlos hervor. Stilistisch handelt es sich um eine lupenreine Powerballade mit eimerweise Stadionpotenzial, genau das Richtige also, um den Grundstein für eine steile Karriere zu legen. Die ungewöhnliche Melodieführung in der Strophe sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert, hinzu kommt Harry Styles’ unbestreitbares Gesangstalent. Er verleiht dem Lied abwechselnd im Falsett, abwechselnd mit Bon-Jovi-esker Kratzstimme die richtige Dosis Gefühl und Druck.
Musikalisch schaukelt sich der Song zu jenem fulminanten Finale hoch, der die großen Gassenhauer auszeichnet, zu denen Stars am Ende ihrer Shows unter Konfetti und Lichtgewitter winkend von der Bühne stolzieren. Das Album hat aber mehr zu bieten als diesen offensichtlich auf eine hohe Chartsplatzierung ausgelegten Pophit. Erwähnenswert ist auch das leicht angeschrägte „Carolina“, dessen Gesang und Beat zu Beginn unverschämt aufdringlich an Becks „Sexx Laws“ erinnern, allerdings in der zahmen Schwiegermutter-Ausführung.
Verdammt guter Konsumpop
Auch „Two Ghosts“ weckt Reminiszenzen, dieses Mal allerdings eher negative. Der Song evoziert das bis zur Übelkeit rauf und runter genudelte „Drops of Jupiter“ von Train auf derart penetrante Art und Weise – schnell weiterskippen. „Sweet Creature“ ist die Lagerfeuerballade des Albums. Sie ist catchy, verfügt aber über ein recht kurzes Haltbarkeitsdatum. Das durch spacige Chöre und 80er-Synthesizer eingeleitete „Only Angel“ entpuppt sich binnen einer Minute zum Knaller.
Auch hier sind die Einflüsse ganz klar zu erkennen, ein bisschen Stones, eine Schippe Glam und die Großspurigkeit von Led Zep. Es geht natürlich, klar, um eine Frau, die als Engel angepriesen wird. Jedes Klischee der Rockmusik wird abgehakt, sogar das „Whoohoo“ im Chor ist am Start. Aber hey, irgendwie funktioniert’s. Auf „Kiwi“ wären viele Bands auch heute noch stolz. Verdreckter, straighter Lederjackenrock dröhnt auf einmal über die Lautsprecher. Das hört sich, man muss es zugeben, unerwartet souverän und entspannt an.
Anschließend sorgt das schmusige „Ever since New York“ für eine Verschnaufpause. Wieder überzeugt Harry Styles mit wohldosiertem Geschmachte und verzichtet auf überflüssiges Pathos. Auf einer Kuschelrock-Platte wäre dies einer der Songs, für den sich auch die Zyniker unter uns am wenigsten schämen müssten. In „Ever since New York“ singt Styles „Tell me something I don’t already know“.
Diesen Vorwurf könnte man ihm glatt zurückspielen, erinnert doch nahezu jeder Song an einen Hit der Vergangenheit. Harry Styles gelingt jedoch das Kunststück, dass er selten wie ein müder Abklatsch des bereits Dagewesenen klingt. Bleiben wir realistisch: Bei diesem Album handelt es sich nach wie vor um mundgerechten Konsumpop. Zugegeben, der ist dafür über weite Strecken außergewöhnlich schmackhaft.
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