Attitüde, Baby!
Attitüde, Baby!
Von Pol Schock
Zwei Bands, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Während Bilderbuch modernsten Pop für den Mainstream produzieren, bezwecken die Luxemburger von Cassée genau das Gegenteil: Instrumenteller Postrock für Spezialisten. Beiden gelingt ihr Vorhaben mit Erfolg.
Bilderbuch: „Magic Life“
Als die Österreicher Bilderbuch Ende 2013 die Single „Maschin“ veröffentlichten, stand die deutsche Musikwelt Kopf: Ein Song der nach hochkarätiger R'n'B-Pop-Produktion à la Kanye West klang und dazu noch erfrischend rhythmisch auf Deutsch gesungen wurde. Sänger Maurice Ernst gelang nämlich das Kunststück, das Deutsche wirklich wie eine Popsprache klingen zu lassen – und eben nicht nach monotoner Larmoyanz. Das gelang wohl zuletzt Falco. Und folglich – und natürlich auch aufgrund der gleichen Heimat – wurden Bilderbuch als musikalische Reinkarnation des Wieners gefeiert.
Vor wenigen Tagen ist nun das neue Album „Magic Life“ erschienen. Und die Band macht genau dort weiter, wo sie beim vergangenen Album „Schick Schock“ aufgehört hat: R'n'B-Pop-Funk mit Synthiegitarren. Das klingt nach Eskapismus, Sex und Hedonismus und macht Vorfreude auf den Festivalsommer: 2014 spielten Bilderbuch auf dem „Food For Your Senses“-Festival, 2016 auf dem Rock-A-Field.
Das Album strotzt dabei nur von Referenzen. „Sweetlove“ ist zweifellos als Hommage an Prince gedacht. Die Gitarre mit Choruseffekt sowie der angehauchte mit Synthis überlagerte Gesang lässt tief in die Discokugel der 1980er- Jahre blicken. Bei „Bungalow“ bewegt sich der Sänger zunächst gesanglich auf den Spuren von Udo Lindenberg, um dann doch wieder bei seinem eigenen rhythmisch-funkigen Flow zu landen.
Der Sound erinnert gelegentlich an Tame Impala, aber auch Queen sowie David Bowie lassen grüßen. Man könnte das als großen Soundmischmach auslegen. Aber man kann es auch als großes Kunstwerk betrachten: Denn Bilderbuch gelingt es, die Qualitäten ihrer Vorbilder zu eigen zu machen. Es ist kein reines Zitieren, sondern die Band deutet die Sounds der Vergangenheit im Gewand der Postmoderne um. Und nicht viel mehr kann man von Popmusik der Gegenwart erwarten.
Cassée: „2017“
Es gab eine Zeit, vor gut zehn Jahren etwa, da gab es außerordentlich viele instrumentale Rockbands in Luxemburg: Tvesla, Puzzle, Balboa, Kitshikers, Actarus, Spyglass, etc. Namen, die den Wenigsten heute noch ein Begriff sein dürften, die jedoch damals die Szene aufmischten. Luxemburg hatte eine überraschend hohe Dichte an instrumentellen Post-Rock bzw. Noise-Bands. Doch das war einmal: viele der oben genannten Bands haben sich mittlerweile aufgelöst.
Eine Band, die jedoch ganz klar in dieser Tradition steht, ist Cassée. 2014 gegründet, hat die Dreimanncombo bereits auf einigen Festivals gespielt, jedoch vorwiegend in kleineren Clubs und Cafés wie dem „Little Woodstock“ in Ernzen. Vor kurzem ist nun ihre zweite EP „2017“ erschienen. Sieben Songs Vollgas. Die Aufnahme wurde im DIY-Verfahren aufgenommen – sprich: die Band hat alles in Eigenregie in ihrem Proberaum produziert. Eine gewagte Wahl, die oftmals zu zweifelhaften Ergebnissen führt. Doch nicht so bei Cassée. Der Sound klingt so, als würde man gleich neben der Band im Probenraum stehen: Dynamik statt Präzision. Kanten statt Perfektion – und vor allem sehr viel Attitüde. Ein Kontrapunkt zum konturlosen Einheitsbrei, der en masse produziert wird.
Gleich die Powerakkorde des Tracks „I Have To More“ erinnern wohlklingend an Nirvanas „Aneurysm“ – ein Song, der es nur auf das B-Album „Incesticide“ von 1992 geschafft hat – unter Fans jedoch hoch gehalten wird. Und insgesamt bewegt sich Cassée nahe am psychedelic Grunge. „Facade“ überrascht da schon fast mit seinem „Heavy Metal“-Solo am Schluss. Eine weitere Überraschung ist Susan. Auf den beiden Tracks „Birds“ und „Susan's Preoccupations“ taucht sie unverhofft als Sängerin auf. Nun ist Susan nicht gerade das, was man eine begnadete Sängerin nennen würde. Aber die Klangfarbe ihrer punkigen Parolen stehen dem Sound der Band gut. Das erinnert dann manchmal an die frühen Pixies als Frank Black noch in Topform war. Mit „Ikarus“, dem längsten Track der EP, endet das Minialbum. Es handelt sich um ein „Post-Rock“-Stück, das sich im Sinne der Ikarus-Figur kontinuierlich steigert, um schließlich in sich zusammenzubrechen.
Leider wird Cassée das Erbe der instrumentellen Bands in Luxemburg nicht weiterführen können – denn nach diesem Album soll bereits Schluss sein. Das letzte Konzert ist für den 18. März in den Rotondes geplant - bei der Tvesla-Album Relaese.
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